Verjagt von Haus und Hof. Roswitha Gruber

Verjagt von Haus und Hof - Roswitha Gruber


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die Hühner wissen, wohin sie ihre Eier legen sollen.«

      »Wissen die das sonst nicht?«

      »Nein, Hühner haben ein sehr kurzes Gedächtnis«, klärte der Opa mich auf. »Wenn ein Huhn das Gipsei sieht, denkt es: ›Aha, das hab ich gestern gelegt‹, und legt noch eins dazu. Und die anderen Hühner legen das ihre auch dazu. Wenn aber das erste Huhn das leere Nest sieht, denkt es, sein Ei vom Vortag sei gestohlen worden, und versteckt das neue irgendwo. Und die anderen Hühner machen das genauso. Nun müssen wir uns also auf die Suche begeben und schauen, wo sie die Eier versteckt haben.«

      Bei der Eiersuche war der Opa nicht gerade fröhlich, mir aber machte es Spaß. Wir entdeckten tatsächlich drei Eier an drei unterschiedlichen Plätzen. Da mein Großvater zu der Zeit fünf Hühner hatte, war er nicht sicher, ob er alle Eier gefunden hatte. So lernte ich gleich noch eine Lektion über Hühnerhaltung: »Ein Huhn legt nicht jeden Tag ein Ei, es lässt immer mal einen Tag aus. Daher liegen an manchen Tagen vier Eier, an anderen Tagen nur drei Eier im Nest. Deshalb weiß ich nicht, ob noch ein Ei fehlt.«

      Von diesem Tag an war das Nestei für mich tabu, überhaupt versuchte ich erst gar nicht mehr, die Eier aus dem Nest zu nehmen. Und die Hühner legten wieder treu und brav ihre Eier dahin, wo sie hin sollten. Doch ich suchte noch einige Tage weiter nach dem eventuell fehlenden Ei, fand aber nichts.

      Es muss im Oktober desselben Jahres gewesen sein, als ich wieder einmal mit meiner Mutter ins Dorf zum Einkaufen ging. Ich begleitete sie gerne zum Kramladen, denn es fiel immer etwas für mich ab. Meist war es eine kleine Spitztüte mit einigen Guatln (Bonbons) darin, manchmal war es auch ein Lutscher. Diesmal begegnete uns auf dem Heimweg ein kleines Mädchen, das stolz einen Puppenwagen vor sich herschob, einen Korbwagen! Davon war ich so entzückt, dass ich sofort bettelte: »Mama, so einen will ich auch haben.«

      »Da musst dir halt einen beim Christkind bestellen«, lautete ihr Rat.

      »Und wie macht man das? Ich weiß ja gar nicht, wo das Christkind wohnt.«

      »Schreibst ihm halt einen Wunschzettel.«

      »Aber Mama, wie denn? Ich kann doch noch gar nicht schreiben.«

      »Dann malst halt einen Puppenwagen auf den Zettel und legst ihn am Abend außen auf die Küchenfensterbank. Dort holt ihn sich das Christkind schon ab.«

      Den Rat meiner Mutter befolgend, malte ich mit ungelenken Fingern das Objekt meiner Begierde auf ein Blatt. Es sah einem Puppenwagen wirklich etwas ähnlich. Diesen Zettel legte ich auf die Fensterbank und beschwerte ihn mit einem Stein, damit der Wind ihn nicht wegblasen konnte. Am nächsten Morgen war er tatsächlich verschwunden. Vor Aufregung klopfte mein Herz wie toll. Dann aber zog es sich hin, bis endlich Weihnachten war. Im Advent durfte ich am Adventskalender jeden Morgen ein Türchen aufmachen. Da kam aber nichts Süßes zum Vorschein, wie das heutzutage ist, sondern nur ein buntes Bildchen. Ich hatte trotzdem meine Freude daran, vor allem aber sah ich, dass ich dem großen Tag, an dem mein Herzenswunsch in Erfüllung gehen sollte, immer näher kam.

      Endlich war es so weit. Mit dem Opa wartete ich im Esszimmer geduldig, bis das feine Läuten eines Glöckchens ertönte. Wie elektrisiert sprang ich auf und wollte gleich ins Wohnzimmer stürmen. Doch Opa kriegte mich gerade noch an der Tür des Esszimmers zu fassen. »Langsam, langsam, Dirndl, ins Weihnachtszimmer muss man gesittet gehen. Da darf man nicht einfach hineinstürzen.«

      Als wir »gesittet« auf den Gang hinaustraten, kamen aus der Küche gerade die Mutter, die Tante und der Onkel. »Habt ihr auch das Glöckerl gehört?«, fragte ich aufgeregt.

      »Freilich haben wir es gehört«, antwortete die Mama. »Drum haben wir alles liegen und stehen lassen, um nachzuschauen, was das Christkindl gebracht hat.«

      Die Tür ging auf. Den strahlenden Lichterbaum erfasste ich mit dem ersten Blick und gleichzeitig erkannte ich, dass kein Puppenwagen darunter stand. Stattdessen sah ich eine kleine Holzkiste, in die meine Puppen gebettet waren. Sie hatten alle darin Platz, weil es kleine Puppen waren. Während ich auf die Kiste zusteuerte, schaute ich suchend nach allen Seiten. »Wo … wo … ist mein Puppenwagerl?«, stotterte ich, und Tränen kullerten über meine Wangen. Die Erwachsenen sahen sich fragend an. Schließlich bewegte sich meine Mutter beherzt auf die Kiste zu, fischte einen Zettel daraus und las:

      Liebe Lisi,

      sei nicht traurig, dass dein Puppenwagen noch nicht gekommen ist. Aber so viele kleine Mädchen haben sich zu Weihnachten einen gewünscht, dass die Englein in der Himmelswerkstatt nicht rechtzeitig fertig geworden sind. Nach Weihnachten arbeiten sie fleißig weiter. Sobald dein Korbwagen fertig ist, wirst du ihn bekommen.

      Liebe Grüße vom Christkind

      Nachdem ich diese Botschaft vernommen hatte, zog ich mein Schneiztiachl (Taschentuch) hervor und trocknete meine Tränen. Diesen »echten Brief« vom Christkind, obwohl ich ihn nicht lesen konnte, hob ich mir lange auf als ein kostbares Gut. Bis der versprochene Wagen kam, spielte ich mit der Kiste, legte meine Puppen hinein und nahm sie wieder heraus. Einige Tage nach dem Christfest, der Baum stand noch, fand ich ein großes Paket darunter. Mit glühenden Wangen und vor Aufregung zitternden Händen packte ich es aus. Tatsächlich, der ersehnte Korbwagen kam zum Vorschein. Ohne dass es mir einer erklären musste, war mir klar, dass das Christkind mein verspätetes Geschenk mit der Post geschickt hatte, weil es sich ja nach den Feiertagen nicht mehr auf den Weg zur Erde machte. Wie war ich selig! Sogleich steckte ich meine ganze Puppensammlung ins Wagerl und schob es im Erdgeschoss munter durch alle Räume. Nach draußen durfte ich damit nicht. Es lag ja Schnee, darin wären die Räder stecken geblieben. Außerdem hätte mein geliebtes Wagerl dadurch Schaden nehmen können.

      Sobald die Märzensonne aber den letzten Schnee von unseren Gartenwegen weggeleckt hatte, war ich draußen. Ich fuhr alle Wege auf und ab, bis ich erschöpft ins Haus zurückkehrte, denn es war noch zu kalt, um auf der Gartenbank Rast zu machen. Ab Mitte April aber, als die Sonne schon warm genug schien, konnte ich mich immer wieder mal auf der Bank vorm Haus ausruhen. Ich nahm meine kleinen Lieblinge aus ihrem Gefährt und legte sie auf die Bank, damit sie ein Sonnenbad nehmen konnten. Manchmal wechselte ich dort auch ihre Kleider, ehe ich sie zurück ins Wagerl bettete und erneut mit ihm auf den Wegen herumdüste. Einmal, meine Puppen lagen mal wieder auf der Bank zum Sonnenbaden, entdeckte Miezi, unsere Katze, den leeren Wagen, sprang hinein und wühlte sich unter der Decke ein. Das gefiel mir. Sofort waren meine Puppenkinder vergessen. Sie ihrem Schicksal überlassend, schob ich die Miezi durch den Garten. Das war doch etwas ganz anderes! Sie bewegte sich ab und zu, sie reckte und streckte sich, während die blöden Puppen nur starr und dumm im Wagen herumgelegen hatten. Von dem Tag an fuhr ich nur noch unsere Katze spazieren, aber immer erst, wenn sie freiwillig in den Wagen geklettert war. Ich habe sie nie hineingesetzt. Auch hielt ich immer rechtzeitig an, damit sie aussteigen konnte, wenn sie den Eindruck machte, dass sie genug vom Herumfahren hatte.

      Mittlerweile war es Hochsommer geworden, und ich war schon fünfeinhalb, deshalb durfte ich das eingezäunte Grundstück verlassen und meinen Puppenwagen auf dem öffentlichen Weg schieben, der zu unserem Haus führte. Dieser Weg wurde nur von wenigen Menschen genutzt, weil es eine Sackgasse war, die an unserem Gartentor endete. Eines Tages, als ich dort wieder mal quietschvergnügt unsere Katze im Wagen schob, begegnete mir eine Spaziergängerin. »Na, fährst dein Pupperl aus?«, sprach sie mich leutselig an. Dabei warf sie einen Blick in mein Wagerl, um sich meine Puppe anzuschauen. Dann fauchte sie mich an: »Ja, Kind! Bist du narrisch? Das darfst doch net machen! Das ist ja Tierquälerei.«

      Diese Aussage traf mich bis ins Mark. Nein, ein Tierquäler wollte ich nicht sein. Dafür hatte ich Tiere viel zu gern. Sofort kehrte ich um, ohne der Fremden zu erklären, dass die Katze immer freiwillig in den Wagen sprang. An der Hausbank ließ ich die Miezi aussteigen, verbannte den Puppenwagen in die Schlafkammer und rührte ihn für lange Zeit nicht mehr an.

      In meiner Kindheit gab es bei uns im Haus noch keine Toilette. Stattdessen stand neben dem Hühnerstall ein Plumpsklo. In dem kleinen Häuschen befand sich ein Brett mit einem Loch. Das war ziemlich groß, und ich musste höllisch aufpassen, dass ich nicht in die Grube fiel, wenn ich mein Geschäft verrichtete. War die Grube voll, musste Opa sie leeren. Dazu benutzte er ein eimerartiges Gefäß,


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