Der Schreckenswald des Hoia Baciu. Marie Kastner
nicht mehr, sich zu bewegen, stemmte sich bloß verzweifelt gegen den Sturm.
Nur wenige Meter vor ihr stand die dunkle Silhouette ihres Gatten, ebenso unbeweglich wie sie selbst. Auch er schien entgeistert auf das Lichtspektakel zu starren, welches offensichtlich zugleich die Quelle der peitschenden Windböen war. Und nicht nur das … Dănuţa spürte ein Kribbeln und Krabbeln am ganzen Körper, am stärksten am Scheitelpunkt des Kopfes und in den Extremitäten. Es schwoll rhythmisch an und ebbte wieder ab, um die Sequenz gleich darauf von neuem zu beginnen.
Konnte es möglich sein, dass die grünlichen Strahlen hierfür verantwortlich waren? Sie pulsierten im selben Muster, tasteten ihren Körper mehrfach von oben bis unten ab. Sie begann gellend zu schreien, als urplötzlich das giftgrüne Leuchten mitsamt dem Kreischen des Windes erlosch und eine unheilvolle Stille zurückließ.
Für wenige Sekunden entstand eine Art starker Sog, dann ein Vakuum, das Mihai und Dănuţa brutal den Atem aus den Lungen presste. Es war indessen vollkommen windstill geworden. Eine Art dunkler Nebel umfing die aufgelöste, japsende Frau, die deshalb den Standort ihres Mannes nicht mehr ausmachen konnte. Panik befiel sie.
Auf einmal verebbten auch Dănuţas Schreie. Jegliches Geräusch erstarb, obwohl sie schon wieder nach Leibeskräften ihre Angst hinausplärrte. Ihr war, als würde ihr der Erdboden unter den Füßen weggezogen. Es gab einen Knall, ein Riss bildete sich in dem finsteren Nebelgespinst und für einen kurzen Augenblick bemerkte sie einen schmutzig wirkenden Regenbogen, in dessen fahlem Licht sich sie und ihr Mihail widerspiegelten. Die Schemen der beiden Körper wirkten durchscheinend, standen auf dem Kopf. Dann war unversehens auch dieses Schauspiel vorbei. Der Nebel wurde dünner, verflüchtigte sich in Nichts.
Verdattert standen die Eheleute in der hügeligen Landschaft, trauten sich kaum vom Fleck zu rühren. Der Spuk war vorüber, hatte nichts Ungewöhnliches zurückgelassen. Beide schlotterten am ganzen Körper, brachten keinen Ton heraus.
Erst die Laute der verschreckten Tiere im Stall führten dazu, dass Mihai Stanciu und seine Ehefrau allmählich in die nüchterne Realität zurückfanden, schließlich aufeinander zugingen und sich erleichtert umarmten. Lange Zeit standen sie, sich fest umklammernd, auf der Wiese.
»Was, um Himmels willen, war das?«, hauchte Dănuţa, inzwischen bibbernd vor Kälte.
»Ich weiß es auch nicht. Aber ich fühle, dass sich etwas verändert hat. Als hätte eine unbekannte, jedoch völlig kompromisslose Macht das Ruder übernommen. Hast du das silbrig glänzende Etwas im Licht bemerkt?«
Seine Frau nickte nur, barg verstört ihren pausbäckigen Kopf an seiner Schulter. Ihr Gehirn weigerte sich strikt darüber nachzudenken, worum es sich dabei gehandelt haben könnte. Mihais Knie fühlten sich immer noch weich an. Er führte seine käseweiße Frau zum Wohnhaus und bemerkte beim Gehen, dass der Raureif von der Wiese verschwunden war.
Von dieser Nacht an lebten die Stancius zurückgezogen, verrammelten täglich vor Einbruch der Dunkelheit alle Fenster und Türen. Sie sprachen mit keinem einzigen Menschen über ihr unheimliches Erlebnis der Dritten Art, weil sie von den weiter entfernt angesiedelten Nachbarn ihres Einödhofes möglichst nicht für verrückt gehalten werden wollten. Grausige Albträume suchten sie jede Nacht heim. Für den Rest ihres gemeinsamen Lebens schwiegen sie und warteten darauf, dass die fremdartige Macht, die ihnen eine schauerliche Kostprobe ihrer Fähigkeiten geschickt hatte, die gesamte Erde übernähme.
Doch das geschah wider Erwarten nicht. Erst auf dem Totenbett erzählte Dănuţa einem Priester, was sie in jener Nacht erbeziehungsweise überlebt hatte. Er schob das wilde Fantasieren auf den halb entrückten Geisteszustand einer Sterbenden.
*
In der Nähe des Baciu-Waldes, 18. August 1968
Bereits am Morgen dieses wunderschönen Sommertages wurden im Kreis Cluj über dreißig Grad Celsius gemessen. Bei solch einem heißen, sonnigen Wetter wollte sich kein Mensch freiwillig in geschlossenen Räumen aufhalten, auch der fünfundvierzigjährige Emil Barnea nicht. Zu seiner Freude hatte der gewissenhafte Techniker sich freinehmen und auch seine Freundin Zamfira Mattea zu einem Tag Urlaub überreden können. Sie arbeitete als Angestellte für eine Wohltätigkeitsorganisation. Begeistert hatte die Vierunddreißigjährige ihren Emil gefragt, ob sie noch zwei lieben Freunden Bescheid geben könne. Ein Autoausflug mit gemütlichem Picknick wäre doch heute genau das Richtige! Das sahen besagte Freunde dann genauso, denn ihnen war es selbst leider noch nicht vergönnt gewesen, ein eigenes Auto zu erwerben. Im Rumänien der 1950-er Jahre waren Privatfahrzeuge noch eine rare Mangelware.
Gut gelaunt fuhr die Gruppe los. Man besichtigte zusammen einige Sehenswürdigkeiten und Aussichtspunkte, ging eine Weile in der Innenstadt von Cluj-Napoca bummeln, verdrückte Eistüten und fuhr anschließend ziellos durch die Gegend.
»Ich bekomme langsam Hunger. Wie ist das mit euch?«, fragte Zamfira, drehte sich zum Fond des Wagens um.
»Ebenfalls! Kommt, lasst uns jetzt etwas essen. Ich habe lauter selbstgemachte Leckereien eingepackt, Bier für euch Männer ist natürlich auch dabei!«, lachte ihre Freundin ausgelassen.
»Was für eine aufmerksame Traumfrau mein Schatz doch ist«, schwärmte ihr Begleiter strahlend. Er faltete andächtig die Hände und erntete einen forschen Nasenstüber.
An einem Waldstück, in der Nähe der Landstraße von Cluj nach Bukarest, stiegen die Freunde aus, gingen plaudernd und scherzend wandern. Ein lauschiges Plätzchen auf einer kleinen Lichtung kam alsbald in Sicht, perfekt für eine Rast. Es empfahl sich heute, weitgehend im Schatten der Bäume zu bleiben, denn es war vollkommen windstill und die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel. Die Temperatur war mittlerweile auf sechsunddreißig Grad angestiegen.
Gut gelaunt machte sich Emil auf, nach trockenem Feuerholz für ein Lagerfeuer zu suchen. Die anderen bereiteten derweil das Picknick vor. Die Vögel sangen und er dachte bei sich: ›Was für ein perfekter Tag! Es könnte wirklich nichts Schöneres geben, als mit seiner Geliebten und den besten Freunden Spaß zu haben. In letzter Zeit habe ich dermaßen viel gearbeitet, dass ich es mir ausnahmsweise erlauben kann.‹
Zamfiras helle Stimme riss ihn gegen 13.30 Uhr aus seinen angenehmen Gedanken. Sie klang sehr aufgeregt.
»Emil! Bitte komm schnell her! Das musst du gesehen haben! Oh Gott … was könnte das nur sein … ?«
Barnea ließ das Bündel Zweige fallen und eilte zur Lichtung zurück. Schon aus einiger Entfernung bemerkte er, dass Zamfira und seine Freunde allesamt wie gebannt in den Himmel starrten. Gleich darauf bemerkte er es auch. Himmel noch mal … so etwas hatte er noch nie zuvor gesehen! Etwas metallisch Glänzendes schwebte langsam über die Lichtung hinweg und das vollkommen geräuschlos. Das Ding reflektierte das Sonnenlicht, wirkte wie komplett mit Silber überzogen. Die vier Ausflügler verfolgten das unbekannte Flugobjekt atemlos mit den Augen,
keiner sprach ein Wort.
Plötzlich kam Bewegung in Emil. Er stürzte zu seiner Tasche, zog seine Kamera hervor, maß mit zitternden Fingern die Belichtung und stellte die ungefähre Distanz zum Zielobjekt ein. Dann riss er sich zusammen, atmete aus und drückte ruhig auf den Auslöser. Da die Maschine – oder worum auch immer es sich da handelte – sehr langsam flog, blieb sogar Zeit für einen zweiten Schnappschuss.
Während des Fotografierens bemerkte er, dass die Helligkeit des Objekts sich stetig veränderte. Das daraus hervorströmende Licht schien rhythmisch zu pulsieren. Plötzlich stieg es in rasender Geschwindigkeit steil nach oben und Barnea bekam gerade noch Gelegenheit, weitere zwei Male auf den Knopf zu drücken. Dann geriet die unbekannte Maschine außer Sicht. Das gesamte Ereignis hatte nicht mehr als zwei Minuten gedauert.
Die vier Freunde waren baff vor Faszination. Sie blieben etwa weitere zwei Minuten wie angewurzelt stehen, keiner wagte sich zu rühren. Befanden sie sich hier womöglich in Lebensgefahr?
Mit offenen Mündern suchten sie weiterhin den Himmel nach dem Objekt ab, doch das obskure Schauspiel war offensichtlich vorbei. Anschließend packten sie schweigend ihre Siebensachen zusammen und verließen hektisch den Wald, denn er war ihnen nicht