Der Schreckenswald des Hoia Baciu. Marie Kastner

Der Schreckenswald des Hoia Baciu - Marie Kastner


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mit leichenblassen Gesichtern, saß die Gruppe wenig später im Auto. Die Vesper blieb unangetastet im Kofferraum liegen.

      »Ihr habt es aber auch alle gesehen, oder? Ich bin doch nicht verrückt geworden!«, war das Einzige, was Zamfira mit herausgedrehten Augäpfeln von sich gab. Sie wirkte kleinlaut. Ihre drei Begleiter nickten nur mechanisch und Emil startete fahrig den Motor des Dacia, nachdem er ihn zweimal abgewürgt hatte. Die Heimfahrt verlief bedrückend stumm.

      *

      Am schnellsten erholte sich Emil Barnea von den Ereignissen dieses Nachmittags. Als ehemaliger Militärangehöriger kam er mit Außergewöhnlichem eher klar als seine Freundin oder die beiden jüngeren Bekannten. Letztere hatten ihn bereits eindringlich gebeten, sie vollständig aus der ominösen Sache herauszuhalten. Er dürfe nirgends namentlich erwähnen, dass sie es gewesen seien, die dieses Ding ebenfalls gesehen hatten.

      Nach einigen Tagen konnte Barnea sich endlich dazu überwinden, den ORWO-Film aus seiner FED 2-Kamera entwickeln zu lassen. Er war sich selbst nicht mehr sicher, ob er tatsächlich ein nicht identifizierbares Flugobjekt abgelichtet hatte. Vielleicht hatten sie im Wald aufgrund der Hitze nur überreagiert, waren einer Spiegelung von irgendwas zum Opfer gefallen. Einer Art Fata Morgana – oder so. Die dichten Wälder Transsilvaniens waren schließlich bekannt dafür, dass sie Angst erzeugen konnten. Aber diese Hoffnung sollte sich nicht erfüllen.

      Knapp zwei Wochen später hielt er die Ausdrucke in Händen und fragte sich beunruhigt, was er hiermit nun anfangen sollte. Das fliegende Objekt war auf den Fotografien gestochen scharf zu erkennen, doch er wusste ziemlich genau, wie die Leute über abstruse Erzählungen dachten – und natürlich über diejenigen, welche mit solchen Geschichten über verhexte Wälder daherkamen. Er wollte sich nicht zum Gespött machen.

      So wandte er sich nach dessen Urlaubsrückkehr an den rumänischen Ingenieur Florin Gheorghita, weil er wusste, dass der sich brennend für solche Phänomene interessierte. Mehrmals hatte er bereits UFO-Sichtungen untersucht. Barnea kannte den Mann von früher, hatte bereits zwei Jahre lang auf einer Baustelle mit ihm zusammengearbeitet.

      Er zeigte ihm die ersten drei Fotos, auf denen das fragliche Objekt relativ groß abgebildet war. Gheorghita stellte daraufhin eigene Ermittlungen an und rekonstruierte die Flugbahn. Diese stimmte mit den Zeugenangaben von Emil und Zamfira, sowie den Fotos überein. Der Ingenieur blieb aber dennoch skeptisch. Auch er hatte einen Ruf zu verlieren.

      Eines der Fotos wurde dennoch am 18. September 1968 in einigen Zeitungen der Region abgedruckt, und zwar zusammen mit einem durchwegs sachlich gehaltenen Augenzeugenbericht von Barnea. Nicht jeder nahm das gelassen auf.

      Der Direktor des Observatoriums in Cluj fühlte sich daraufhin leider berufen, eine Gegendarstellung in die Welt zu setzen. In Unkenntnis dessen, dass nur ein einziges Objekt mehrmals fotografiert worden war, behauptete er kurzerhand, es habe sich garantiert um eine Ansammlung von Wetterballons gehandelt. Barnea sei bestimmt nichts als ein ignoranter Alkoholiker, der sich wichtigmachen wolle und habe die Fotos gefälscht. Wohlgemerkt – Wetterballons waren während der fraglichen Zeitspanne in der gesamten Region Cluj-Napoca nicht aufgestiegen, was sich hinterher leicht beweisen ließ.

      Die Sache stieß bei einem Fotoreporter aus Cluj auf Interesse. Er und ein weiterer Fotograf einer Presseagentur aus Bukarest gingen der Sache auf eigene Faust nach und prüften die Fotografien akribisch auf Echtheit. Sie fanden keinen Hinweis auf irgendeine Trickserei. Sogar ein großes Fotolabor untersuchte sie auf Ungereimtheiten – ebenfalls ergebnislos.

      Weitere Zeitungsveröffentlichungen, und zwar aller drei Fotos, zogen schier endlose Debatten in der Öffentlichkeit nach sich. Emil Barnea und seine Freundin wurden vom Staatsfernsehen interviewt. Ersterer wurde sogar auf neurologische Auffälligkeiten untersucht, allerdings fand sich hierbei nichts Außergewöhnliches. Aber wie hätten die beiden bekannten Augenzeugen zweifelsfrei beweisen sollen, dass sie die Wahrheit sprachen, nichts hinzugefügt oder weggelassen hatten?

      Zum Schluss nahmen sich Techniker der Universität Cluj der Sache an, untersuchten die Fotografien sehr lange und fertigten sogar maßstabgerechte Modelle der abgebildeten Flugscheibe an. Jeder Schatten war in Übereinstimmung mit den beschriebenen Manövern vorhanden, man sah die Reflektionen der Sonne und sogar die Eigenbeleuchtung des Objekts. Eine geschickte Fälschung schien auch nach ihren Schlussfolgerungen ausgeschlossen zu sein.

      Das UFO hätte demnach einen Durchmesser von mehr als dreißig Metern haben müssen. Es sei in sechshundert Metern Höhe erst langsam Richtung Nordost, zum Schluss in südwestlicher Richtung davon geflogen und hierbei leicht gesunken, hielten die Techniker in ihrem Abschlussbericht fest.

      Zweimal traf sich Emil Barnea mit dem rumänischen Ufologen Ion Hobana, einmal 1968 und einmal 1970. Dieser fand in Befragungen heraus, dass weder Emil Barnea noch seine Freundin Zamfira Mattea viel über UFOs wussten und die Geschichte somit wohl kaum erfunden haben konnten, um sich interessant zu machen. Zu dieser Zeit wurden in Rumänien schließlich auch noch keinerlei Bücher über UFOs verkauft.

      Hobana hielt das Ereignis über dem Baciu-Wald für eine der wichtigsten UFO-Sichtungen überhaupt. Die vierte Fotografie reichte Barnea ihm und seinem Bekannten Gheorghita mit erheblicher Verspätung nach. Auf diesem war das mutmaßliche Fluggerät wegen der erheblich größeren Entfernung viel kleiner festgehalten, es verschwand gerade in einer Wolkenbank.

      Der Name Emil Barnea sollte für immer mit dieser Sichtung in Verbindung stehen, später massenhaft durch eine Erfindung namens Internet geistern und, über Jahrzehnte hinweg, weiterhin für Diskussionsstoff bei Skeptikern und Ufologen sorgen. Aber das konnte er damals natürlich nicht voraussehen.

      

       Kapitel 3

      Zeitloses Mädchen

       Kreis Cluj, 29. April 1975

      »Mama, wann gibt es endlich Abendessen? Ich habe schon einen Bärenhunger«, rief die fünfjährige Marta über den Gartenzaun. Der kleine Wirbelwind hopste fröhlich den schmalen Feldweg entlang, der unmittelbar an das Grundstück des recht kleinen, etwas baufälligen Hauses grenzte. Bei jedem Hüpfer flogen ihre braunen Zöpfe in die Höhe.

      Ihre Mutter lächelte, richtete sich stöhnend auf. Sie hatte im Gemüsebeet schon den ganzen Vormittag lang Unkraut gejätet. Beide Hände ins schmerzende Kreuz gestützt, antwortete sie:

      »Das wird noch gut eine Stunde dauern. Ich muss das hier erst fertig machen, sonst erstickt mir die Queckenplage meine jungen Salatpflänzchen. Iss derweil einen Apfel, oder geh noch ein bisschen auf die Wiese spielen. Das Wetter ist heute so schön. Man mag gar nicht glauben, dass es in der vergangenen Woche kalt war und geregnet hat!«

      »Au ja, mach ich. Ich hole gleich meinen Ball!«, lachte Marta vergnügt und verschwand im Schuppen. Anna Ionescu blickte ihr versonnen nach. Ihr ging das Herz auf. Was für ein aufgewecktes Kind! Und so hübsch anzusehen mit ihrem herzförmigen Gesichtchen, den Sommersprossen auf der Stupsnase und seinen großen, braunen Rehaugen. Es bereitete der stolzen Mutter viel Freude, der Kleinen ausgefallene Kleidchen zu nähen. Heute trug sie ihr Lieblingskleid. Jenes zartgelbe mit den großen, weißen Margeriten am ausgestellten Saum, das sie erst am vergangenen Wochenende fertiggestellt hatte.

      »Aber bleib in Rufweite! Mach dich nicht schmutzig und geh keinesfalls in den verwunschenen Wald, hörst du?«, rief Anna ihrer Tochter noch hinterher. »Ja ja, Mama«, tönte es fröhlich über die Wiese – und schon war das quirlige Mädchen über den Hügel und außer Sicht.

      Anna war fest überzeugt, dass Marta sich zuverlässig von diesem verfluchten Waldstück fernhalten werde. Schließlich hatte sie sämtliche Märchen, in denen Kindern irgendetwas Schlimmes zustieß, kurzerhand an genau diesen Schauplatz verlegt. Die kleine Maus liebte Schauergeschichten über Hexen, verschleppte Prinzessinnen, Zwerge und böse Schwiegermütter. Es grenzte an ein Wunder, dass sie danach allabendlich, selig wie ein Engel, mit ihrem Stoffbären im Arm einschlief.

      Als Annas Ehemann dieses Häuschen am Ortsrand von Baciu vor einigen


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