Frontschweine. Léon Lancee

Frontschweine - Léon Lancee


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Ich wollte ihn eigentlich am Leben lassen, aber ich hatte es eilig, und er leistete immer wieder Widerstand. Dann hört alles auf, es ist nun mal Krieg.“

      „Es ist eben so“, reagierte Michael gelassen, während er sich erhob. „Komm, wir wollen noch ein bisschen pennen. Morgen ist ein neuer Tag, und der Iwan wird uns vermutlich nicht vergessen, nachdem zwei ihrer Offiziere verschwunden sind.“

      Die anderen standen auch auf, und gemeinsam schlenderten sie zu ihrem Bunker.

      Max ging hinter Klaus und fragte ihn: „Was war denn im Niemandsland eigentlich los, verdammt noch mal? Ich meinte einen Moment, dass ihr versuchtet, den Iwan aufzuwecken.“

      Klaus machte eine Gebärde voll Ekel. „Das wollt ihr nicht wissen. Wir tauchten zugleich mit euch in einen Granattrichter, als die Leuchtkugel hochging. Willy als Erster und ich stürzte mehr oder weniger auf ihn. Aber dann stellte sich heraus, dass zwei tote Iwans in dem Loch lagen, die durch die Hitze bereits hübsch weich geworden waren. Der arme Willy plumpste mittendrein und bekam einen Mordsschrecken, was auch nicht verwunderlich war, denn die Kadaver stanken sieben Meilen gegen den Wind. Der arme Junge war so erschrocken, dass er einen Moment den Kopf verlor und sich mit aller Gewalt davonmachen wollte. Ich musste ihm eine Watsche verpassen, um ihn zur Ruhe zu bringen, und das half. Deshalb ist er jetzt dabei, sich zu waschen, denn so konnte er nicht in die Kiste gehen. Dann hätten wir ihn wahrscheinlich wegen des Gestanks, den er an sich hatte, aus dem Bunker hinausbefördert.“

      Kurt und Michael brachen in Lachen aus.

      „Deshalb dieser seltsame Geruch bei den Russen im Bunker. Und wir dachten, dass die Sowjetuntermenschen so stanken.“

      Sie gingen in den Bunker, wo sie erschöpft auf ihr Bett plumpsten.

      Als Rainer und Armin eine halbe Stunde später mit viel Lärm die Tür aufrissen und hereinkamen, waren nur Max und Michael noch wach.

      „Jesus“, murrte Max, „Könnt ihr nicht etwas ruhiger vorgehen. Es gibt Leute, die heute Nacht gearbeitet haben und zu schlafen versuchen!“

      „He Mensch, sei nicht so griesgrämig“, lachte Rainer.

      Mit einem Bums stellte er eine Flasche Wodka auf den Tisch. „Ihr habt mit eurer Arbeit auf jeden Fall eine Kleinigkeit verdient. Diese sollten wir der Aufklärungspatrouille geben mit den Komplimenten des Chefs.“

      Das Gesicht von Max heiterte sich sofort auf. „Nicht zu glauben! Michael, siehst du das? Einen ganzen Liter Wodka des Hauptsturmführers, das habe ich noch nie erlebt. Waren die Gefangenen etwas so Besonderes oder war der Chef bereits besoffen, denn gewöhnlich ist er nicht gerade freigebig mit seinem Getränkevorrat.“

      Michael richtete sich auf. „Nein, so kenne ich den Hauptsturmführer auch nicht. Erzähle mal, wem wir das zu verdanken haben.“

      Rainer warf seine Koppel über den Stuhl und fing an, seine Uniformjacke aufzuknöpfen. „Das Hauptquartier, und damit meinen wir den Standartenführer (= Oberst) selber, war offensichtlich mit der Brieftasche voller Dokumente so zufrieden, dass er persönlich von Prelow angerufen hat, um zu fragen, wer diese Gefangenen und diese Papiere hereingebracht hatte. Als der Chef erzählte, wer es gewesen war, hat er anscheinend gesagt, dass die, die das geschafft hatten, das Eiserne Kreuz 1. Klasse bekommen müssten. Aber als Standartenführer Witt vom Chef hörte, dass wir es gewesen waren, hat er ihm aufgetragen, uns in seinem Namen einen herzhaften Schnaps anzubieten, weil wir vor einigen Wochen das EK-1 von ihm verabreicht bekommen haben.“

      „Sehr nett von ihm“, lachte Max, „Aber was war Besonderes an den zwei Russen, die wir ihm geliefert haben, dass er so zufrieden ist?“

      „Das ist sehr einfach“, antwortete Armin, „In dieser Mappe mit Papieren, die ihr mitgeschleppt habt, befanden sich alle Pläne, und was wichtiger ist, alle Aufstellungen der Sowjettruppen in diesem Moment an der ganzen Ostfront. Dieses Zeug ist für den Stab nicht mit Gold zu bezahlen.“

      Michael ließ sich hintenüberfallen und reagierte sehr nüchtern. „Dann hätten sie uns lieber eine Woche Urlaub schenken können. Da sind wir jetzt für diesen Job wohl schwer unterbezahlt worden. Aber gut, jetzt ist auf jeden Fall klar, wieso von Prelow mit seinem Wodka auf einmal so freigebig geworden ist. Die Flasche bekommt er garantiert einmal vom Standartenführer wieder, denn der vergisst nie was.“

      Auch Kurt Hausser war mittlerweile wieder aufgewacht. „Das ist dann das zweite Mal in kurzer Zeit, dass sie uns um einen verdienten Urlaub bringen. Zuerst nach der Eroberung des Flugplatzes vor ein paar Wochen (siehe Kanonenfutter) und jetzt ein zweites Mal, wenn die Papiere tatsächlich so wichtig sind.“

      „Weißt du, Michael“, mischt Rainer sich ins Gespräch. „Wenn der Standartenführer niemals etwas vergisst, wie du gerade sagst, dann wird das mit unserem Urlaub in Ordnung gehen. Denn als er uns nach der Eroberung des russischen Flugplatzes das EK-1 anheftete sagte er, dass wir uns damit einen Urlaub verdient hätten und dass er später darauf zurückkommen würde. Jetzt wurde er noch einmal an uns erinnert, also muss ich recht haben. Wir bekommen demnächst ein Sonderlaub aufgebrummt - verdammt, wenn das nicht stimmt.“

      Michael hielt seine Augen geschlossen, als er antwortete. „Du bist wirklich ein schlaues Schwein, vielleicht hast du sogar auch recht, denn der Witt ist einer, der tatsächlich nichts vergisst. Wir werden sehen, ob es stimmt oder nicht. Aber wenn wir vernünftig sind, wollen wir jetzt zunächst mal ein paar Stündchen pennen, sonst lohnt es sich nicht mehr.“

      Kurze Zeit später ertönte nur noch das Schnarchen von Max durch den Bunker.

      Niemand hörte, dass Willy hereinkam.

      Ein heulendes Geräusch drang von weitem zu den schlafenden Soldaten durch. Sofort darauf folgte eine donnernde Explosion.

      Der ganze Bunker wurde in seinen Grundfesten erschüttert, und Sand rieselte zwischen den Dachbalken hindurch herein.

      Eine Staubwolke zog durch die offenstehende Tür herein, und die Mannschaften schossen erschrocken und hustend hoch und griffen automatisch zu ihren Waffen.

      Es krachten wieder ein paar schwere Explosionen, vom pfeifenden Geräusch einschlagender Mörsergranaten gefolgt.

      Michael bellte ein paar Kommandos: „Kurt, wir gehen zum nächsten Posten, um zu sehen, was los ist. Dies ist wahrscheinlich der Anfang eines Artilleriebeschusses. Der Rest macht sich fertig, aber bleibt im Bunker, bis das Artilleriefeuer nach hinten verlegt wird, denn dann folgt gewöhnlich ein Infanterieangriff. Sobald das Feuer verlegt wird, geht jeder zu seinem Posten und nimmt seine Position ein. Legt genügend Munition bereit, aber wartet mit Feuern, bis wir das Zeichen geben. Und nehmt auch alle Handwaffen und eure Pionierschaufeln mit für den Fall, dass es zu Mann-zu-Mann-Kämpfen im Schützengraben kommt.“

      Gebückt rannte er hinaus und sprang, von Kurt gefolgt, in den ersten Maschinengewehrposten, den sie erreichen konnten.

      Eine weitere Serie schwerer Explosionen wühlte die Erde um, auch im Schützengraben.

      Große Fontänen Erde und Pulverdampf wurden hochgeschleudert und verursachten enorme Staubwolken, welche die Sicht und das Atmen erschwerten.

      Der Soldat neben dem Maschinengewehr legte seinen Feldstecher ab und drehte sich mit einem vor Spannung verzogenen Gesicht um.

      „Guten Morgen, Herr Oberscharführer, diese….“

      Bevor der Soldat seine Meldung an Kurt beenden konnte, bohrte ein glühend heißer Granatsplitter sich mit einem dumpfen Schlag in seinen Schädel, gerade unter dem Rand seines Stahlhelms.

      Der Kopf des Soldaten explodierte buchstäblich, und Kurt wischte in einem Reflex die Blutspritzer aus seinem Gesicht.

      Der Soldat wurde durch die Gewalt des Einschlags rückwärts geworfen und war tot, bevor er auf den Boden aufschlug.

      „Verdammte Scheiße“, fluchte Kurt, während er über den toten Soldaten hinweg zum schweren MG-34 Maschinengewehr kroch und den Verschluss zurückriss, um die Waffe durchzuladen.

      Michael schleppte den Körper zum Schützengraben


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