Von unten nach oben - Eine Lebensgeschichte. George Eiselt
nicht nur die Berufsschule, sondern diese von der SED, Sozialistische Einheitspartei Deutschland, vorgegebene laufende politische Beeinflussung begann mit Eintritt in den Kindergarten und wurde im gesamten weiteren Ausbildungsweg bis zum Eintritt in das Rentenalter praktiziert.
Mit Beginn der Grundschule musste man zum Beispiel in die Pionierorganisation, Junge Pioniere, eintreten. Hierfür wurde man mit einer speziellen Kleidung ausgestattet, die natürlich von den Eltern zu bezahlen war. Das war ein weißes Hemd mit einem handtellergroßen Pionierzeichen am Ärmel, wozu man sich bis zur vierten Schulklasse ein blaues Halstuch und ab der fünften bis zur achten Klasse ein rotes Halstuch umbinden musste. Ab der 9. Klasse trat man gewöhnlich der FDJ, Freie Deutsche Jugend, bei, nun bekam man ein blaues Hemd mit einem handtellergroßem FDJ-Aufnäher am Ärmel. Diese Kleidungstücke musste man immer zu bestimmten politische Feiertagen, wie zum Beispiel am 1. Mai, Internationaler Kampftag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus, oder am 8. Mai, Tag der Befreiung, tragen. Natürlich gab es auch Eltern, die ihren Kindern diese Mitgliedschaft untersagten, aber für diese Kinder war der weitere Bildungsweg nach Abschluss der Mittelschule beendet, bis dahin war ja der Schulbesuch Pflicht. Selbst den gewünschten Beruf konnte man mit solch einer staatsfeindlichen Vorgeschichte oftmals nicht erlernen.
Im selben Zusammenhang stand auch eine wichtige Entscheidung, die nach Abschluss der der 7. Klasse von den Eltern getroffen werden musste und die gewaltiges politisches Konfliktpotenzial in sich barg. Hier ging es nämlich darum, ob man außerschulisch am Konfirmationsunterricht teilnahm, was von den DDR-Oberen natürlich nicht gewünscht wurde, oder ob man den sozialistisch geprägten Jugendweiheunterricht besuchte, der mit einer Jugendweihefeier endete, wo man eine Urkunde und ein Buch überreicht bekam. Mein Vater entschied sich natürlich stellvertretend für mich für die Konfirmation. Dadurch stand ich in politischer Hinsicht in der Schule schon unter kritischer Beobachtung, aber mich selbst interessierte das weniger, da ich für die Erfassung der damit verbundenen Zusammenhänge viel zu jung war. Der Konfirmationsunterricht fand generell vor Schulbeginn im Gemeindehaus der Kirche statt und wir benutzten den Hin- und Rückweg immer für Klingelpartien an allen Häusern, die auf der Wegstrecke lagen. Klingelpartie bedeutet nichts weiter, als dass man an jedem Haus alle Klingelknöpfe drückte, was die Hausbewohner wahrscheinlich nicht gerade sehr erfreute. Jedenfalls wurde ich nach einem Jahr Konfirmationsunterricht im Alter von 14 Jahren konfirmiert, wobei dieser Tag feierlich gewürdigt wurde. Ich musste sogar einen Anzug samt weißem Hemd und Binder anziehen, was mir eigentlich nicht sehr behagte. Dazu kommt natürlich noch, dass mein Anzug ein von meiner Mutter aufgearbeitetes Kleidungsstück war, das zuvor schon von meinen beiden Brüdern getragen wurde. Aber so war das nun mal damals. Zur Feier selbst war die gesamte Verwandtschaft anwesend und zum Mittagessen gab es immer Kaninchenbraten aus unserem eigenen Bestand. Die Kaninchen schlachtete mein Vater selbst, indem er sie mit einem gezielten Handkantenschlag vom Leben in den Tod beförderte, anschließend das Fell fachmännisch abzog und das Tier bratfertig ausnahm. Das Fell selbst wurde auf einer eigens dafür angefertigten Holzvorrichtung gespannt und nach einer gewissen Trocknungszeit für 50 Pfennige an einen Händler verkauft.
Nach der kleinen Abschweifung nun weiter mit der Berufsschulzeit.
In dieser Berufsschule war es für einen dem Sozialismus treu ergebenen Bürger fast pathologische Pflicht, dass er der Gesellschaft für Sport und Technik, GST, beitrat. Mit Sport und Technik hatte dies weniger zu tun, sondern der tiefere Sinn lag mehr auf einer tiefgründigen vormilitärischen Ausbildung. Na ja gut, das Auseinandernehmen und anschließende wieder Zusammenbauen eines Gewehres hat schon etwas mit Technik zu tun, aber hauptsächlich wurde dort unter Absingen von Sozialistischem Liedgut und dabei im Gleichschritt marschieren das Kriegshandwerk geübt. Natürlich immer nur mit dem Ziel, den Sozialismus vor den aggressiven Machenschaften des kapitalistischen Lagers verteidigen zu können. Aber ich möchte nicht nur immer das Negative aufführen, sondern die Mitgliedschaft in der GST hatte auch einen positiven Aspekt. Man konnte dort nämlich den Motorradführerschein machen und zwar völlig umsonst, also ohne etwas zu bezahlen. Das war schon nicht zu verachten, denn es handelte sich hier um Beträge, die so bei mehreren hundert Mark lagen, wenn man den Schein in einer offiziellen Fahrschule machte. Mein Vater wiederum war jedoch der Meinung, dass ich dort nicht hingehöre und verbot mir, dort einzutreten. Er hatte dabei aber nicht in Betracht gezogen, dass diese Entscheidung mir politisch negativ angelastet werden würde, da ich ja damit den sozialistischen Klassenstandpunkt unseres Arbeiter- und Bauernstaates auf das tiefste verletzte. Ich befand mich aber nicht ganz allein in dieser Situation, denn ein Freund von mir aus meiner Lehrlingsgruppe weigerte sich auch, dort mitzumachen. Nun gab es in unserer Berufsschule ein sogenanntes schwarzes Brett, wo neben irgendwelchen Mitteilungen schulischer Art auch Verfehlungen von Auszubildenden für jeden sichtbar angezeigt wurden. Auf dieser Tafel wurden wir beide nun auch verewigt als negatives Beispiel für Jugendliche, die nicht bereit waren, die Errungenschaften unseres sozialistischen Staates zu würdigen und zu verteidigen.
Aber diese Zeit war auch geprägt von allerlei Ereignissen, an die ich mich gern erinnere und die in gewisser Hinsicht für die Entwicklung meiner Persönlichkeit prägend waren. Beispielsweise kann ich, ohne zu übertreiben, von mir behaupten, dass in mir gewisse musikalische Talente schlummern, die jedoch in meinem Elternhaus nie erkannt und somit auch nie gefördert wurden. Mein Vater schenkte uns Kindern zwar einmal zu Weihnachten ein ziemlich großes Schifferklavier, aber den dazugehörigen Unterricht für uns zu organisieren und vor allem zu bezahlen, fand er nicht vonnöten. Weil wir als Kinder nicht die notwendige Eigendisziplin aufbrachten, um durch tägliches Üben das Instrument beherrschen zu lernen, lag es demzufolge ungenutzt in unserem Kinderzimmer und war gelinde gesagt eine Fehlinvestition. Für mich selbst war das Akkordeon schon von der Größe her kein Thema, denn ich war damals gerade mal acht oder neun Jahre alt. Hätte ich es mir umgelegt, wäre ich unweigerlich nach vorn auf den Boden gezogen worden.
Meine meiner Meinung nach musikalischen Fähigkeiten konnte ich aber in der Berufsschule anderweitig zum Tragen bringen. Wir hatten dort nämlich einen großen Kultursaal, der normalerweise für Versammlungen genutzt wurde, aber in dem auch monatlich einmal Tanzveranstaltungen für uns Lehrlinge stattfanden. Dazu wurden Stühle und Tische so angeordnet, dass in der Mitte Platz für eine Tanzfläche entstand und die erhöhte Bühne wurde für die Tanzkapelle genutzt. Die Band wiederum setzte sich aus unseren Lehrlingen zusammen, die mehrmals im Monat zusammen probten. Hier muss wieder erwähnt werden, dass man nicht einfach spielen konnte, was man wollte, sondern erstens mussten 60 % der Titel aus dem sozialistischen Lager sein und der Rest durfte aus den kapitalistischen Ländern kommen. Zum Zweiten mussten diese Stücke getrennt nach den 40 % bzw. 60 % aufgelistet und im jeweiligen Stadtbezirk in der Abteilung Kultur zur Genehmigung eingereicht werden. Dabei kam es immer wieder vor, dass Lieder aus dem sogenannten Westen von der Liste gestrichen wurden, weil sie nicht der sozialistischen Ethik und Moral entsprachen. Mit dem nunmehr abgesegneten Dokument konnte der Tanzabend nun durchgeführt werden.
An einem dieser Abende ergab es sich anlässlich einer größeren Pause, dass ich mich dazu berufen fühlte, die Bühne zu erklimmen, um auf dem Schlagzeug ein paar Trommelwirbel erklingen zu lassen.
Ich hatte dies an und für sich nur aus lauter Übermut getan und mir nichts Besonderes dabei gedacht. Seltsamerweise fanden die Bandmitglieder das dabei von mir an den Tag gelegte Rhythmusgefühl so bemerkenswert, dass der Bandleiter mich nach der Veranstaltung beiseite nahm und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, mal an einer Übungseinheit teilzunehmen. Ich muss hierbei erwähnen, dass sie mit ihrem Schlagzeuger nicht so ganz zufrieden waren, weil er eben das erforderliche Rhythmusgefühl nicht hatte, sondern immer mit den Takten ein wenig vorneweg war. Um es klar auszusprechen, sie wollten den Schlagzeuger eigentlich so schnell wie möglich los werden. Es wurde vereinbart, dass wir beide zusammen mit der Band ein Probetraining absolvieren und danach sollte unter Hinzuziehung des kulturverantwortlichen Leiters der Berufsschule abgestimmt werden, wer weiterhin am Schlagzeug sitzen durfte. Da ihre Sympathien aber nun mal mehr bei mir lagen, übten sie heimlich vorher mit mir einige Stücke ein, die anlässlich des Vergleiches gespielt werden sollten. Na ja, so war es für mich ein Leichtes, den armen Burschen aus seiner Position zu verdrängen und ab sofort in der Band als Schlagzeuger mitzuwirken.
Ich kann mich noch genau an meine ersten offiziellen Auftritte bei den Lehrlingsveranstaltungen erinnern, denn da stand mir mehr als