Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst. Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha
persönliches Wachstum einstellte.
Aufgang: Neben der Durchhaltekraft haben Sie auch gelernt, Menschen zu führen. Das ist nicht leicht. Gehört das zu Ihren persönlichen Stärken?
Lanzl: Es ist überhaupt nicht leicht, Menschen zu führen. Auf diesem Gebiet lernt man nie aus. Aber es ist ein schönes Erlebnis für mich, zu sehen, wenn Menschen, unterstützt durch meine Führung erfolgreich und auch mit Freude arbeiten.
Aufgang: Welche Fähigkeit brauchen Sie, um Menschen führen zu können?
Lanzl: Ich muss eine klare Vorstellung vom Weg haben, auf den ich führen möchte. Dabei muss ich überlegen, wie Leute eingebunden werden können und welche Informationen sie benötigen, um die Ziele zu sehen. Es ist wie beim Bergwandern. Wenn der Führer seinen Weg nicht kennt, nicht weiß, auf welchen Gipfel er will oder was er seinen Leuten zumuten kann, dann geht es schief. An diesem Bild erkenne ich meine Führungsaufgabe.
Aufgang: Souveränität in der Fach- und Sachkompetenz sind Voraussetzungen.
Lanzl: Nicht einmal so sehr. Ich hatte Gott sei Dank ausgezeichnete Mitarbeiter, die mir in manchen fachlichen Aspekten überlegen waren. Ich muss in der Lage sein, diese Überlegenheit anzuerkennen und zu nutzen. Ich muss die Fachkompetenzen der einzelnen Leute zusammenführen und darauf achten, dass sie sich gegenseitig unterstützen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
Aufgang: Das sind sogenannte Soft Skills [Fähigkeit im Umgang mit Menschen], also emotional-soziale Fähigkeiten. Braucht man dazu auch Intuition?
Lanzl: Man muss menschliche Fähigkeiten analysieren können. Was kann der Mitarbeiter und was kann er nicht? Natürlich hilft auch Intuition. Je länger ich diese Prozesse leite, desto besser kann ich mich auf die Intuition verlassen. Aber gerade als Anfänger muss man analysieren und überlegen. Ich muss nicht unbedingt fachlich besser sein als meine Mitarbeiter, aber ich muss in der Lage sein, ihnen Ziele und Richtung vorzugeben. Weil es wichtig ist, dass sie in ihrer Arbeit nicht eingeschränkt werden, gehe ich sehr systematisch und analytisch vor. Wenn ich dann sehe, wie die einzelnen Prozesse ineinandergreifen, Mitarbeiter gut und mit Erfolg zusammenarbeiten, habe ich Freude an meiner Arbeit. Es ist eine wunderbare Aufgabe, zu sehen, wenn sich die Mitarbeiter gegenseitig motivieren und am Ende Ergebnisse herauskommen, die meine Erwartungen übertreffen.
Aufgang: Analyse ist wichtig, aber es muss auch ein Gesamtbild entstehen.
Lanzl: Die Analyse steht am Anfang, die verschiedenen Kräfte müssen sich stärken, damit Synergien entstehen können.
Aufgang: Diese Fähigkeiten sind nicht jedem gegeben.
Lanzl: Stimmt. Diese Fähigkeit braucht aber auch nicht jeder. Wenn alle Menschen führen wollen, hat man am Ende nur noch einen Kampf um die wenigen Führungspositionen. Man braucht mehr Spezialisten, die mit hervorragenden Fachkenntnissen ausgezeichnete und detaillierte Lösungen erarbeiten. Es muss unterschiedliche Talente und Aufgaben geben.
Aufgang: Und Ihr Talent ist das Führen?
Lanzl: Man hat mir zumindest oft gesagt, ich könne gut führen. Ich war hier immer anerkannt und es bereitet mir auch Spaß.
Aufgang: Dann stehen Sie am richtigen Ort. Hatten Sie nie Angst?
Lanzl: Angst nie. Ich habe aber öfter Zweifel. Man muss sich immer wieder selbst hinterfragen: Ist es richtig, was ich mache? Gebe ich meinen Mitarbeitern den richtigen Input? Stimmt die Zielrichtung? Wenn man sich nicht selbst hinterfragt, ist die Gefahr groß, dass man etwas Falsches macht. Man braucht Abstand, aber Angst ist nicht im Spiel.
Aufgang: Was muss konkret hinterfragt werden?
Lanzl: Von einfachen fachlichen Dingen angefangen, z.B., ob Methode oder Arbeitsgeschwindigkeit richtig sind, bis hin zum Führungsstil: Habe ich mit meinen Mitarbeiter passend kommuniziert? Es gibt auch Konflikte und Krisengespräche, bei denen man durchaus kritische Worte finden muss. Dann muss geprüft werden, ob man den betreffenden Mitarbeiter verletzt hat und er sich deswegen vielleicht zurückzieht. Oder: Bin ich gegenüber einem Mitarbeiter nicht klar genug, bin ich zu nachgiebig, woraufhin der Mitarbeiter zu viel Eigennutz durchsetzt. Diese Situationen mit den richtigen Worten auszubalancieren ist sehr schwer.
Aufgang: Sich selbst hinterfragen heißt auch, offen zu sein für andere und seine Position nicht absolut zu setzen. Hier geht es um bewusstes Wahrnehmen. Herbert von Karajan hat diese Rolle bei der Führung der Berliner Philharmoniker nicht gespielt.
Lanzl: In einem Orchester kann man kaum darüber diskutieren, welche Interpretation die richtige ist. Sie wird vom Dirigenten vorgegeben. Ich denke aber, dass Karajan sich die Frage, welche Interpretation die angemessene ist, sicherlich gestellt hat. Und in diesem Punkt war er dann bestimmt auch selbstkritisch, wenngleich er sich nach außen hin als Autorität zeigen musste. In der Industrie kann man als Führungskraft mit guten Mitarbeitern durchaus diskutieren und ihnen die Frage stellen, was sie vom eingeschlagenen Weg halten.
Aufgang: Ich denke beim Führen auch noch an eine andere Persönlichkeit: Steve Jobs, von dem berichtet wird, er führte die straffe Regentschaft auf Kosten seiner Mitmenschen.
Lanzl: Ich habe gehört er sei ein Genie gewesen, mit dem die Leute zusammengearbeitet haben oder auch nicht. Aber scheinbar gab es auf menschlichem Gebiet genügend Konflikte.
Aufgang: Steve Jobs hat seine Ziele scheinbar mit aller Härte verfolgt. Das Menschliche war für ihn weniger wichtig. Priorität hatte der Erfolg des Produkts. Sie aber berichten von der Kunst der Menschenführung. Für den menschlichen Menschen steht das Phänomen des Staunens und der Offenheit gegenüber Mitmenschen im Vordergrund. Von hier aus ist der Bogen zum Sich-selbst-Hinterfragen nicht weit. Die Kunst der Menschenführung ist nicht selbstverständlich. Es wird hier sehr viel Missbrauch getrieben. Menschen in Führungspositionen stellen sich oft zu wenig die Frage nach dem richtigen eigenen Handeln.
Lanzl: Es gibt Dinge, die man lernen kann. Gerade von meinem ersten Vorgesetzten in der privaten Wirtschaft habe ich in dieser Hinsicht sehr viel gelernt, zum Beispiel, dass man sich als Führungskraft hinterfragen muss. Wenn Mitarbeiter nur zehn Prozent weniger Leistung erbringen, weil sie sich über den Chef ärgern, dann wird bei zehn Mitarbeitern eine ganze Stelle verschwendet. Solche Dinge wurden mir von meinem Chef ans Herz gelegt. Er hat mit mir darüber diskutiert, ob ich als Führungskraft richtig handle. Vor allem aber hat er einer Führungskraft zugestanden, auch einmal Fehler zu machen.
Aufgang: Wir sind alle nicht perfekt, machen alle Fehler. Als Junglehrer macht man viele, aus denen man dann lernt. Heißt sich selbst hinterfragen auch sich Fehler eingestehen können?
Lanzl: Auf alle Fälle. Ich möchte die Führungskraft sehen, die keine Fehler macht. Sie wäre nicht menschlich. Mittlerweile ist es Standard, sich bei Mitarbeitern zu entschuldigen, wenn man Führungsfehler gemacht hat. Diese Verhaltensweise ist heute nicht nur akzeptiert, sondern erforderlich. So autoritär führen wie in den 50er-Jahren ist nicht mehr möglich. Diesen Führungsstil lässt sich kein Mitarbeiter gefallen. Er sucht sich dann sehr schnell eine andere Firma.
Aufgang: Kann man sich das als Mitarbeiter leisten?
Lanzl: Selbstverständlich. Ich würde sogar sagen: wesentlich mehr als früher. Früher war man mit der Firma vielleicht sogar „ein bisschen verheiratet“, aber heute gibt es den familiären Zusammenhalt zwischen Angestellten und der Firma nicht mehr.
Aufgang: An vielen Schulen haben die Rektoren heute die Qual der Wahl. Sie brauchen ihren Führungsstil oft nicht zu hinterfragen, weil sie bei der Einstellung von Bewerbern meist aus dem Vollen schöpfen können. Wenn jemand die Schule verlässt, wird eben ein anderer eingestellt.
Lanzl: An einer Schule kann man sich das vielleicht eher erlauben, weil man weniger im Team arbeitet. Im industriellen Unternehmen ist es fast immer auch ein finanzieller Verlust, wenn ein Mitarbeiter die Firma verlässt. Ein neuer Mitarbeiter muss sich erst einarbeiten und mit den Kollegen vernetzen. Es ist auch nicht klar, ob und wie er in die Gesamtkonstellation passt. Das kostet Geld, Zeit und Aufwand, ist also unökonomisch. An der Schule hingegen arbeiten Kollegen eher unabhängig voneinander. In der Industrie versucht man – mit Ausnahmen – Mitarbeiter zu halten.