Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst. Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha

Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst - Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha


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Unter Umständen ja. Man kann mit Geld kaum zusätzlich motivieren, aber man kann demotivieren. Wenn ein Mitarbeiter den Eindruck hat, er verdiene zu wenig, kann das so demotivierend sein, dass er kündigt. Dann muss auch an der Gehaltsschraube gedreht werden.

      Aufgang: Welche anderen Möglichkeiten gibt es, Mitarbeiter zu halten?

      Lanzl: Viele. Alle Mitarbeiter brauchen positives Feedback und Anerkennung. Hier können Vorgesetzte zur Motivation beitragen.

      Wenn jemand unterfordert ist, kann man diesen Mitarbeitern spezielle Projekte übertragen. Es gibt die Möglichkeit einer Beförderung. Manchmal passt auch nur der Arbeitsplatz nicht, wenn es z.B. zu laut ist oder die Beleuchtung nicht stimmt.

      Aufgang: Sie waren sieben Jahre in diesem Unternehmen. Was kam danach?

      Lanzl: Ich war sieben Jahre in der Entwicklung von spezifischen Automobilkomponenten in den Funktionen Entwicklungsspezialist, Projektleiter und Abteilungsleiter. Das war interessant, aber auf Dauer auch etwas eintönig. Auf Basis meiner sehr fundierten Kenntnisse in der Automobilbranche habe ich mir eine Aufgabe gesucht, mit der ich meinen Horizont entscheidend erweitern konnte. Diese Aufgabe habe ich bei einem japanischen Unternehmen im Vertrieb von Automobilkomponenten gefunden.

      Aufgang: Waren Sie öfters in Japan?

      Lanzl: Ich war bis jetzt 15 Mal in Japan.

      Aufgang: Sind Sie mit der Kultur des Landes auch in Kontakt gekommen?

      Lanzl: Natürlich. Es gibt japanische Kollegen und Vorgesetzte, an deren Arbeitsstil man sich kulturell anpassen muss. Es war eine sehr reizvolle, schöne Aufgabe. Vorher war ich bei dem regional verwurzelten Unternehmen tätig und plötzlich fand ich mich in einem internationalen Konzern mit japanischer Führung wieder.

      Aufgang: Was hat Sie an der japanischen Kultur besonders beeindruckt?

      Lanzl: Die langfristige Denkweise.

      Aufgang: Eine vorausschauende, philosophische Denkweise? Was machen die Japaner anders?

      Lanzl: Unser Menschenbild ist mehr individuell ausgerichtet, während in Japan die Gruppe wichtiger ist. Bei uns bringt jeder seine eigenen Ideen ein und möchte diese oft durchsetzen, was natürlich auch eine unserer Stärken ist. Deswegen gelingen uns viele Erfindungen. Ein solches Verhalten finden wir in Japan weniger. Die Menschen sind sehr stark in Gruppen integriert. Aufgrund dieser Gruppendynamik überlegen die Mitarbeiter gemeinsam, welches Ziel sie verfolgen wollen. Entscheidungsprozesse dauern für europäische Maßstäbe sehr lange. Als Europäer braucht man hier viel Geduld. Aber wenn einmal eine Entscheidung vorliegt, ist sie Ergebnis eines Gruppenprozesses, die ein Einzelner dann kaum mehr umdirigieren kann. Dieser Findungsprozess ist langfristig angelegt. Es war für mich faszinierend, mit welcher Geduld, Entschlossenheit und Geschlossenheit eine japanische Firma agiert.

      Aufgang: Ein kultureller Unterschied, Geduld, Geschlossenheit, Gruppenbewusstsein. Der Zen-Buddhismus ist eine seit vielen Jahrhunderten wichtige Tradition in Japan. Das Aufgehen in einem großen Ganzen und geistig-praktisches Handeln sind wichtig. Ein solcher Geist ist in Japan lange Zeit gepflegt worden. Anscheinend ist er trotz der Globalisierung heute immer noch anwesend.

      Lanzl: Trotz der anscheinend globalisierten Welt gibt es immer noch regionale Unterschiede. Es ist sehr spannend in einer wirklich internationalen Umgebung zu arbeiten. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass mir in diesem Unternehmen eine Beförderung zur Direktorin für Marketing im Bereich Bau und Industrie angeboten wurde. Ich konnte hier meine bisherigen Erfahrungen aus der Entwicklung und dem Vertrieb einbringen. Jetzt war ich dafür verantwortlich, die Produkte zu definieren, die diese Firma in der Zukunft braucht, um erfolgreich zu bleiben. Die technische Beratung und die Kommunikation gehörten ebenfalls zu meiner Aufgabe. Die Stelle war in Brüssel angesiedelt. Ich bin dazu drei Jahre zwischen Brüssel und München gependelt und habe in beiden Städten gelebt.

      Aufgang: Sie waren also immer offen für Veränderungen in Ihrem Leben?

      Lanzl: Ja. Das Grundlegende nimmt man natürlich immer mit. Wie führe ich Leute? Wie gehe ich mit Menschen um? Wie strukturiere ich meine Arbeit? Wichtig ist auch Verständnis für Technik und Physik.

      Aufgang: Offenheit ist ein Aspekt dafür, sich verändern zu können. Viele Menschen haben Angst vor Veränderung. Hängen Offenheit und Angst indirekt zusammen? Kennen Sie Lebensangst?

      Lanzl: Nein. Ich kann mich auch nicht erinnern, in der Kindheit Angst gehabt zu haben. Vielleicht waren hier Verhaltensweisen meiner Eltern maßgebend, die uns Kindern gesagt haben: Probiert doch etwas aus! Dieses Experimentieren-Dürfen wurde vom Elternhaus gefördert.

      Aufgang: Und es scheint ein wichtiger Faktor für ein gesundes menschliches Wachstum zu sein.

      Lanzl: Dazu kommt die Erlaubnis, auch Fehler machen zu dürfen.

      Aufgang: So kommen Sie in der Führungsposition dahin zu sagen, ich kann mir Fehler eingestehen und korrigieren.

      Lanzl: Wenn ich den Anspruch hätte, nie Fehler machen zu dürfen, wäre ich blockiert und damit handlungsunfähig. Mittlerweile hat sich in vielen Management-Schulen diese Haltung durchgesetzt: Verschleiere die Fehler nicht! Fehler zu verschleiern kostet sehr viel Geld. Fehler zu machen ist menschlich.

      Aufgang: Sie haben noch einmal die Firma gewechselt und arbeiten als Global Marketing Direktorin wieder in München. Welche Aufgabe haben Sie jetzt?

      Lanzl: Ich bin bei einem amerikanischen Unternehmen für das weltweite Marketing einer Division verantwortlich. Diese Division hat ihren Hauptsitz in Deutschland und stellt Komponenten her, die in der Labor-, Medizin- und Umwelttechnik eingesetzt werden.

      Aufgang: Sie müssen eine Gruppe von Menschen führen. Wie viele Leute sind das?

      Lanzl: Das sind im Moment fünfzehn, vier davon in USA, zwei in China, der Rest ist hier in München.

      Aufgang: Dann fliegen Sie öfters nach USA und China?

      Lanzl: Gott sei Dank ersparen Internet-Konferenzen heute viele der anstrengenden Flüge. Man muss sich natürlich auch persönlich treffen, damit man adäquat führen kann. Der menschliche Aspekt ist sehr wichtig.

      Aufgang: Was würden Sie jetzt angesichts Ihrer langen beruflichen Erfahrung zum Thema Wachstum sagen? Was bedeutet für Sie ein gutes persönliches Wachstum?

      Lanzl: Ich glaube, es ist wichtig, sich immer persönlich und fachlich zur eigenen Zufriedenheit hin zu entwickeln.

      Aufgang: Eine sehr philosophische Antwort. Und was gehört für Sie zu einem guten ökonomischen Wachstum? Kann man es unabhängig vom Faktor Mensch sehen oder muss der Mensch in Analyse und Reflexion immer mit einbezogen werden?

      Lanzl: Das ökonomische Wachstum hat nur dann Bestand, wenn der Mensch einbezogen wird. Es kann zwar kurzfristig auch einmal unabhängig vom Menschen wachsen, aber daraus ergeben sich für mich die sogenannten „bubbles“. Irgendwann bricht eine vom Menschen unabhängige Wachstumsentwicklung ein. Wachstum wird vom Menschen erzeugt. In der Thermodynamik habe ich physikalische Grundregeln kennengelernt, die nach meiner Meinung weit über die Physik hinaus gelten. Eine davon ist: Jedes System strebt zum Gleichgewicht. Wenn ich ein System habe, das ein tolles ökonomisches Wachstum zeigt, aber die Menschen nicht mitnimmt, dann befindet sich das System im Ungleichgewicht. Dieser Zustand ist instabil und wird sich früher oder später ändern. Im schlimmsten Fall mit Gewalt. Eine weitere Regel aus der Thermodynamik lautet: Wenn man Wachstumsfortschritt möchte, muss man Energie in das entsprechende System stecken.

      Aufgang: Frau Lanzl, ich bedanke mich für dieses wunderbare, aus meiner Sicht sehr philosophische Gespräch.

      I. Hauptthema: Facetten des Wachstums

      Rüdiger Haas

      ALDI und das Phänomen des Unpersönlichen

      Eine Betrachtung


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