Der Masanao Adler. Dieter R. Fuchs

Der Masanao Adler - Dieter R. Fuchs


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Keiko ins Chefbüro und nickte dem Leibwächter Masato Saito kurz zu, so dass dieser ebenfalls eintrat und die Tür hinter sich schloss. Yamagata gab den beiden ›Versagern‹, wie er sich mehrfach ausdrückte, keine Gelegenheit zu antworten, bis er seine Verärgerung wieder unter Kontrolle hatte.

      »Michiko, wie können Sie mir diese Schlamperei erklären?«

      Weiterhin in einer ergebenen Verbeugung verharrend, versuchte die IT-Leiterin, die technologisch für alle Abhöraktivitäten verantwortlich war, ihrem Chef mit zitternder Stimme das Problem zu erläutern: »Verehrter Herr Yamagata, verzeihen Sie mir mein natürlich unentschuldbares Versagen, wir werden dieses Problem umgehend lösen und Ihre Vorgaben künftig zu Ihrer vollen Zufriedenheit erfüllen. Wir haben uns wie gewünscht in die Kommunikations- und Datennetze des UNTACH erfolgreich eingeklinkt. Wie Sie aus der Audio-Kopie des Vortrags von Doktor Renke wissen, auch in eigentlich unzugänglichen Sicherheitsbereichen wie dem mit sehr spezieller Technik ausgestatteten Sitzungsraum, in dem diese heutige Besprechung stattfand. Leider übersteigt die gigantische Datenmenge, mit der die von Professor Wang konzipierte Visualisierungstechnologie arbeitet, unsere technischen Möglichkeiten vor Ort. Rein elektronisch können wir die Inhalte der 3-D-Projektionen nicht anzapfen. Wir müssten also Zusatzinstallationen dort vornehmen, mit allen in Anbetracht der außerordentlichen Sicherheitsstandards verbundenen Risiken.«

      Yamagata antwortete mit einem höhnischen Lachen: »Ahhh, also zuerst versprechen Sie mir, dieses Problem zu lösen, und dann räumen Sie ein, dass dies technisch unmöglich sei … das hebt mein Vertrauen in Ihre Kompetenz natürlich ganz ungemein! Doch nun zu den eigentlichen Kernpunkten dieses unsäglichen Versagens: Abe, wie konnte deinen Leuten entgehen, dass im UNTACH ein solcher Koffer mit Dokumenten über das Netsuke existiert? Wieso kenne ich dieses wichtige Quellenmaterial nicht, obwohl ich in den letzten Jahren eine Unsumme Geld eingesetzt habe, um an jede relevante Information zu diesem Netsuke zu gelangen? Woher stammt dieses Material, gibt es dort weitere wichtige Unterlagen? Und vor allem: Wo ist das Leck in unserem System, durch das Renke auf die Idee kam, dass das Netsuke Träger einer wichtigen Botschaft sein könnte und dass es einen Bezug zu meinen Vorfahren gibt? Ich bin sehr darauf gespannt, ob deine Ausrede genauso läppisch ist wie die unserer Frau Keiko!«

      Der Sicherheitschef war an sich eine stattliche Erscheinung und überragte seinen Chef deutlich, machte aber im Moment eine erbarmungswürdige Figur. Er hatte eine lange, harte Zeit bei Tamagi hinter sich und sowohl seine Loyalität als auch seine Kompetenz über viele Jahre unter Beweis gestellt. Er genoss bislang volles Vertrauen und fühlte sich elend, derart in Ungnade zu fallen. Denn genau dies sah er als unausweichliche Konsequenz der heutigen Ereignisse. Ihm war die besondere, persönliche Bedeutung der Operation im UNTACH für den Konzern-Chef bewusst.

      »Verehrter Herr Yamagata, ich würde mir meine rechte Hand abschneiden, wenn ich mein Versagen dadurch wiedergutmachen könnte«, fiel entsprechend verzweifelt die Antwort von Abe Tomoji aus. »Es ist mir unerklärlich, wie eine so wichtige Dokumentation im UNTACH existieren kann, ohne dass wir dies bei unseren umfassenden Recherchen erfahren hatten. Hinsichtlich einer undichten Stelle bei unseren Mitarbeitern bin ich fest davon überzeugt, dass es eine solche nicht gibt und dieser Wissenschaftler auf anderen Wegen zu seinen Spekulationen kam. Wenn Sie mich noch einmal mit Ihrem Vertrauen ehren, schwöre ich Ihnen, diese Fragen zu klären oder nie wieder vor Ihre Augen zu treten, bei meinem Leben.«

      Yamagata blickte eine kurze, den beiden Mitarbeitern endlos erscheinende Weile auf deren tief geneigte Köpfe, wandte sich ab und trat an die Fensterfront. Er sah in der Ferne das UNTACH-Gelände, diesmal ohne dass ein Lächeln aufkam. Seine Stimme klang sanft und dennoch einschüchternd: »Geht mir aus den Augen. Ich erwarte morgen eine befriedigende Auskunft über die offenen Punkte und einen Vorschlag, wie wir die bestehenden Hindernisse überwinden können. Masato, schick mir Naomi herein, wenn du die beiden hinausbegleitet hast.«

       Leben im UNTACH

      Claudia hatte am späteren Nachmittag dem ganzen Team eine Kurzmitteilung auf ihre Kommunikations-Armbänder geschickt. Sie enthielt Uhrzeit, Raumnummer und eine digitale Reservierungsbestätigung, ohne die ein Zugang zum Restaurantbereich des Science Club unmöglich gewesen wäre. Außerdem wurde auf diesen Gadgets automatisch eine Erinnerungs- sowie Navigationsfunktion aktiviert, die im labyrinthischen Wegesystem des riesigen Geländes für eine möglichst bequeme und pünktliche Ankunft sorgte.

      Die Mehrzweckgeräte in der Größe einer Armbanduhr waren kleine Wunderwerke der Technik. In Anlehnung an eine klassische Schweizer Kult-Uhr nannten alle sie scherzhaft nur kurz ›Rolix‹. Jeder, der sich im UNTACH-Bereich aufhielt, wurde damit ausgestattet und man konnte sich außerhalb seines eigenen Wohnraums nur bewegen, wenn man sie trug. Sie vereinigten in sich die Funktionen eines Smartphone der neuesten Generation sowie das Zugangs- und Kostenbuchungs-System für alle individuell freigegebenen Türen, Einrichtungen, Geräte und Dienstleistungen im gesamten Komplex. Ein wichtiges weiteres Leistungsmerkmal waren unterschiedlichste Identifikationsfunktionen, welche für eine in jeder Hinsicht hohe Sicherheit sorgten, ohne dass der Träger hierüber Detailkenntnisse hatte.

      Der hohe Überwachungsgrad bei UNTACH war für viele anfangs gewöhnungsbedürftig. Ein Großteil des täglichen Lebens spielte sich quasi unter vollständiger Beobachtung ab und man verbrachte nicht nur einige Stunden oder Tage, sondern in der Regel mehrere Wochen in dieser Situation.

      Ausgenommen waren die Wohnareale, die nur an den äußeren Zugangstoren akribisch kontrolliert wurden, während innen die gemeinschaftlichen Bereiche und Wege nur mit herkömmlicher Videoüberwachung ausgestattet waren, so wie eben in den Straßen und öffentlichen Gebäuden in jeder Großstadt üblich. Die privaten Apartments waren frei von Überwachungstechnologie, zumindest war dies die offizielle Version.

      Marco Renke und seine vier Mitarbeiter wohnten in jeweils unterschiedlichen Flügeln der überirdisch gelegenen Wohnbereiche. Er hatte in Anbetracht der langen Zeit, die man hier gemeinsam arbeiten würde, etwas räumliche Distanz zueinander als sinnvoll angesehen. Es existierten vier unterschiedliche Kategorien von Apartments und sie alle logierten in der besten, da dies das Projektbudget problemlos zuließ. Jeder in seinem Team verfügte über einen schön möblierten Wohnraum mit exzellenter Medienelektronik, Küchennische sowie Büroecke. Es gab ein separates Schlafzimmer, an das ein kleiner, aber gut gestalteter Wellness-Bereich angrenzte. Das Beste an diesen Apartments der obersten Klasse war jedoch, dass sie große Fenster zum parkähnlich angelegten Freigelände des UNTACH-Areals hatten. Die Apartments niedriger Kategorien, die sich fensterlos in den Untergeschossen oder im Kern der riesigen Gebäude befanden, wären deutlich kleiner und einfacher ausgestattet gewesen.

      Für viele Wissenschaftler, die hier kürzere Zeit verbrachten, spielte dies allerdings keine Rolle, da sie sowieso die meiste Zeit in den Laboratorien, Büros, Archiven oder Sitzungsräumen verbrachten, also ihre Wohnräume nur zum Schlafen aufsuchten. Außerdem boten die allgemein zugänglichen Freizeit- und Sportanlagen jedem, egal wie er untergebracht war, genug Optionen zur Abwechslung vom ›Höhlendasein‹ während der Arbeitszeiten. Auch hinsichtlich der auf den Rolix gespeicherten Budgetgrenzen für Freizeitaktivitäten, Kantinen und Restaurants, Getränke- und Snackautomaten, Sportanlagen und vielem mehr, war Marco großzügig gewesen. Sie hatten praktisch unlimitierten Zugang zu allem, was die UNTACH-Infrastruktur hergab.

      Weniger Spielräume und selbstbestimmte Wahlmöglichkeiten bestanden im Allgemeinen, was den Zugang zu den Archiven und Forschungseinrichtungen tief unten im Hochsicherheitsbereich betraf. Dort war durch die Klassifizierung der Untersuchungsobjekte und die Bewilligungsdokumente genau vorgegeben, zu welchen Bereichen die einzelnen Forscher jederzeit Zugang hatten und zu welchen nur nach vorheriger Anfrage und gegen zusätzliche Kostenbuchung. In dieser Hinsicht zählten Marco und sein Team ebenfalls zu den Privilegierten, wie sie bald nach Ankunft feststellen konnten. Ihre Projekteinstufung und Sicherheitsfreigabe ließen kaum Wünsche offen und sie waren in der komfortablen Lage, sich in den unterirdischen Forschungssektionen des UNTACH recht frei bewegen zu können.

      Doch im Moment lagen die Tiefen dieses Labyrinths mit seinen Kunst- und Kulturschätzen weit unter ihnen, denn gegen achtzehn Uhr waren sie bereits in den oberen Etagen unterwegs und freuten sich auf das Dinner mit ihrem Chef.

      Es


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