Vergiss mein nicht!. Kasie West

Vergiss mein nicht! - Kasie West


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ein paar Minuten aus dem Zeitplan geworfen. Genau in dem Moment, als ich die Autotür öffne,knallt ein Football gegen meine Windschutzscheibe. »Willst du mich verdammt noch mal verarschen?«, fauche ich.

      »Entschuldige«, sagt Duke und rennt los, um sich seinen Ball zu schnappen, der abgeprallt und eineinhalb Meter weiter geflogen ist.

      »Gehst du irgendwo auch ohne das Ding hin?«

      »Wenn ich keinen Football dabeihabe, könnte es sein, dass man mich nicht erkennt.«

      Na klar! Ich schaue zu ihm hoch. Seine perfekten blonden Wuschelhaare und sein umwerfendes Lächeln strahlen mir entgegen. Hexy. War das nicht Lailas Wort gewesen? Passend, aber das werde ich ihr niemals sagen, sonst stirbt sie nachher noch an Selbstüberschätzung. Ich schnappe mir meinen Rucksack vom Boden der Beifahrerseite und steige aus. »Und das wäre ja eine Tragödie.«

      Er lacht. »Ich hab bloß trainiert. Ziemlich großes Spiel, das da ansteht.«

      »Tja, vielleicht solltest du lieber auf dem Platz trainieren, weit weg von allen Leuten. Deine Treffsicherheit lässt nämlich ein bisschen zu wünschen übrig.« Ich schultere meinen Rucksack und gehe.

      »Ich treffe nie daneben, Addie«, ruft er mir hinterher.

      Was sollte das nun wieder bedeuten? Dass er beim letzten Mal probiert hat, mir den Schädel zu zertrümmern? Und eben, hatte er es da auf meine Windschutzscheibe abgesehen? Was hatte ich ihm eigentlich getan?

      Auf dem halben Weg zum Klassenzimmer holt Laila mich völlig außer Atem ein. Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch und fasse es nicht, dass sie gerannt ist, um pünktlich zu kommen.

      Sie liefert mir eine Erklärung: »Heute kann ich mir Nachsitzen während der Mittagspause nicht leisten.«

      »Niemand mehr da zum Flirten?«

      »Stimmt sogar. Gregory hatte gestern seinen letzten Tag.« Ich verdrehe die Augen. »Wie nett, eine Person zur besten Freundin zu haben, die je nach Jungslage entscheidet, ob sie pfichtbewusst sein will oder unzuverlässig.«

      »Großartig, dass du die Meine-Eltern-haben-sich-geradescheiden-lassen-und-deswegen-darf-ich-biestig-sein-wieich-will-und-alle-müssen-Verständnis-haben-Einstellung so gut unter Kontrolle hast.«

      Ich lächle. »Tut mir leid, dass ich so biestig bin.«

      »Ja, mir auch. Könntest du daran noch arbeiten? Das ruiniert mein soziales Leben.« Sie hakt sich bei mir ein und legt ihren Kopf auf meine Schulter. »Es tut mir leid, dass dein Leben so beschissen ist.«

      »So beschissen ist es gar nicht. Ich war nur all die Jahre verwöhnt.«

      »Ich weiß, deine Eltern haben dir einen miesen Dienst erwiesen, indem sie dir so eine tolle Kindheit ermöglicht haben.«

      »Entschuldige.« Ich sage das, weil mir bewusst wird, wie egoistisch ich mich benehme. Lailas Elternhaus ist die Hölle und sie beschwert sich nie. Keiner wusste davon, dass ihr Vater wegen Drogenproblemen seinen Job verloren hat. Das gesamte Haushaltsgeld geht für seine Sucht drauf, während ihre Mutter die ganze Zeit schuftet, damit sie über die Runden kommen.

      Als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagt Laila: »Fang bloß nicht an mich zu bemitleiden. Du weißt, wie sehr ich das hasse.« Sie drückt meinen Arm und richtet sich dann auf. »Willst du am Freitag mit zu dieser Party? Ich verspreche auch, dir nicht von der Seite zu weichen.«

      Mein Gehirn versucht schnell eine Ausrede auszuspucken, irgendeine Ausrede, aber ich weiß bereits, dass mein Freitagabend ganz und gar nicht verplant ist und dass ich eine furchtbar schlechte Lügnerin bin. »Na klar. Klingt nach Spaß.«

      »Du bist die Königin des Sarkasmus, Süße, aber ich hol dich um neun ab, damit du mich nicht sitzen lässt.«

      Ich öffne die Tür zur Morgenmeditation. »Was würde ich ohne dich bloß tun?«

      »Wahrscheinlich dich verkriechen und vor lauter Langweile sterben.« Sie denkt kurz nach. »Nein, doch nicht, höchstwahrscheinlich hast du deinen Tod bereits in deinem Organizer eingetragen, in sechzig Jahren irgendwo zwischen Hausarbeit und Yoga.«

      »In sechzig Jahren will ich lieber keine Hausarbeit mehr haben.« Ich steige in meine Kabine. Der kleine Flachbildschirm an der Wand leuchtet bei meinem Eintritt auf und die Abkürzung ATF – Amt für Talentförderung – erscheint in fett gedruckten Buchstaben. Genug eigentlich, um mir das Lächeln aus dem Gesicht zu wischen, wenn da nicht noch die Sprecherin gewesen wäre, die als Nächstes erscheint.

      Meine Mutter.

      Sie entwickelt Programme für das ATF. Es kommt selten vor, dass sie morgens auf dem Bildschirm auftaucht. Es ist offensichtlich eine Aufzeichnung ihres lächelnden Gesichts, die abgespielt wird, und ich erfahre, dass sie ein neues Gedankenmodell einführen, das genau auf unsere jeweilige Talentoption abgestimmt ist. Sie macht nicht wirklich mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, aber ich kann sie in ihrer Stimme hören. Erwachsene legen oft Wert auf den Zusatz »Option«, wenn es um unsere Talente geht, so lange, bis wir unseren Abschluss gemacht und die Tests als offizielle Bewährungsprobe absolviert haben. Als wollten sie uns daran erinnern, dass wir noch nicht qualifiziert genug sind und sie immer noch brauchen, um unser volles Potential zu erreichen.

      »Lehnt euch also zurück, entspannt euch und erweitert euren Verstand«, sagt das Gesicht meiner Mom.

      Töne erklingen, während Bilder in rascher Abfolge über den Bildschirm flimmern. Ich lehne mich zurück. Entspannung kommt überhaupt nicht infrage.

      NORMal – dem Standard entsprechend

      Ich liege auf dem Sofa in unserem neuen Haus und starre auf den Deckenventilator, der sich langsam im Kreis dreht. Das ist sicher der ineffizienteste Weg, einen Raum zu kühlen. Ich sehne mich nach der Gegenstromklimaanlage in unserem Haus im Sektor. Mein Dad ist mit mir in ein möbliertes Mietshaus gezogen, in Dallas, Texas. Vom Zustand und Stil der Ausstattung her muss es vor vierzig Jahren eingerichtet worden sein. Abgesehen von den Uralt-Möbeln ist das Haus kahl – seine Wände sind weiß und leer.

      Auf dem Boden um mich herum habe ich die Pflichtlektüre ausgebreitet, die ich beim Verlassen des Sektors ausgehändigt bekommen habe. Wenn man bedenkt, dass ich den halben Tag im Turm verbracht habe, bevor wir losgefahren sind – ich musste an einem vorgeschriebenen Norm-Training-Kurs teilnehmen, wurde über meine neue Vorgeschichte unterrichtet und erhielt Norm-Papiere wie Führerschein und Geburtsurkunde –, hatte ich nicht geglaubt, dass es noch irgendetwas geben würde, das in meinen Kopf passen könnte. Ich hatte mich geirrt. Zum Abschluss gaben sie mir noch Lesematerial mit – ein extra dickes Paket, das meine Norm-Geschichtskenntnisse auffrischen sollte.

      Ich war nicht untätig geblieben, um diesem Roman von einer Hausaufgabe aus dem Weg zu gehen, verfasst von jemandem, der nicht ansatzweise vorhatte, das Ganze auch nur im Geringsten unterhaltsam zu gestalten. Ich hatte ausgepackt und mein Zimmer eingerichtet – bis hin zu den Klamotten, die ich nach Farben einsortiert hatte. Sogar die unausgepackten Kartons hatte ich durchforstet, auf der Suche nach meinem Bücherkarton, den ich ganz deutlich mit schwarzem Edding beschriftet hatte, um genau diese Situation zu vermeiden. Keine Ahnung, wo sich der Karton jetzt befindet. Wahrscheinlich irgendwo in der Garage unter den Hunderten von Kartons begraben, auf denen stehen sollte: »Dads Müll«.

      Ich schnappe mir einen Teilabschnitt aus dem Paket Erster Weltkrieg und fange an zu lesen. Die Normalen glauben, dass Erzherzog Franz Ferdinand kein Paranormaler war. Sie machen eine politische Intrige für seine Ermordung verantwortlich und nicht die Tatsache, dass die Leute fürchteten, er könne sie mit seinem Verstand kontrollieren. Ich sage das ein paar Mal vor mich hin: »Der Erste Weltkrieg ist nicht wegen eines Paranormalen ausgebrochen.« Ich blättere noch ein bisschen durch die Kriegsgeschichte der Normalen, dann lege ich den Packen zur Seite, greife nach dem Abschnitt über die Raumfahrt und rufe mir ein paar seltsame Vorstellungen ins Gedächtnis, die sie hier über die Mondlandung haben.


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