Vergiss mein nicht!. Kasie West

Vergiss mein nicht! - Kasie West


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lustig. Meine Tochter, die Komikerin. Ganz abgesehen davon, dass sie überraschend gut mit vollem Mund sprechen kann.«

      »Es ist eine Gabe.«

      Er gibt mir einen Klaps mit dem Umschlag auf den Kopf und öffnet ihn dann. Zuerst zieht er eine Art Ausweis heraus.

      »Was ist denn das?«

      Er dreht ihn mir zu. »Ich hab meinen Sektor-ID im Büro vergessen.«

      Das holografische Logo springt mir ins Gesicht. Der Ausweis sieht genauso aus wie meiner, nur dass seiner ihn als Erkenner ausweist, meiner mich für minderjährig erklärt. Oh, und natürlich sind unsere Fotos unterschiedlich. Ich mustere seins genauer. Würde mein Dad sein Haar nicht so streng scheiteln, könnte er sogar richtig cool rüberkommen. Mit seinem vollen schwarzen Haar und seinem kräftigen Kinn sieht er gar nicht schlecht aus. »Dad! Den Sektor-ID vergessen? Wie kann das sein? Oder will irgendetwas in deinem Unterbewusstsein nie wieder zurück?«

      Er presst kurz den Kiefer zusammen, was mich verblüfft. Ich habe einen Scherz gemacht, aber jetzt frage ich mich, ob an der Aussage etwas dran ist. Er nimmt sein Portemonnaie aus der Hosentasche, steckt die Karte hinter seinen Normalen-Führerschein und lächelt mich dann an. »Jetzt habe ich ihn ja – also kein Grund, mein Unterbewusstsein zu analysieren.« Er dreht den Umschlag um und schüttelt ihn. Eine runde Scheibe in einer durchsichtigen Plastikhülle gleitet auf die Küchentheke.

      »Was ist das?«

      »Das ist eine DVD.«

      Ich nehme sie in die Hand. »Oh, die Dinger hab ich schon mal im Fernsehen gesehen. Die ist ja riesig.« Ich drehe sie um und lege sie dann wieder auf die Küchentheke. »Das kapier ich nicht; jemand schickt dir einen alten Film?«

      »Nein, das Para-Kriminalamt hat die Befragung auf eine DVD gebrannt, weil das hier der Standard ist. Sektor-Technologie ist in der Außenwelt nicht erlaubt. Ich muss mir dafür noch einen DVD-Player besorgen.« Er stößt einen Seufzer aus und wendet sich dann wieder mir zu. »Wie geht’s dir heute?«

      »Gelangweilt.«

      Er lächelt. »Ich ziehe mich eben um und dann können wir uns was zu essen holen.«

      Noch bevor er den Satz beendet hat, lasse ich meine Hand hinter dem Rücken verschwinden und er macht dasselbe. »Eins, zwei, drei«, sage ich, forme meine Hand zur Schere, während er seine flach vor mir ausgestreckt hält wie ein Blatt Papier.

      »Ha! Ich hab gewonnen. Mexikanisch.«

      Er stöhnt spaßhaft und geht sich umziehen.

      Ich nehme die DVD wieder in die Hand. Auf der silbernen Oberfläche steht in schwarzer Schrift der Name Steve »Poison« Paxton. Poison? Ich frage mich, ob er sich den Spitznamen selbst zugelegt hat. Wir hatten mal einen Schüler in der Siebten, der nach seiner Initiierung darauf bestanden hatte, dass jeder ihn Flash nannte. Er hatte die Fähigkeit entwickelt, die Geschwindigkeit seiner Synapsen zu beschleunigen. Damit konnte er eine Meile eine ganze Minute schneller laufen als wir anderen. Eine armselige Minute! Bevor ich jemanden Flash nannte, sollte er mit seinem Tempo mindestens einen Tornado um mich herum entfachen. Wenn das meine Gabe gewesen wäre, hätte ich es so lange wie möglich für mich behalten, bis ich keine andere Wahl mehr gehabt hätte und es unwiderruflich auf meiner Sektor-ID festgehalten worden wäre.

      Ich würde zu gern einen Blick auf den Typen riskieren, der sich Poison nennt, aber das kommt nicht infrage. Die Sachen, die mein Dad vom Kriminalamt bekommt, sind streng geheim. Ich lege die DVD wieder auf die Küchentheke und hole meine Schuhe.

      PARAdox, das – eine Aussage, die scheinbar widersprüchlich ist, aber trotzdem wahr

      Die Party ist wie jede andere Party, auf der ich bisher war – laut und voll. Sie findet draußen statt, aber überall stehen dicht gedrängt Menschen, weil die Leute mit ihren Autos die eine Seite der Lichtung zugeparkt haben. Auf den anderen beiden Seiten bilden der See und die Sektor-Mauer die Grenze – und keine Illusion kann den Eindruck vertuschen, dass es sich hier um eine echte Grenze handelt.

      Ich habe mich zu Lailas Pick-up geschlichen, bin auf die Ladefläche gestiegen, auf der sie ein paar Gartenstühle aufgestellt hat, und hole mein Buch, von dem sie nicht weiß, dass ich es mitgebracht habe, aus der Tasche. Gerade als ich mich eingelesen habe, reißt mir jemand das Buch aus der Hand. Vergeblich versuche ich, es mir zu schnappen, greife aber nur ein paar Mal ins Leere.

      »Oh nein!«, sagt Laila. »So war das nicht abgemacht.«

      »Ach komm schon. Ich bin hier. Ich bin mitten im Getümmel.«

      »Das hier« – sie deutet auf den Boden der Ladefläche, auf der sie steht – »nennst du mitten im Getümmel?«

      »Ich hätte mich in die Fahrerkabine setzen können.«

      Ich schaue zu Laila hoch. Sie sieht toll aus mit ihren schwarzen Haaren, die sie hochgesteckt trägt, und mit ihren großen braunen Augen, die mich von oben mit gespieltem Ärger anfunkeln. Sie gehört hierher – hierher zwischen all diese angesagten Kids. Manchmal frage ich mich, ob Laila meine Freundin wäre, wenn wir uns erst jetzt und nicht damals im Kindergarten getroffen hätten.

      Sie lacht und setzt sich in den Stuhl neben mir. »Ist dir wirklich so langweilig?«

      Ich lehne mich zurück und lege meinen Kopf auf die Lehne. Der Nachthimmel ist mit einem überdimensionalen Mond und zwei kleineren Monden hell erleuchtet. Irgendeiner der Partygänger wollte offensichtlich mehr Licht haben. Ich schaue mich um, um festzustellen, ob ich den Illusionisten finden kann, der für die Täuschung am Himmel verantwortlich ist.

      »Du bist die Einzige, die ich kenne, die immer noch echte Bücher mit sich herumschleppt«, sagt sie und blättert darin herum.

      Ich nehme ihr das Buch weg und stecke es wieder in meine Tasche. »Ich mag Bücher. Sie sehen hübsch aus.«

      Ein Drink schwebt durch die Luft und Duke, der an einem Baum lehnt, schnappt ihn sich. Er grinst mir zu, als müsste ich beeindruckt sein. Ich ziehe meine Augenbrauen hoch und deute mit dem Kinn auf all die anderen Drinks in der Luft. Telekineten sind solche Angeber.

      »Okay, was läuft da eigentlich zwischen dir und Duke?«, fragt Laila. »So einen Blick tauschen nur gute Freunde aus. Irgendein Insider zwischen euch?«

      »Kein Insider.«

      »Wie auch immer. Jedenfalls kennst du ihn gut genug, um mich vorzustellen.«

      »Du kennst ihn doch auch«, sage ich.

      »Die ganze Schule kennt ihn. Der ganze Sektor. Er ist der Quarterback. Aber er hat nicht den geringsten Schimmer, wer ich bin. Komm schon, das wirst du jetzt ändern.«

      Sie zerrt mich vom Pick-up und durch das Gewühl. Ich muss mich bei mehreren Leuten entschuldigen, die ich anremple, weil sie mich mitten durch die Menge zieht.

      »Er hat genauso wenig Ahnung, wer ich bin ...«, will ich gerade sagen, aber dann fällt mir wieder ein, dass er mich vor ein paar Tagen, als sein Ball gegen mein Auto geflogen ist, mit Namen angesprochen hat. Woher wusste er meinen Namen?

      Auf dem halben Weg zu Duke schiebt sich uns ein Typ in den Weg. »Hey Laila! An einem Blocker interessiert?« Er hält eine durchsichtige Plastiktüte voll mit elektronischen Chips hoch. »Zwanzig Mäuse.«

      »Wen blocken sie denn?«

      »Telepathen.«

      Laila greift in ihre Tasche, als wolle sie ihre Karte herausholen und einen von seinen Chips dranklammern. »Was ...«

      »Nein.« Ich schiebe die Hand des Typen weg. »Kein Bedarf.«

      Als er weitergeht, drehe ich mich zu ihr um. »Spinnst du? Willst du dein Geld für irgendwelche fragwürdigen, nicht getesteten Modelle hinauswerfen, die das Bewusstsein erweitern?«

      »Ich


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