DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI. Sokei-an Shigetsu Sasaki

DREI-HUNDERT-MEILEN TIGER Aufzeichnungen von LIN-CHI - Sokei-an Shigetsu Sasaki


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Bewusstsein hinweisen.

      Dieses Bewusstsein ist hier, was auch bedeutet nirgends. Er, der nichtexistierend ist, dringt in alle Stufen der drei Welten ein, aber hinterlässt nie ein Zeichen, wie der Mond auf das Wasser scheint, aber keine Spur hinterlässt. Es gibt hier einen sehr wichtigen Punkt. Vergängliches Bewusstsein dringt auch überall in allen Richtungen ein, wird aber immer durch die Umstände, die objektiven Gefühle des Körpers beschränkt. Wenn der Körper zu seiner ursprünglichen Substanz, akasha, zurückkehrt, hat Bewusstsein keinen Aufenthaltsort, keinen Platz mehr zu bleiben.

      In China kehren Buddhisten [DJW: buddhistische Mönche] in den drei Monaten der Regenzeit immer zu ihren Tempeln zurück. Einmal ist Lin-chi erst spät zurückgekehrt, die Regeln des Klosters missachtend. Wenige Tage vor dem Ende der drei Monate ist er zum Quartier von Huang-Po gekommen, der ein Sutra las.

      Lin-chi sagte: „Ich bin gekommen, um Ihnen meine Aufwartung zu machen, ich reise jetzt ab.“

      Huang-Po antwortete: „Du hast die Ordnung der Mönche dieses Tempels durch dein Zuspätkommen gebrochen, und jetzt brichst du es wieder und reist früher ab.“

      Lin-chi sagte, zu Huang-Po‘s Sutra zeigend: „Ich sage Ihnen, dass Sie nur eine Taube sind, die schwarzen Bohnen (chinesische Zeichen) der Wohltätigkeit vom Sutra aufpickt und sie isst.“

      Huang-Po ergriff Lin-chi und schlug ihn. Lin-chi war verwirrt. Wie sollte er auf den Schlag von Huang-Po antworten? (Dieses Ereignis hat stattgefunden, kurz bevor Lin-chi als der Nachfolger von Huang-Po ordiniert wurde. Nach dieser Begegnung verbrachte Lin-chi zwei oder drei Wochen in Zweifeln.)

      Lin-chi sagte: „Das Bewusstsein von Huang-Po und mein Bewusstsein sind dasselbe Bewusstsein. Warum haben wir Regeln für die Mönche, tragen Roben und bleiben im Tempel? Das ist Unfug!“

      Als er dies Huang-Po erzählte, hat Huang-Po ihn wieder geschlagen und Lin-chi hat wieder nicht gewusst, was er antworten könnte. Lin-chi muss gedacht haben, dass es sonderbar war — es muss irgendetwas jenseits meines Verstehens geben!

      Lin-chi blieb für den Rest des Sommers im Tempel seines Lehrers. Als der Sommer zu Ende war, sind die Mönche auf Pilgerfahrten gegangen. Lin-chi ging wieder zum Quartier von Huang-Po. „Roshi, ich reise jetzt ab.“ „Wohin gehst du?“ hat Huang-Po gefragt.

      „Ich gehe über den Fluss nach Norden oder nach Süden. Es ist alles das Gleiche. Nach der Gnade des Winds.“

      Huang-Po ergriff ihn und hat ihn wieder geschlagen. Lin-chi hat den Schlag von Huang-Po zurückgegeben. Dann wurden mehrere Schläge ausgetauscht, als ob hier zwei Menschen mit dem gleichen Argument handeln.

      Lin-chi blieb nicht im kleinen Kreis seines Bewusstseins. Er blieb nicht in einem Konzept über das Bewusstsein, nicht als der Lehrer des Weltalls, noch an irgendeinem besonderen Platz; er hat frei alle Dimensionen der drei Welten durchdrungen. Das ist ein schwieriger Punkt, um ES zu erfassen. Ein Zen-Übender kann fünfzehn Jahre verbringen, um den echten Punkt des Nicht-Ich zu ergreifen. Als Huang-Po Lin-chi festgehalten und geschlagen hat, hat Lin-chi ihn festgehalten und zurückgeschlagen. Ist das ein Zeichen des Nicht-Ich? Sicher nicht aus westlicher Sicht!

      „Obwohl er in verschiedene Verhältnisse eintritt, wird er nicht abgelenkt.“ Da er nicht an irgendeinem besonderen Ort ist, nicht im Ich und nicht im Nicht-Ich. Er weiß, er hat kein vergängliches Bewusstsein. Sein Bewusstsein ist nicht quadratisch, dreieckig noch rund; er kann in jedem Stern des Himmels sein, doch nicht in einem verweilen.

      „In einem Augenblick durchdringt er das Universum.“ Das ist das Weltall von dharmadhatu, die phänomenale-noumenale Existenz — nur ein dharmadhatu.

      „Wenn er einen Buddha trifft, überzeugt er den Buddha.“ Wie „überzeugt“ man einen Buddha? Lin-chi drück sich hier etwas ungenau aus, aber was er sagen will, ist, dass ihr Buddha werdet.

      „Wenn er einen Patriarchen trifft, überzeugt er den Patriarchen.“ Als Bodhidharma den Kaiser Wu traf, fragte der Kaiser ihn: „Weiser, wie ist Ihre Lehre?“ Bodhidharma antwortete: „Es gibt keinen Weisen.“ „Wer sind Sie dann?“ Bodhidharma sagte: „Ich weiß es nicht.“

      Er ist nicht Bewusstsein. Wenn er nicht Bewusstsein ist, weiß er nicht [wer er ist]. Wie könnte er wissen? Bodhidharma hat die richtige Antwort gegeben. Ich stimme mit ihm überein. Wenn wir Bodhidharma treffen, wie predigen wir zu ihm? Wisst ihr es?

      „Wenn er einen Arhat trifft, überzeugt er den Arhat. Wenn er einen Preta trifft, überzeugt er den Preta.“ Ein Preta ist ein hungriger Geist. Ein Arhat ist derjenige, der die höchste Erleuchtung erreicht, sein Selbst aufgegeben hat. Das ganze Universum bietet ihm sein Leben an. Ein Arhat ist die Schlussfolgerung, die wir unmittelbar durch unseren eigenen Geist erfahren.

      Deshalb hat diese Religion sofort hier einen Eingang. Der Schrein ist genau hier. Hin und wieder nenne ich es Buddha. Nicht den Buddha, der in Indien geboren wurde, sondern den Buddha, der überall existiert. Ich kann ihn „DIESEN Buddha“ nennen. Ja, die Antwort ist hier, unmittelbar.

      Shakyamuni Buddha hat entschieden, dass das seine Religion war. Für uns hat die Entdeckung dieser Religion durch ihn große Bedeutung. Wir sagen, dass ein Mensch wahre Religion erreicht hat, und dass der Weg, durch den er sie erreicht hat, einfach (gerade) und ohne Hindernisse ist. Buddhismus kann sehr leicht und einfach erklärt werden und ihr könnt sofort daran glauben, ohne Zweifel zu haben. Andere jedoch versuchen, etwas Höheres zu erreichen, als sie selbst sind. Sie schauen immer nach oben, mit zusammengelegten Händen beten sie zu jemandem im Himmel. Von unserem Standpunkt aus ist das falsch und es ist nicht sehr zweckmäßig. Warum müssen wir danach im Himmel suchen? Warum versuchen wir, etwas zu bekommen, auf das wir hoffen, indem wir jemand anderen darum bitten? Gebete sind der Ausdruck des unmittelbaren Wunsches der Menschen und er bietet ein Geschenk an, um eine Antwort zu erhalten. Für uns [Zen-Übende] ist Gebet unsere Hoffnung, unser unmittelbarer Wunsch eine Antwort zu bekommen, aber wir bemühen uns; dafür sich zu bemühen ist unser Geschenk. Ohne das Angebot von Geschenken wird auf Gebete nicht geantwortet. Wenn unser Wunsch natürlich ist, wird darauf natürlich geantwortet; wenn er unnatürlich ist, wird darauf nicht geantwortet.

      Wir brauchen kein Bildnis, um zu beten. Unser Selbst ist Buddha und unser Geist ist der Eingang zum Schrein von Buddha. Die Geburt Buddhas hat diese Religion in die Welt gebracht und wir folgen ihr.

      „Egal welche Länder er überquert, er erleuchtet alle Wesen.“ Die „Länder“ auf die verwiesen wird, sind natürlich nicht wirkliche Orte. Lin-chi spricht von einem subjektiven Platz. Jedermanns Geist ist ein Land gemäß bestimmten buddhistischen Sutras. Die Bedeutung der Behauptung, dass Buddha durch unzählige Länder im Weltall reist, ist, dass die Pracht Buddhas durch jedermanns Geist brodelt, wie magnetische Wellen. Obwohl in den Sutras diese Länder immer objektiv beschrieben werden, müsst ihr verstehen, dass ein subjektiver Sinn beabsichtigt ist.

      So bedeutet „alle Wesen erleuchtend“, dass wir Gott im menschlichen Herzen bewahren. Jeder, den er trifft, wird eins mit ihm und wird von ihm erleuchtet. Lin-chi würde sagen, wenn ich Wasser erhalte, trinke ich (so wird dies dadurch erleuchtet). Das ist alles, was wir von morgens bis abends tun können; das ist die Manifestation von nirmanakaya, dem sich verwandelnden Körper. Erhaltet ihr eine Nudel, esst sie, erleuchtet sie; bekommt ihr einen Fisch, esst ihn, erleuchtet ihn; es gibt kein ihn, kein du. Wohin ihr auch geht, ihr seid immer eins damit. Das ist Erleuchtung. Kein besonderer Ort. Kein Ort, zu dem ihr nicht gehen könnt, immerhin durchdringt ihr in Freiheit die drei Welten. Das ist wahres Bewusstsein. Er reist durch alle Orte, reine und unreine und erleuchtet jeden dort. Natürlich ist das keine übliche Predigt; es ist nicht üblich, diese Weisheit denjenigen zu geben, die geringeres Verstehen besitzen.

      „Er lässt nie, auch nur einen Augenblick, einen Gedanken aufkommen.“ Ksana ist ein Begriff aus dem Sanskrit, der ein Minimum der Zeit bedeutet, einen Moment. Geist, besonders unbewusster Geist, fließt durch unser Bewusstsein so schnell, dass es fast unvorstellbar ist. Manchmal wird das Wort ksana verwendet, um das auszudrücken. Was ist dieser Ksana-Geist?

      Wann auch immer der Buddha „jetzt“ oder „in diesem Moment“


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