Wyatt Earp Paket 2 – Western. William Mark D.
Der bleiche Mann sprang entgeistert hoch und wich zurück.
»Was wollen Sie von mir? Ich habe nichts damit zu tun, Virg!« stieß er tödlich erschrocken hervor.
»Sind die Clantons noch in der Stadt?«
»Ja – ich weiß nicht – ich glaube…« Sagen Sie ihnen, daß sie die Waffen ablegen sollen. Und sagen Sie ihnen, daß es vorbei ist. Wir wollen keinen Kampf, aber wir wollen auch keine Banditen in Tombstone. Wir warten auf Sie, Jonny Behan.«
Noch zwei und eine Viertelstunde mußten die Männer im Marshals Office warten. Dann lief ein fünfzehnjähriger Junge an das zertrümmerte Fenster und rief:
»Sie sind im O.K. Corral, Marshal. Ike und die anderen. Sie haben ihre Waffen bei sich.«
Der Junge spritzte wieder weg.
»Wer war das?« fragte Wyatt.
»Mike Pligger, er wohnt in einer Kate gegenüber vom Corraleingang, neben Sandy Bobs Wohnhaus.«
»Sie geben keine Ruhe«, knurrte Morgan in die darauffolgende Stille hinein.
»Well«, meinte Wyatt dumpf, »gehen wir.«
Die drei schnallten ihre Revolvergurte enger, prüften die Waffen erneut auf lockeren Sitz – und wieder war es Wyatt, der lauschend den Kopf hob.
Die gespenstische Stille der Straße ließ den Schritt, der auf den Vorbaubohlen dröhnte, deutlich hörbar werden.
»Da kommt einer«, entfuhr es Virg.
»Yeah«, sagte Wyatt heiser und richtete sich auf. Die beiden anderen sahen zu ihrer Verblüffung in seinen Augenwinkeln ein ungläubiges, erstauntes Lächeln.
Wyatt hatte den Schritt erkannt. Er hätte ihn in dieser Stunde auf hundert Yards hin erkannt.
Es war der unverwechselbare Schritt Doc Hollidays!
Und dann sahen sie die Gestalt des Georgiers vor der zertrümmerten Scheibe auftauchen.
Mit weitaufgerissenen Augen und offenen Mündern starrten Virgil und Morgan ihn an wie einen Geist.
Morg konnte einen Jubelschrei nicht unterdrücken. »Der Doc!«
Aber es war ein makabres Bild, das sich den drei Earp-Brüdern, eingerahmt von der zertrümmerten Fensterscheibe, bot. Es war nicht mehr der Doc Holliday von früher. Mit bleichem, eingefallenem Gesicht, das um ein Jahrzehnt gealtert zu sein schien, stand er da und sah mit stierem, hohläugigem Blick in das Halbdunkel des Bureauraumes.
Und doch war er es! Das allein genügte! Er stand da auf dem Vorbau auf seinen Füßen, und an seiner Hüfte hing der vernickelte elfenbeinerne Revolver.
Da sprangen seine Lippen auseinander, und klirrend fielen die beiden Worte in den Raum.«
»Gehen wir?«
Wyatt nickte. Er vermochte den Blick nicht von der Erscheinung des Mannes vorn am Fenster zu reißen. Wie war das möglich? Noch spät in der Nacht hatte dieser gleiche Mann vom Fieber geschüttelt und zu jeder Bewegung unfähig, wie ein Toter auf seiner eisernen Bettstelle gelegen.
Der Spieler verschwand vom Fenster und öffnete die Tür.
Sein Blick haftete an seinem zweiten Revolver, den der Missourier vorn in den Gurt gesteckt hatte.
Wyatt reichte ihm die Waffe zurück.
»Ich hatte das Gefühl, daß ich wenigstens etwas von Ihnen mitnehmen müßte, Doc.«
Ein schwaches Lächeln huschte über das bleiche Gesicht des Gamblers.
»Und ich hatte das Gefühl, daß es besser ist, wenn Sie mich ganz mitnehmen.«
Der Spieler warf einen musternden Blick zum Gewehrschrank hinüber. Dann ging er hin und nahm sich eine doppelläufige Schrotflinte heraus.
»Geben Sie mir zwei Patronen, Virg.«
Die drei Earps blickten verblüfft drein. Noch niemals hatte einer von ihnen erlebt, daß Doc Holliday mit einem Gewehr in einen Kampf gehen wollte. Aber da sie ihn genau kannten und wußten, daß er nichts Unüberlegtes tun würde, nahm Virg zwei schwere Schrotgeschosse aus dem Vorratskasten.
Der Georgnier schob sie in die Läufe, packte das Gewehr am Kolbenhals und sah Wyatt an.
»Von mir aus kann’s losgehen.«
Die vier Männer traten auf den Vorbau. Die Straße war nach wie vor leer.
Virgil blieb stehen und drehte sich um.
»Ich bin der Marshal von Tombstone und bin von einer Verbrecherbande zum Gunfight aufgefordert worden. Ich ernenne euch zu meinen Gehilfen. Dich, meinen Bruder Wyatt, den Marshal von Dodge City, dich, Morg, den Marshal von Santa Fé und Sie, Doc Holliday, als Wyatts Freund.« Die drei anderen hatten das leise Beben in Virgils Stimme nicht überhört, aber in ihren harten, verschlossenen Gesichtern rührte sich kein Muskel.
Virgil und Wyatt gingen voran. Doc Holliday folgte Wyatt – und Morgan seinem Bruder Virg.
Und nun begann der Marsch hinauf zum O.K. Corral. Es war ein kurzer, stummer Weg.
Wyatt und Virgil bogen an der Ecke zur Fourthstreet ein und gingen das kurze Stück hinauf zur Fremonstreet. Als sie die erreicht hatten, formierten sie sich zu einer Reihe.
Dod Holliday zog mit einer ruhigen Bewegung seine Uhr. Es war wenige Minuten vor halb drei.
Und so gingen sie nebeneinander: Links Virgil, neben ihm Morgan, dann Wyatt und rechts außen Holliday.
Sie hatten kaum die Hälfte der Strecke bis zum Corraleingang durchmessen, als ihnen von dort ein Mann entgegengestürmt kam: Jonny Behan. Er schrie unentwegt:
»Sie sind unbewaffnet! Sie sind unbewaffnet.«
»Ich werde mich davon überzeugen«, entgegnete Virgil rauh.
Er schob Behan zur Seite und ging mit den anderen weiter.
Eine Minute später hatten sie den Eingang zum Corral erreicht.
Morgan blieb links stehen, und die anderen formierten sich so, daß Doc Holliday wenige Yards vor der rechten Kante des Eingangs stand.
Mit bleichen Gesichtern verharrten die beiden McLowerys wenige Yards hinter dem Eingang. Rechts an der Mauer von Flys Galery stand Ike Clanton; auch er war blaß geworden. Wenige Yards gegenüber von Doc Holliday lehnte Billy Clanton mit verzerrtem, kalkigem Gesicht am Torpfeiler.
Bill Claiborne, der etwas weiter zurück bei den Pferden gestanden hatte, wich bei dem Anblick der tödlich entschlossenen Männer im Krebsgang in die Tiefe des Corrals zurück, stolperte über ein herumliegendes Wagenrad, stürzte, raffte sich auf und verkroch sich hinter der Rückwand von Flys Galery, so daß er keinen der acht Männer mehr sehen konnte.
Der ›große‹ Ike Clanton spürte zum erstenmal in seinem Leben, wie ihm sein ›Löwenherz‹ urplötzlich und unaufhaltsam aus der Verankerung zu rutschen schien. Er hätte sich verwünschen können, daß er die Earps zu diesem irrsinnigen Fight gezwungen hatte. Als er Wyatts Gesicht mit einem kurzen Blick streifte, stockte ihm der Atem, und als er in die eisigen Augen Doc Hollidays sah, schnürte es ihm die Kehle zu.
Virgil Earp trat an den Eingang.
Die beiden McLowerys wichen wie Schemen zurück auf die fünf Pferde zu, die an der Wand standen.
»Hebt die Hände hoch, Männer«, gebot der Marshal von Tombstone mit rauher Stimme. »Hebt die Hände hoch, dann passiert absolut nichts. Wir können auf diesen Kampf verzichten, aber es muß endlich Ruhe und Ordnung im County herrschen. Also: Hände hoch!«
»Sie sind unbewaffnet, Earp!« schrie Jonny Behan, der sich hinter der Vorbautreppe der City Hall verschanzt hatte.
Langsam bewegten die Desperados die Hände.
Es war die einzige, letzte Sekunde, in der der Wahnsinnsfight durch die