Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
lächelnd an. »Zwischen einem Top-Modell, wie ich es war, und so einem Mädchen ist ein himmelweiter Unterschied, Kai.«
Der Junge hatte überhaupt nichts begriffen, aber er nahm sich vor, noch in der Nacht mit Robin über dieses Problem zu sprechen. Dass es gewisse weibliche Beruf gab, die man besser verschwieg, wusste er schon lange. Nun interessierte es ihn, hinter den Begriff ›Hostess‹ zu kommen, und besonders, was der Freund von Robins Mutter damit zu tun hatte.
Kai sah zu Dinah hinüber. Sie blickte mit großen verträumten Augen auf die eleganten Geschäfte, die an ihnen vorbeihuschten. Wenn sie nicht so hochnäsig wäre, dachte er, würde ich sie noch einmal fragen. Aber sie war eben ein ganz besonderes Modell, ein Top-Mannequin. Deshalb war sie ja früher auch immer in Paris und so. Warum hat mein Vater sie nicht dortgelassen?
*
Es war eine stockdunkle Nacht. Kai war kurz vor eins aus seinem Zimmer geschlichen, hatte sich vom Balkon heruntergelassen und in Windeseile sein Fahrrad aus der Garage geholt. Nun stand er zitternd vor Aufregung im Hinterhof des Etagenhauses, in dem Robin wohnte, und wartete neben dem Fahrrad seines Freundes.
Tatsächlich tauchte Robin gleich darauf hinter ihm auf. »Er muss gleich kommen, dieser Schuft«, wisperte er. Dann schloss er sein Fahrrad auf und machte Kai ein Zeichen, ihm zu folgen.
Die beiden warteten klopfenden Herzens hinter der Hoftür. Peter Knoll verließ pünktlich das Haus. Mit schnellem Schritt ging er zu seinem großen Wagen, setzte sich hinter das Steuer und preschte davon.
Die beiden Jungen hatten alle Mühe, ihm zu folgen. Es war kaum Verkehr um diese Zeit, und sie nutzten die Ruhe auf den nächtlichen Straßen aus, um eine Ampel bei Rot zu überqueren. Trotzdem entwischte ihnen Peter Knoll.
Zornig vor Enttäuschung und völlig außer Atem hielt Robin an. »Es hat keinen Zweck, Kai. Es ist alles umsonst.«
Kai holte die gestohlene Zigarette hervor und zündete sie umständlich an. Zum Trost ließ er Robin ein paarmal ziehen.
»Weißt du, wo dieser Peter wohnt?«
Robin schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich habe die Telefonnummer abgeschrieben.«
Sie fuhren langsam und müde zu der nächsten Telefonzelle und schauten dort nach. Peter Knoll wohnte in der Tranzgasse fünfzehn.
»Nix wie hin, Robin. Wir schauen nur nach, ob sein Wagen dort steht.«
Die Tranzgasse lag in einem eleganten Wohnviertel. Hier gab es aber auch elegante Boutiquen, kleine lauschige Restaurants und verschiedene Bars.
Die beiden Jungen fuhren die Straße aufmerksam auf und ab, ohne den auffälligen Wagen zu entdecken. Als sie um eine Ecke bogen, stutzte Kai. Er hatte das Namensschild der Nebenstraße gelesen. Es kam ihm seltsam bekannt vor. Es war genau der gleiche Straßenname, den die rosagekleidete Hostess angegeben hatte, als sie ihren Wagen in der Reparaturwerkstätte gelassen hatte.
Kai sah sich nach allen Seiten um. Dann zog er seinen Freund unter einen Baum und erzählte ihm, was er am Nachmittag erlebt hatte.
»Eine Hostess?«, fragte Robin ungläubig. »Was soll denn das sein?«
»Was Mieses«, antwortete Kai mit Kennermiene. »Was ganz Mieses. Wenigstens sah sie so aus.«
Während die beiden noch ihren abenteuerlichen Vorstellungen nachhingen, öffnete sich in dem gegenüberliegenden Haus ein Fenster. Die Silhouette einer Frau erschien. Lange schwarze Haare fielen ihr auf die Schultern. Sie trug nur ein wenig Unterwäsche. Die beiden Jungen sahen sich an. Für sie gab es keinen Zweifel, dass es tatsächlich die Dame im rosa Anzug war. Gleich darauf schlug eine Autotür zu.
Robin packte Kai am Arm und schubste ihn in einen dunklen Hauseingang, denn es war Peter Knoll, der die Straße langsam überquerte. Sein Gang war schlendernd. Hinter ihm ging ein großer jüngerer Mann, der sehr brutal wirkte. Schweigend stellten die beiden sich vor dem Haus auf, von dem eben ein Fenster geöffnet und wieder geschlossen worden war.
Jetzt trat ein älterer Herr aus dem Haus. Er sah sich nach rechts und links um, als wollte er auf keinen Fall gesehen werden. Aber schon versperrten Peter Knoll und sein Begleiter ihm den Weg. Sie nahmen ihn in die Mitte, als wäre er verhaftet worden, und geleiteten ihn mit sanfter Gewalt in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Kai machte einige Schritte vorwärts, obwohl Robin ihn daran hindern wollte. Was er sah, ließ ihn erstarren. Die beiden Männer handelten dem älteren Herrn ein Bündel Geldscheine ab.
»Hast du das gesehen?«, japste Kai aufgeregt. »Der andere Typ hat eine Waffe gehabt.«
Die beiden Jungen sahen sich an. In Robins Augen standen Tränen. Daran war nicht der kühle Luftzug, der durch die Straße wehte, schuld.
Kai schlang seinen Arm um die Schulter des Freundes und führte ihn zu der Ecke, in der sie ihre Fahrräder abgestellt hatten. Robin ließ es sich gefallen. Ihm war entsetzlich elend zumute. Trotzdem sah er sich noch einmal um, als hinter ihnen das Geräusch trippelnder Schritte erklang.
Die rosagekleidete Dame mit den schwarzgefärbten Augen folgte ihnen langsam. Sie hatte nun einen breiten goldenen Gürtel um ihre rundliche Taille geschlungen, der wie ein Signal aufblitzte. Sie bemerkte die Jungen nicht, denn sie war damit beschäftigt, nach neuen Kunden Ausschau zu halten. Diese Bubis hier waren für sie uninteressant.
»Verdammt«, ächzte Kai und schwang sich etwas schwerfällig auf sein Rad, »nun weiß ich wenigstens, was Dinah gemeint hat.«
Robin antwortete nicht. Er trat in die Pedale, als müsste er den Ort dieser entsetzlichen Erfahrung schnellstens verlassen.
*
Barbara Wirthner setzte sich im Bett auf. Was war denn los? Hatte eben das Telefon geklingelt? Sie horchte angestrengt, aber es war ganz still in der Wohnung. Da legte sie sich wieder zurück in die Kissen.
Es mochten nur etwa fünf Minuten vergangen sein, da klingelte es doch. Aber diesmal war es die Türglocke. Barbaras erster Gedanke war, Peter Knoll wäre zurückgekommen. Beschwingt hüpfte sie aus dem Bett und suchte in aller Eile ihren elegantesten Morgenrock aus himmelblauer Wildseide aus dem Schrank. Sie hatte ihn gerade fest zugebunden, da klingelte es noch einmal. Diesmal sehr stürmisch.
Barbara öffnete lächelnd die Tür. Dann aber erstarrte ihr Gesicht vor Schreck. Vor ihr stand die große Gestalt Thomas Platens.
»Kai ist fort«, sagte er hastig. »Ich musste mit Ihnen sprechen. Das Telefon haben Sie nicht gehört. Entschuldigen Sie bitte.«
Barbara war so erstaunt, dass sie ihm schweigend die Tür offenhielt.
»Ich habe es zufällig entdeckt, als ich zu Bett gehen wollte, Frau Wirthner. Mein Sohn muss über den Balkon geklettert sein. Sein Fahrrad ist auch verschwunden.«
»Um Gottes willen!« Barbara rang die Hände. »Haben Sie Streit mit ihm gehabt?«
Thomas Platen schüttelte den Kopf.
»Nein, im Gegenteil. Kai war heute sogar mit meiner Frau bei der Autowerkstatt und hat sich sehr nett benommen.«
Barbara sah ihn an, so ratlos wie ein kleines Kind. »Was sollen wir tun, Herr Plate? Soll ich Robin wecken und ihn fragen, ob er etwas weiß?«
Thoma nickte. »Sie sind meine einzige Hoffnung, Frau Wirthner.«
Barbara drehte sich um und ging leise auf Robins Zimmertür zu. Behutsam, um den Schlafenden noch nicht zu wecken, öffnete sie die Tür. Weil sie das grelle Oberlicht meiden wollte, tastete sie sich bis zu Robins Nachttischlampe und knipste sie an. Dann schrie sie leise auf. Auch Robins Bett war leer.
»Herr Platen!«, rief Barbara. »Herr Platen!« In ihrer Erregung stürmte sie auf den großen Mann zu und landete an seiner Brust. Der Schreck war ihr so in die Glieder gefahren, dass sie laut aufschluchzte: »Er ist fort, er ist auch fort! Was soll ich nur tun?«
Thomas Platen atmete in diesem Moment auf. Tröstend drückte er Barbaras Kopf an sich. »Beruhigen Sie sich, Frau Wirthner.«