Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
für sich sorgen. Zu tief war sie verletzt.
»Wieso bist du eigentlich ausgerechnet in dieses Nest geraten?«, fuhr er lauernd fort.
Hanna gab ihm keine Antwort.
»Etwa, weil sich eine gewisse Antje Martell im Kinderheim Sophienlust in Wildmoos befindet?«
Hanna hatte sich noch nie gut verstellen können. Er las die Antwort in ihren weit aufgerissenen Augen.
»Siehst du, jetzt kommen wir dem Grund schon näher. Was sagst du dazu, dass ich Antje heute persönlich kennengelernt habe?«
»Das …, das ist nicht wahr. Wie konntest du das wagen?«
»Ich habe nichts dazu getan. Es ergab sich ganz einfach. Ich bin zurzeit Tierpfleger bei Frau von Lehn. Du hast gesagt, man muss sich Arbeit suchen. Viel ist da leider nicht zu holen. Aber sie geben mir wenigstens ein nettes Zimmer. Auch das Essen ist in Ordnung. Eigentlich wollte ich mich bloß umsehen, ob die kleine Frau Andrea vielleicht ein bisschen Familienschmuck hat. Aber nun habe ich etwas Besseres entdeckt. Antje! Ich habe sie gefragt, wie alt sie ist und wann sie Geburtstag hat. Das sagen Kinder ja immer gern. Und da ich nicht ganz auf den Kopf gefallen bin, ist mir blitzartig klargeworden, dass Antje Martell eigentlich Antje Pflug heißen müsste. Stimmt’s?« Triumphierend blickte er sie an.
Hanna brachte kein Wort über die Lippen.
»Meine Tochter«, setzte er seine boshaften Betrachtungen fort. »Das hast du mir doch tatsächlich verheimlicht. Jetzt verstehe ich, warum du alles darangesetzt hast, dass der Herr Professor nichts über die Straftaten des leider verstorbenen Georg Pflug erfuhr. Er hat Antje adoptiert, ja? Ich kann das auffliegen lassen, denn ich bin noch mit dir verheiratet. Also ist sie auch noch meine Tochter.«
»Das ginge nur, wenn du dich gleichzeitig zu deinen Einbrüchen und allem anderen bekennen würdest. So dumm wirst du nicht sein.«
Seine Augen wurden schmal. »Du bist nicht mehr so leicht einzuschüchtern, Hanna.«
»Du kannst mir nichts mehr tun. Geh jetzt. Und lass Antje in Ruhe. Hast du denn kein Gefühl dafür, dass ein Kind in einer heilen Welt aufwachsen muss? Antje gehört jetzt zu meinem Mann.«
»Meine Welt ist immer dann heil, wenn ich genug Geld in der Tasche habe. Leider hat mir jemand Schwierigkeiten gemacht, sodass ich die zehntausend von dir und noch allerlei dazu sozusagen zum Fenster hinausgeworfen habe. Jetzt fange ich mal wieder bei Null an. Kein schöner Zustand. Kannst du nicht wenigstens einen Tausender auftreiben.«
»Ich kann es nicht, und ich sehe auch keine Notwendigkeit dazu. Nur um des Kindes willen unterlasse ich es, dich bei der Polizei anzuzeigen.«
Er nickte mehrmals und lächelte unschön dazu. »So sieht es also aus. Du legst immer noch Wert auf die tadellose Vergangenheit des in Afrika gebliebenen Helden Georg Pflug? Ich wusste gleich, dass meine kleine Tochter mir Glück bringen würde. Das Strafregister ihres Vaters würde für den ehrenwerten Herrn Professor wahrscheinlich ein arger Schock sein, ein Anlass, die Adoption rückgängig zu machen.«
»Wenn du es wagst, etwas Derartiges zu unternehmen, ist mir alles gleichgültig, Georg. Dann zeige ich dich an wegen Erpressung und wegen der Diebstähle auf dem Schiff. Außerdem sage ich, wer du bist. Wenn du Antje zu schaden versuchst, wirst du dir selbst am meisten schaden.«
»Ich will ihr gar nichts tun. Mir geht es bloß um ein paar lumpige Geldscheine, mit denen ich mich ins Ausland absetzen kann. Sei vernünftig Hanna. Der Professor schwimmt in Geld.«
»Ich habe nichts mehr mit ihm zu tun. Wir leben getrennt. Antje darf ich nicht sehen. Nun weißt du es. Wenn du an meinen Mann schreibst, kann ich dich wenigstens unbesorgt anzeigen.«
»Du würdest selbst Ärger bekommen. Vergiss das nicht.«
»Das macht mir nichts mehr aus, Georg. Das Leben hat seinen Sinn für mich verloren. Ich dachte, dass die Begegnung mit Klaus Martell für mich die Wende gebracht hätte. Heute sehe ich, dass das ein Irrtum war. Das Unglück verfolgt mich immer weiter. Aber Antje soll es besser haben.«
»In dem Kinderheim soll es piekfein zugehen. Der Tierpfleger von Bachenau hat mir eine Menge erzählt. Die Kleine braucht sich bestimmt nicht zu beklagen. Ob sie Mitleid hätte, wenn ich ihr sagte, dass ich ihr Vater bin?«
»Das kannst du gar nicht. Damit brächtest du dich ins Gefängnis. Antje würde es dir auch nicht glauben, denn sie hält Klaus Martell für ihren Vater.«
»Du hast auf alles eine Antwort. Aber mir fällt bestimmt ein Dreh ein, wie ich dich dazu kriege, dass du Angst bekommst. Ich kenne das. Wenn man Angst hat, dann zahlt man. Mir ist es nämlich auch so ergangen. Da war jemand, der wusste, dass ich unter falschem Namen lebe.«
Hanna wies auf die Tür. »Geh jetzt. Ich will dich nicht mehr sehen. Und lass das Kind in Ruhe.«
Georg Pflug ging tatsächlich. Er war wütend, denn er musste sich eingestehen, dass bei seiner ehemaligen Frau nichts mehr zu holen war. Diese Geldquelle floss nicht mehr.
Ein Wagen nahm ihn mit zurück nach Bachenau. Waldi und Severin knurrten böse, als er heimkehrte.
*
Es ließ Hanna keine Ruhe mehr. Schon am nächsten Tag machte sie sich auf den Weg nach Bachenau, wo sie jenen Mann wusste, der ihr so viel Leid verursacht hatte. Es war Sonntag, und Hanna hatte dienstfrei. Sie wollte Andrea von Lehn aufsuchen und sie warnen. Dabei brauchte sie Georgs Identität nicht unbedingt preiszugeben.
Bald stand Hanna in der hellen Nachmittagssonne unschlüssig in der Nähe des Lehnschen Grundstückes und versuchte sich zurechtzulegen, was sie sagen wollte, wenn sie Andrea von Lehn gegenüberstand.
Plötzlich trat sie unwillkürlich hinter einen mächtigen Baumstamm zurück, um nicht gesehen zu werden. Der rote Schulbus mit der Aufschrift ›Kinderheim Sophienlust‹ fuhr vor. Hanna sah Denise von Schoenecker, Nick, Henrik, Irmela, Pünktchen, einige andere Kinder und Antje aussteigen. Fröhlicher Lärm ertönte.
Andrea von Lehn kam herbei, um ihre Gäste zu begrüßen. Die Dackelfamilie und die schwarze Dogge drängten sich um Antje, die die Tiere liebevoll streichelte.
Hanna hatte auf einmal keinen Mut mehr, das Grundstück zu betreten. Sie beobachtete die Kinder, die sofort das weitläufige Freigehege betraten, in dem die Tiere den nötigen Auslauf hatten. Sogar die Hunde durften mit hinein. Die bunt zusammengewürfelte Tiergemeinschaft schien keine Feindseligkeiten untereinander zu kennen. Friedlich zupfte das Reh ein paar frische Grashälmchen ab, die Jungfüchse unterbrachen nicht einmal ihr Spiel, der Dachs blieb faul in der Sonne liegen, und die Bärin mit ihren Jungen kam sofort heran, um zu betteln.
Antje schien in ihrem Element. »Isabell hat sich an der Pfote verletzt«, rief sie eben aus. »Hat das noch niemand gemerkt?«
Nick betrachtete die Bärentatze. »Das müsste saubergemacht und verbunden werden. Aber Hans-Joachim ist nicht da.«
Der Tierarzt war vor einer halben Stunde mit dem Auto weggefahren. Das hatte Hanna gesehen.
Nun erschien Georg Pflug. Hanna wagte kaum zu atmen. »Zeig mal, Antje. Ja, da hat Isabel sich wohl irgendwo am Zaun zu schaffen gemacht. Gut, dass du so genau hingesehen hast, Antje. Wollen wir zusammen etwas holen und Isabell behandeln?«
»Ja, gern. Ich kann die Pfote halten, wenn Sie die Wunde sauber machen, Herr Bruck. Das habe ich in der Praxis bei Dr. von Lehn auch schon machen dürfen.«
»Hast du keine Angst?«
»Doch nicht vor Isabell.« Antje lachte.
»Na, komm!« Georg Pflug wollte Antje bei der Hand nehmen. Weder er noch das kleine Mädchen hatten bei ihrem Gespräch auf die knurrenden Hunde geachtet. Doch jetzt sprang die starke Dogge so schnell zu, dass dem Mann keine Zeit mehr blieb, auszuweichen oder sich zu wehren. Wütend biss Severin zweimal zu.
Es war Nick, der das mächtige Tier zurückriss. »Bist du verrückt geworden, Severin?«
Antje war schneeweiß geworden. »Er hätte mich