Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
meine Hemmungen zu überwinden. Ich bildete mir ein, dass man in der Stadt mit Fingern auf uns zeigen würde. Lass dir danken, Frederik.« Sie schlang die Arme um ihn.
»Ich bin froh, dass du mir endlich volles Vertrauen schenkst, mein Schatz. Selbstverständlich nehmen wir das Kind mit.«
»Wie gut du bist, Frederik. Dabei kennst du Sibylle noch gar nicht. Wollen wir nach Sophienlust fahren und sie besuchen?«
»Später, Anita. Morgen muss ich nach Amsterdam, anschließend nach London und Berlin. Es gibt viel zu erledigen. Ich weiß nicht genau, wie lange ich unterwegs sein werde. Du hörst von mir. Sobald ich Zeit habe, besuchen wir die Kleine.«
Eine halbe Stunde später fuhr Frederik Mintow in seinem aufwendigen Wagen davon. Anita winkte ihm nach und lief dann zu Barbara in die Küche, um ihr von Frederiks großherzigem Angebot zu berichten. Die Haushälterin schüttelte zunächst ungläubig den Kopf. Dann siegte ihr Gerechtigkeitssinn über die letzten Vorbehalte gegen Anitas Verlobten.
»Er hat ein gutes Herz«, stellte sie mütterlich fest. »Ein Segen, dass du ihm reinen Wein einschenken konntest. Es war nicht recht, Sibyllchen zu verleugnen.«
»Nein, Barb, das war ein großes Unrecht. Ich sehe es ein und werde es gutmachen. Nie hatte ich bisher den Mut, mich zu Carolas Kind zu bekennen und es liebzuhaben. Das soll nun anders werden. Frederik hat mir gezeigt, dass Name und Herkunft nicht wichtig sind.«
»Du willst sie mitnehmen in das fremde Land?«, fragte Barbara etwas beklommen.
»Natürlich, Barb. Wirst du uns begleiten? Ich brauche dich.«
»Ich weiß es noch nicht«, seufzte Barbara. »Vielleicht bin ich nicht mehr jung genug für diese weite Reise. Lass mich in Ruhe darüber nachdenken.«
»Es wird dir gefallen, Barb. Das Leben ist viel leichter in den warmen Ländern. Du darfst nicht zurückbleiben. Du gehörst zu mir und Sibylle.«
»Ja, ja«, nickte Barbara. »Das stimmt. Wahrscheinlich bringe ich es am Ende gar nicht fertig, euch allein ziehen zu lassen.« Aber sie sah bei dieser Feststellung nicht gerade glücklich aus.
*
Nick entdeckte Sibylle in der Scheune, wo sie mit Vicky, Angelika und Heidi einen Wurf junger Katzen bewunderte. Er schwenkte einen Zeitungsausschnitt in der Hand.
»Hier steckst du«, sagte er. »Sonst bist du doch immer am Klavier.«
»Immer nicht«, widersprach Billchen leise, um die Katzenmutter mit ihren Kindern nicht zu erschrecken.
»Jawohl. Thilo Bach gastiert in Wien. Hier steht es. Wenn du deinen Brief an die Konzertagentur richtest, kriegt er ihn schon.«
Sibylles Interesse an den Kätzchen erlosch. Sie nahm das Stück Papier und buchstabierte den Text. Dabei verließ sie an der Seite des großen Jungen die Scheune.
Draußen schien die warme helle Nachmittagssonne. Trotzdem zog Billie ein missmutiges Gesicht. »Ich habe ihm jetzt fünf Briefe geschickt. Er müsste doch endlich mal antworten, findest du nicht?«
Nick verzog den Mund. »So berühmte Leute kriegen bestimmt viel Post. Es ist auch möglich, dass mal ein Brief verlorengeht.«
»Im ersten Brief war ein Foto von mir«, zählte Sibylle betrübt auf. »In den anderen Briefen habe ich ihm mitgeteilt, was ich am Klavier gelernt habe. Außerdem möchte ich eine Menge von ihm wissen. Aber wenn er nicht antwortet, hat es keinen Zweck, dass ich ihm schreibe.«
»Versuch’s nur noch einmal.« Nick verfolgte den Weg des bekannten Künstlers in allen Zeitungen, die er ergattern konnte. Er fand es hochinteressant, dass Sibylle mit Thilo Bach Freundschaft geschlossen hatte und ermutigte die Kleine immer wieder, die Hoffnung, dass er ihr antworten werde, nicht aufzugeben.
Da Nick eine lebhafte Phantasie hatte, malte er sich aus, dass Thilo Bach seiner kleinen Freundin eines Tages in Sophienlust einen Besuch abstatten würde. Selbstverständlich würde er dann ein Konzert geben. Nick versprach sich davon etwas ganz Außergewöhnliches, obwohl er nicht genau wusste, was.
Sibylle hatte keine so hochfliegenden Ideen. Sie übte seit dem Konzert und ihrem Gespräch mit Thilo Bach mit noch größerem Eifer am Flügel und wartete jeden Tag auf einen Brief von dem Pianisten. Doch dieser Brief kam leider nicht.
»Also gut, ich schreibe ihm noch einmal«, beschloss Sibylle. »Was könnte ich ihm denn diesmal schreiben?«
»Lade ihn ein, dich zu besuchen«, schlug Nick spontan vor. »Wir freuen uns mächtig, wenn er kommt.«
»Meinst du, dass deine Mutti das erlauben würde?«
»Klar. Kannst sie ja fragen. Gäste sind immer willkommen bei uns. Ich habe da ja auch ein Wörtchen mitzureden.«
Gelegentlich betonte Nick, dass ihm Sophienlust gehörte und er gewissermaßen die Rechte eines Hausherrn besaß. Er tat das ohne jede Angeberei.
»Wenn er käme, könnte ich ihm vorspielen, was ich inzwischen bei Herrn Rennert gelernt habe«, sagte Billchen sehnsuchtsvoll. »Seit ich das Menuett von ihm gehört habe, weiß ich erst, wie es richtig klingen muss. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich besucht.«
»Sophienlust ist ziemlich berühmt«, äußerte Nick zuversichtlich. »Es hat schon oft etwas über uns in der Zeitung gestanden. Vielleicht kommt er doch.«
Sibylle strebte ins Haus, und Nick blieb an ihrer Seite. Gemeinsam fassten die beiden den Brief, der ihnen so sehr am Herzen lag, ab. Nick buchstabierte dem kleinen Mädchen die schwierigeren Worte. Schließlich malte er in schönen, gleichmäßigen Blockbuchstaben die Adresse auf den Umschlag. Frau Rennert half mit einer Briefmarke aus, und Nick erbot sich, das wichtige Schreiben in den Briefkasten zu werfen.
Billchen lief nun ins Musikzimmer und klappte den Deckel über den Tasten des Flügels hoch.
Nick hörte sie gleich darauf spielen. Er war fest überzeugt, dass Billchen einmal eine große Künstlerin sein würde. Im Augenblick aber dachte er an den Brief, der sein Ziel unter allen Umständen erreichen sollte.
Nick klopfte an eine Tür und trat ein, sobald er hereingebeten wurde. Es war ein gemütlich eingerichteter Raum mit altmodischen Möbeln. Im Lehnstuhl am Fenster saß die alte Huber-Mutter, die ihren Lebensabend in der Geborgenheit von Sophienlust verbrachte und von den Kindern sehr verehrt wurde. Sie kannte sich mit Heilkräutern aus, wusste Tee daraus zu kochen, wenn jemand krank war, und hatte schon oft das künftige Schicksal eines Kindes zu deuten gewusst.
»Grüß Gott, Nick.« Das faltenreiche Gesicht lächelte dem Jungen entgegen. »Bringst du mir einen Brief?«
Nick ging zu ihr und verbeugte sich. »Grüß Gott, Huber-Mutter. Nein, der Brief soll weggeschickt werden. Er geht an den berühmten Klavierspieler, den unser Billchen im Konzert kennengelernt hat.
Sie hat ihm schon ein paarmal geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Ob die Briefe überhaupt ankommen bei ihm?« Seine dunklen Augen richteten sich mit wacher Aufmerksamkeit auf seine alte Freundin.
Die Huber-Mutter streckte die Hand aus und entzifferte ein bisschen mühselig die Anschrift. »Nach Wien, ins Ausland, geht der Brief. Das ist richtig. Ich denke, dieser Herr hat Billchens Briefe bekommen. Aber vielleicht hat er keine Zeit, ihr zu schreiben, weil er so berühmt ist.«
»Sibylle will ihn zu uns einladen«, fuhr Nick eifrig fort. »Ob er kommen würde?«
Die Huber-Mutter blinzelte Nick zu wie eine Verschwörerin. »Willst du mal wieder hören, wie es weitergehen wird? Recht hast du, Nick. Ich glaube schon, dass er die Einladung annehmen wird. Viele berühmte Leute sind schon in Sophienlust gewesen.«
Nick strahlte. »Danke, Huber-Mutter. Jetzt bin ich richtig froh.«
»Nun, nun«, dämpfte die alte Frau seine Begeisterung. »Warte erst ab, was geschehen wird.«
Nick runzelte die Stirn. »Ist es nicht gut, wenn Thilo Bach nach Sophienlust kommt?«
»Doch, Nick. Für