Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
den Eindruck habe ich.« Der Chefarzt zog Bels Hand an die Lippen, verbeugte sich und ließ das Paar allein.
»Wie gut, dass es nichts Schlimmes ist«, flüsterte die junge Frau und neigte sich über das Bett, um ihre Lippen auf Thilos Mund zu legen. »Ich habe entsetzliche Angst ausgestanden.«
Der Künstler ließ eine Strähne ihres braunen Lockenhaares durch seine Finger gleiten. »Angst, ja, die hatte ich auch«, gestand er mit gesenkter Stimme, »denn sie machten hier alle ganz ernste Gesichter und stellten eine Menge komplizierter Untersuchungen an. Bist du sicher, dass ich deinen Eltern nicht zur Last falle?«, schaltete er noch einmal ein.
»Wir könnten auch …«
»Gar nichts könnten wir. Du scheinst nicht zu wissen, dass man sich auf dem Land über Gäste immer freut. Ich würde es dir übelnehmen, wenn du meine Einladung ausschlagen würdest. Du gehörst jetzt nach Wetterhof. Außerdem hast du nun Zeit, deine Schwiegereltern kennenzulernen.«
Bel bemerkte nicht, dass Thilo Bach bei dem Wort Schwiegereltern die Augen zusammenzog, als blicke er in ein Licht, das ihn blendete.
»Du hast recht. Ich schulde ihnen längst einen Besuch«, erklärte er schließlich entschlossen. »Ist es ihnen eigentlich recht, dass du mich auf meine Reise begleitest? Sie haben sicherlich ziemlich strenge Vorstellungen über den Lebenswandel eines jungen Mädchens mit gutem Namen.«
Bel streichelte seine blasse Wange. »Meine Eltern haben Vertrauen zu mir und respektieren meine Entschlüsse. Sie sind aufgeschlossen und modern. Ich habe ihnen viel von dir berichtet. Sie haben dich längst akzeptiert und ins Herz geschlossen.«
»Hoffentlich sind sie nicht enttäuscht.«
»Du bist bisher noch überall mit offenen Armen aufgenommen worden. Nur keine falsche Bescheidenheit.«
So scherzten sie und kamen dabei allmählich über den Schrecken hinweg. Thilo Bach ließ sich umsorgen und verwöhnen. Er machte sich keine Gedanken mehr und war bereit, die schöne Bel von Wettering vor den Traualtar zu führen, obwohl er die Liebe immer noch nicht ernst nahm. Er wollte nett sein und Bel nicht enttäuschen.
*
»Sibylle, ich habe eine Überraschung für dich.«
Billchen, die am Flügel saß und die Stücke übte, die ihr im Auftrag Thilo Bachs übersandt worden waren, nahm die Hände von den Tasten und sah Denise fragend an.
»Thilo Bach hat vorhin angerufen.«
»Ist das wahr?« Sibylle freute sich so sehr, dass es ihr fast den Atem verschlug. »Was hat er gesagt, Tante Isi?«
»Dass er uns besuchen will. Er erholt sich auf einem Gut, das ungefähr eine Stunde von hier entfernt ist. Am Sonnabend kommt er. Grüße an dich hat er mir auch aufgetragen.«
»Ich hatte ihm geschrieben und gefragt, ob er mich besuchen wolle«, stammelte Billchen überwältigt. »Dann kam bloß die Postkarte und das Päckchen mit den Noten. Da habe ich nicht mehr geglaubt, dass er mich wiedersehen möchte. Du, ich freue mich.« Sibyllchen sprang auf und umarmte Denise stürmisch.
»Wir werden ihn festlich empfangen. Magda soll Torten backen. Und du kannst ihm vorspielen, was du inzwischen gelernt hast.«
Billchen nickte voller Eifer. »Wenn ich ihn schön darum bitte, setzt er sich sicher selbst an den Flügel. Dann kann Tante Andrea ihn doch noch anhören, obwohl sie damals nicht mit ins Konzert gehen konnte und mir ihre Karte geschenkt hat.«
»Vielleicht möchte er nicht spielen. Er sagte mir, dass er Ferien hat. Wir dürfen ihn nicht drängen, Billchen. Wahrscheinlich muss er überall, wo er eingeladen ist, ans Klavier, auch wenn es ihm keinen Spass macht.«
Billchen zog die Stirn kraus. »Für mich spielt er gern, Tante Isi«, behauptete sie zuversichtlich.
Denise strich dem Kind übers Haar. Sie widersprach nicht, denn sie ahnte, dass Sibylle recht hatte.
Die nächsten Tage waren mit allerlei Vorbereitungen ausgefüllt. Wolfgang Rennert setzte durch, dass der Flügel gestimmt wurde. Magda dachte sich ein festliches Menü für den Abend aus und rührte außerdem einen herrlichen Kuchenteig nach dem anderen.
Am Freitag erhielt Sibylle einen Brief von ihrer Tante Anita. Sie schrieb, dass sie sich Sophienlust ansehen und Sibylle bald besuchen wolle.
»Ich brauche sie gar nicht«, flüsterte das Kind ein bisschen trotzig. »Aber wenn sie da ist, will ich ihr etwas vorspielen. Bestimmt wird sie sich wundern.«
»Sie wird stolz auf dich sein«, begütigte Denise. »Ich glaube, du fehlst ihr.« Auch sie hatte ein Schreiben von Anita Germersheim bekommen, in dem diese die Absicht zu erkennen gegeben hatte, ihre kleine Nichte in einiger Zeit wieder zu sich zu nehmen. Sie wolle heiraten, und ihr Verlobter sei damit einverstanden, das verwaiste Kind zu adoptieren.
Denise freute sich über Anitas Sinneswandlung. Doch sie fragte sich besorgt, wie Sibylle sich dazu stellen würde. Das Kind fühlte sich in Sophienlust zu Hause und hatte noch nie den Wunsch geäußert, zu seiner Tante zurückzukehren.
So kam der wichtige Tag heran. Obwohl es bereits herbstlich wurde, lachte die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Es war schulfreier Samstag, und die freudige Aufregung der Kinder knisterte in allen Winkeln und Ecken wie Elektrizität. Es war Nicks Idee, dem Auto des Gastes, der mit seiner Freundin Bel von Wettering erwartet wurde, ein Stück entgegenzureiten. Gleich nach dem Mittagessen zogen die Kinder ihre Reitsachen an und rannten in den Pferdestall, um die Ponys zu satteln. Nick und Irmela, die beiden besten Reiter, hatten große Pferde.
Justus, der ehemalige Verwalter von Sophienlust, legte mit Hand an und prüfte sachkundig, ob die Gurte richtig angezogen waren und die Steigbügel die vorgeschriebene Höhe hatten. Es war ein entzückendes Bild, als die Gruppe von kleinen Reiterinnen und Reitern davontrabte. An jedem Sattelknauf war ein Fähnchen befestigt. Damit wollten die Kinder dem Gast zuwinken.
Sibylle blieb ein bisschen traurig zurück, denn sie hatte sich nie entschließen können, in den Sattel zu steigen. Sie hielt Heidi Holsten bei der Hand, die noch zu klein war, um sich an einem solchen Ausritt zu beteiligen.
»Jetzt sind sie früher bei ihm als ich«, flüsterte Billchen enttäuscht. »Dabei kommt er doch zu mir.«
»Dafür spielst du ihm nachher etwas auf dem Flügel vor«, tröstete Heidi mit ihrer hellen Stimme.
»Hm. Trotzdem wünschte ich, ich könnte mit den anderen reiten. Warten ist eklig.«
Heidi blinzelte ihr zu. »Wir gehen zu Magda in die Küche. Vielleicht gibt es etwas zu schlecken.«
Sibylle vergaß ihren Kummer. Magda, die alle Hände voll zu tun hatte, steckte den beiden Mädchen ein paar Leckerbissen zu und verkündete außerdem, dass gleich die Schüssel, in der sie gerade die Zitronenspeise schlug, leer werden würde.
»Lass nicht zu wenig drin, Magda«, bettelte Heidi.
Die gutmütige Köchin, die schon zu Zeiten der alten Sophie von Wellentin das Regiment in der Küche geführt hatte, lachte. »So viel, dass ihr beide etwas kriegt, aber heute Abend keinen verdorbenen Magen habt. Torte wollt ihr doch nachher auch essen – oder nicht?«
Heidi leckte sich die Lippen. »Klar, Magda. Mindestens zehn Stück.«
»Das hat noch niemand geschafft, Heidi.«
Magda füllte die schaumige Zitronenspeise in mehrere Glasschalen und schob den Kindern die Rührschüssel hin. Mit den Fingern schleckten die beiden so lange, bis die Schüssel ganz blank und sauber aussah.
*
Um diese Zeit sahen Bel und Thilo eine Reiterkavalkade mit lustigen Fähnchen vor sich. Bel verlangsamte das Tempo des Wagens und hielt neugierig Ausschau.
»Sind Sie Herr Thilo Bach – auf dem Weg nach Sophienlust?«, fragte der dunkellockige Anführer der Kinder.
»Stimmt«, rief der Künstler zurück.
»Wir