Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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      Sofort erinnerte sie sich an den gestrigen Abend. Ein wenig schämte sie sich, dass sie Martin Hoffman so schnell entgegengekommen war. Doch dann fand sie diesen Gedanken lächerlich. Alles in allem war Dr. Martin Hoffman ein guter Mensch mit viel Verständnis für das Leid anderer. Sicherlich war er ein ausgezeichneter Arzt.

      Dann aber kehrten Gesas Gedanken wieder zu den Haslers zurück. Es war erst neun. Warum sollte sie nicht noch einmal zu der Villa fahren? Vielleicht waren die Haslers inzwischen zurückgekommen.

      Gesa zog sich an und frühstückte. Fast wunderte sie sich ein wenig, dass sie so guten Appetit hatte. Danach fuhr sie los.

      Aber auch an diesem Tag lag das Haus der Haslers wie ausgestorben da. Wieder überfiel Gesa eine quälende Unruhe. Zögernd blieb sie vor dem Gartentor stehen. Als sie sich umwandte, erblickte sie auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine ältere Frau vor einem Gartentor. Sollte sie in dem gegenüberliegenden Haus wohnen, würde sie bestimmt etwas über die Haslers wissen.

      Mit schnellen Schritten überquerte Gesa die Straße. »Ich wollte Frau Hasler besuchen«, sagte sie. »Aber die Familie scheint verreist zu sein.«

      Gesa entging nicht, dass sich das Gesicht der Frau plötzlich verschloss. »Sind Sie eine sehr gute Bekannte von Frau Hasler?«

      »Eigentlich nicht. Aber ich …«

      »Na ja, dann …«

      »Großmama, wo bist du denn?«, rief eine helle Kinderstimme aus dem Garten. »So komm doch!«

      »Entschuldigen Sie mich bitte«, murmelte die Frau. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie über die Unterbrechung mehr als erleichtert war.

      Gesa war wieder allein. Wie merkwürdig sich die Frau benommen hatte …

      Auf einmal war Gesa wie besessen von dem Wunsch, zu erfahren, was mit der Familie Hasler passiert war. Dass etwas geschehen war, stand für sie nun fest.

      Kurz entschlossen läutete Gesa an der Tür des Nachbarhauses. Lautes Hundegebell war zu hören, doch sonst rührte sich nichts.

      Gesa versuchte es an dem nächsten Haus. Auch diesmal schien niemand da zu sein.

      Gesa gab es auf. Sie setzte sich in ihr Auto und fuhr zum Hotel zurück. Dort wartete sie ungeduldig auf Dr. Martin Hoffmann, der pünktlich erschien. Ihr fiel sofort auf, dass er recht angegriffen aussah.

      Doch auch Martin entging ihr verstörtes Wesen nicht. »Was ist geschehen, Gesa?«, fragte er mit angehaltenem Atem.

      »Ich war heute Vormittag noch einmal bei dem Haus der Haslers. Sie scheinen noch nicht zurückgekommen zu sein. Und die Frau in dem gegenüberliegenden Haus hat sich sehr seltsam benommen. So seltsam, dass ich anfange, mir ernstliche Sorgen zu machen. Natürlich ist das alles lächerlich. Denn im Grunde genommen geht mich mein Kind nichts mehr an«, fügte sie hinzu.

      »Gesa, ich habe Sie gestern Abend angeschwindelt. Ich kenne die Haslers. Ich bin ihr behandelnder Arzt gewesen«, fügte er bedrückt hinzu.

      »Gewesen? Dann haben sie den Arzt gewechselt?«

      Als Martin in ihre weit aufgerissenen Augen blickte, hatte er nicht mehr die Kraft, ihr die Wahrheit zu sagen. »Ja, so ist es, Gesa.«

      »Und wie heißt der Junge?«

      »Andreas Hasler. Es ist ein hübsches Kind mit großen grauen Augen und aschblonden Haaren.«

      Der seltsame Ton in seiner Stimme ließ Gesa stutzig werden. »Nicht wahr, Sie verschweigen mir etwas?«

      »Aber nein, Gesa.« Dabei schalt er sich, ich bin wirklich ein Feigling. Rasch sagte er: »Ich habe einen Mordshunger.«

      Gesa war jedoch völlig appetitlos. Fast körperlich spürte sie, dass irgendetwas Furchtbares geschehen war, dass Martin ihr aus Mitleid etwas verschwieg.

      Lustlos stocherte sie später in ihrem Essen herum. Schließlich legte sie die Gabel und das Messer auf den Teller und erklärte: »Es ist mir einfach unmöglich, noch einen Bissen zu mir zu nehmen. Ich fühle, dass Sie mir etwas verschweigen, Martin. Dabei dachte ich, Sie seien mein Freund.«

      Martin sah ein, dass er kein Recht hatte, noch länger zu schweigen »Ich werde zahlen. Danach setzen wir uns wieder auf eine Bank im Kurpark. Einverstanden?«

      »Einverstanden.«

      Gesa nahm kaum etwas von dem lebhaften Treiben um sich herum wahr, als sie einen gepflegten Weg zwischen noch gepflegteren Rasen entlanggingen. Sie fanden eine Bank etwas abseits vom Trubel.

      Martin umschloss ihre beiden Hände. »Gesa, was ich Ihnen jetzt sagen muss, fällt mir sehr schwer. Trotzdem bin ich dem Schicksal dankbar, dass ich Ihnen hier begegnet bin. Ich hoffe sehr, dass es mir gelingen wird, Ihnen zu helfen, zumindest beizustehen.«

      »Nicht wahr, mein Kind ist tot?«, fragte sie wie in Trance.

      »Ja, es ist tot, Gesa.« Ganz fest umfasste er ihre zuckenden Hände.

      »Wann ist es gestorben?« Wie ein waidwundes Tier, das auf den Gnadenstoß wartet, sah sie ihn an.

      »Vor einigen Wochen ist es geschehen. Die Haslers sind mit dem Auto verunglückt.«

      »Und keiner hat das Unglück überlebt?«

      »Keiner, Gesa.« Martin zog sie an sich. »Weinen Sie nur, Gesa. Das wird Sie erleichtern.«

      »Ich kann nicht weinen, Martin. Können Sie das verstehen?« Sie lehnte sich an ihn. Dabei dachte sie an Clemens. Er hätte jetzt bei ihr sein sollen, aber er war weit fort von ihr und wollte nichts mehr von ihr wissen. Er hatte ihr auch Oliver genommen, obwohl er wusste, wie sehr sie das Kind liebte. Andreas hatte ihr erster Sohn also geheißen. Kleiner Andreas, ich bin schuld an deinem frühen Tod, dachte sie. Hätte ich dich bei mir behalten, würdest du noch leben.

      »Gesa, weinen Sie«, flehte Martin. Der starre Ausdruck in ihren Augen machte ihm Sorgen.

      »Ich kann nicht, Martin. Bitte, bringen Sie mich ins Hotel zurück«, bat sie. »Ich möchte für ein Weilchen allein sein.«

      »Gern lasse ich Sie aber nicht allein. Nicht wahr, Sie werden vernünftig sein?«

      »Sie meinen damit, ob ich mir etwas antue? Das werde ich bestimmt nicht tun, Martin. Ich habe noch Oliver. Er braucht doch seine Mutter. Mehr denn je werde ich um mein Kind kämpfen. Mehr denn je«, wiederholte sie. »Wo ist das Unglück geschehen?«

      »Das weiß ich nicht. Es ist auch nicht so wichtig für Sie, Gesa. Sie müssen sich einreden, dass Ihr Kind Ihnen niemals gehört hat.«

      »Das ist wahr. Es ist wirklich nicht wichtig«, entgegnete sie monoton. Doch zugleich dachte sie, als sie wie eine Schlafwandlerin neben Martin zum Hotel zurückging, es ist wichtig. Ich möchte wenigstens wissen, wo mein Junge begraben ist. Niemand kann mir verwehren, Blumen auf sein Grab zu legen. Niemand.

      »Wir sind da, Gesa. Nach meiner Sprechstunde komme ich zu Ihnen.«

      »Das ist nett. Ich werde auf Sie warten.« Sie reichte ihm die Hand und sah ihn an. Aber ihr leerer Blick zeigte ihm, dass sie weit fort war mit ihren Gedanken. Schweren Herzens ließ er sie allein. Gesa hatte sich jedoch in den Kopf gesetzt, zu erfahren, wo ihr Kind gestorben war. Wie in Trance verließ sie das Hotel wieder und fuhr noch einmal in die Straße, in der das Haus der Familie Hasler stand. Sie läutete an der gegenüberliegenden Gartentür. Als sie die alte Frau erblickte, die sie schon am Vormittag gesehen hatte, atmete sie auf. Sie nannten ihren Namen und sagte: »Inzwischen habe ich erfahren, was geschehen ist. Aber man konnte mir nicht sagen, wo das Unglück geschehen ist.«

      »Zufällig kenne ich den Ort. Frau Helbricht, die Haushälterin der Haslers, hat es mir verraten. Der Ort heißt Maibach und liegt südlich von Frankfurt.«

      »Maibach. Vielen Dank.« Gesa reichte der alten Frau impulsiv die Hand. Dann eilte sie zu ihrem Wagen. Dort notierte sie sich den Namen des Ortes und fuhr zum Hotel zurück. Sie bat den Portier, ihre Rechnung fertig zu machen. Dann rief sie Martin in


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