Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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mache mich noch selbst verrückt, dachte Gesa. Morgen werde ich wieder herfahren. Die Haslers sind vermutlich nur für ein paar Tage verreist! Wenn ich nur wüsste, in welchem Kaufhaus Alfred Hasler als Filialleiter arbeitet.

      Gesa ging zu ihrem Auto zurück und betrat etwas später ihr Hotel. In ihrem Zimmer überlegte sie wieder, ob es nicht besser sei, Bad Kissingen auf der Stelle zu verlassen und sich die Gedanken an ihr Kind, von dem sie sich eigentlich für alle Zeiten getrennt hatte, aus dem Kopf zu schlagen.

      Doch wieder folgte sie nicht der Stimme der Vernunft. Sie nahm ein Bad und zog sich sorgfältig an. Um nicht den ganzen Abend allein zu sein, suchte sie nach einem hübschen Restaurant, um dort zu Abend zu essen.

      An diesem Abend lernte Gesa einen jungen Arzt kennen. Er hieß Martin Hoffmann und war gebürtiger Münchner. Seit zwei Jahren war er Kurarzt in Bad Kissingen.

      Vom ersten Augenblick an verstand sich Gesa mit ihm ausgezeichnet. Dass sie ihm ebenfalls gefiel, erkannte sie an seinem bewundernden Blick.

      Sein aufgeschlossenes Wesen und sein fröhliches Naturell lenkte Gesa von ihrem Kummer ab.

      »Bleiben Sie länger bei uns?«, fragte er, als sie zusammen bei einer Flasche Wein saßen.

      »Das kommt darauf an.« Gesa schenkte ihm ein reizendes Lächeln, denn sie hatte das Gefühl, ihn schon seit langem zu kennen. So vertraut war er ihr bereits.

      Er umschloss ihre Rechte und berührte dabei den breiten Ehering. »Es wäre ein Wunder gewesen, wenn eine so hübsche Frau wie Sie nicht verheiratet wäre«, stellte er bedauernd fest. »Aber es ist immer dasselbe. Begegne ich mal einer Frau, die ich vom Fleck weg heiraten würde, ist sie vergeben. Schicksal.« Er lachte. »Wäre es unverschämt von mir, wenn ich Sie um ein Wiedersehen bitten würde?«

      Es war Gesa klar, dass alles, was sie seit ihrer Abreise von Hamburg unternommen hatte, nichts mit Vernunft zu tun hatte. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt vernünftig sein und ihm ein Wiedersehen verweigern, fragte sie sich.

      Plötzlich musste sie an Clemens und seine Sekretärin denken. Ein Schatten fiel über ihre Züge. Clemens würde keine Skrupel haben, mit Renate Vogt beisammen zu sein. Außerdem – war sie nicht in gewisser Weise frei, dachte sie.

      »Habe ich etwas gesagt, was Sie verletzt?«, fragte Dr. Martin Hoffmann, dem ihr lebhaftes Mienenspiel nicht entging.

      »Bestimmt nicht.« Sie fuhr sich über die Stirn. »Ich war nur für einen Augenblick woanders mit meinen Gedanken.«

      Dr. Martin Hoffmann war nicht nur ein guter Arzt, sondern auch ein ausgezeichneter Psychologe. Längst hatte er begriffen, dass Gesa Kummer hatte. Er nahm an, dass es Schwierigkeiten in ihrer Ehe gab, aber er fühlte sich nicht berechtigt, indiskrete Fragen zu stellen.

      »Wie heißen Sie mit Vornamen?«, fragte er statt dessen.

      »Gesa.«

      »Gesa? Nur Gesa?«

      »Nur Gesa«, bestätigte sie lächelnd.

      »Ein seltener Name.«

      »Das stimmt. Meine Mutter hatte eine liebe Freundin, die früh starb. Sie hieß Gesa. Eigentlich hätte sie meine Patentante werden sollen, aber sie starb noch vor meiner Geburt.«

      »Gesa? Darf ich Sie so nennen?«

      »Gern, Martin.« Ihr Lächeln vertiefte sich. Sie fühlte sich in seiner Nähe unendlich geborgen.

      Wieder umfasste er ihre Hand und zog sie an die Lippen. Tief sah er ihr in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick und hatte das Gefühl, nicht mehr sie selbst zu sein.

      Die Luft zwischen ihnen schien elektrisch geladen zu sein, als sie später durch den Kurpark gingen. Als er sie dann in die Arme nahm und an sich zog, ließ sie sich willenlos von ihm küssen.

      »Gesa, ich weiß, dass ich verrückt bin, weil ich mich in dich verliebt habe«, sagte er verwirrt. Nur widerwillig löste er sich von ihr.

      Seine Worte rissen sie in die Wirklichkeit zurück. »Ich glaube, der Wein ist schuld. Bitte, verzeihen Sie mir …« Ein Tränenstrom erstickte ihre Worte.

      Wieder zog er sie an sich und hauchte ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Stirn. »Gesa, vergessen wir am besten alles«, kam er ihren Wünschen entgegen. Dann hakte er sich bei ihr unter und führte sie zur nächsten Bank. »Wollen wir uns ein wenig setzen?«, fragte er bittend. »Nicht wahr, Sie sind sehr unglücklich?«

      »Unglücklich ist gar kein Ausdruck dafür, Martin.«

      »Bestimmt würde Ihnen leichter ums Herz werden, wenn Sie sich aussprechen würden. Ich habe großes Verständnis für das Leid anderer«, fügte er scherzend hinzu. »Soll ich Fragen stellen, um Ihnen Ihre Beichte zu erleichtern?« Er legte den Arm um sie.

      Für einen Moment lehnte sie ihren Kopf schutzsuchend an seine Schulter. Dann erzählte sie ihm, was sie quälte. »Und weil ich mich so verlassen fühlte, bin ich hierhergefahren, um meinen unehelichen Sohn wenigstens ein einziges Mal zu sehen«, fügte sie erregt hinzu.

      »Ihr Mann muss ein Barbar sein«, entfuhr es ihm impulsiv.

      »Würden Sie Ihrer Frau eine solche Lüge verzeihen?«

      »Ich würde es ohne Zögern tun, Gesa, wenn ich sie liebte. Und Ihr Mann liebt Sie doch, nicht wahr?«

      »Das hatte ich auch bisher geglaubt. Aber nun bin ich mir seiner Liebe nicht mehr so sicher.«

      »Wie heißt die Familie, die Ihren Sohn adoptiert hat?«

      »Hasler. Er ist Filialleiter in einem Kaufhaus. Das habe ich dem Adressbuch entnommen.«

      In diesem Augenblick verschwand der Mond hinter einer Wolke. So konnte Gesa das Erschrecken des Arztes nicht bemerken, worüber er froh war. Er wusste, in ihrer augenblicklichen Verfassung wäre es eine Katastrophe gewesen, wenn sie die Wahrheit erfahren hätte. Sie hätte gewiss einen Nervenzusammenbruch bekommen.

      »Ist Ihnen die Familie Hasler bekannt?«, fragte Gesa gespannt. »Es könnte doch sein«, mutmaßte sie, als er sichtlich mit der Antwort zögerte.

      »Ich glaube nicht«, erwiderte er hastig. »Kissingen hat zirka dreizehntausend Einwohner, und dann kommen noch die unzähligen Kurgäste dazu.« Er lachte. »Da wäre es wirklich ein Wunder, wenn ich die Haslers zufällig kennen würde.«

      Gesa hatte das Gefühl, einen wirklichen Freund gewonnen zu haben, als sie sich von ihm vor ihrem Hotel verabschiedete.

      »Bis morgen«, sagte er. »Ich würde gern mit Ihnen zusammen zu Mittag essen. Ich habe ungefähr zwei Stunden Zeit. Soll ich Sie abholen?«

      »Das wäre nett.« Sie erwiderte seinen Händedruck mit einem erleichterten Lächeln.

      »Gesa, ich rate Ihnen, morgen recht lange zu schlafen. Unternehmen Sie nichts in der Sache. Ich werde Erkundigungen nach der Familie einholen. Es wird schon so sein, wie Sie vermuten. Die Familie wird verreist sein. Wie Sie mir sagten, ist der Junge bereits über sechs. Vermutlich geht er schon in die Schule.«

      »Das glaube ich weniger. Er wurde im April geboren. Also ist er in diesem Jahr erst sechs geworden.«

      »Manchmal schickt man die Kinder auch früher in die Schule. Aber das werden wir ja sehen.« Er drückte noch einmal ihre Hand und wartete dann noch einen Moment, bis Gesa im Hotel verschwunden war.

      Arme Gesa, dachte er. Die Tragödie wird ein furchtbarer Schock für sie sein, wird sie der Verzweiflung nahebringen.

      Gesa schlief sofort ein, während Martin Hoffmann noch lange wachlag und grübelte. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben, als ihr schon morgen die Wahrheit über ihren Sohn zu sagen. Sonst würde sie sie von fremden Leuten erfahren.

      Genaugenommen bin ich für sie auch ein Fremder, überlegte er. Aber sie ist für mich keine Fremde mehr. Ich habe mich doch tatsächlich Hals über Kopf in sie verliebt.

      *

      Gesa


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