KAMASUTRA IN UNTERFILZBACH. Eva Adam
kleine Gemüsegärtchen vor dem Haus taten ihr Übriges, das Bilderbuchidyll zu komplettieren. Vor vier Jahren war sogar mal ein Fernsehteam vom dritten Programm dagewesen. Also vom Bayerischen Rundfunk quasi, aber in Unterfilzbach und im sonstigen Bayern wird der Bayerische Rundfunk wohl ewig »das Dritte« bleiben, so ist es und so war es und so bleibt es auch. Ganz egal, auf welchem Sendeplatz er eingestellt ist, beim »Dritten« weiß einfach jeder Bescheid, was gemeint ist. Jedenfalls wurden in einer Sendung, bei der es um gelungene Hausrenovierungen ging, der Sepp und sein Bauwerk vorgestellt. Damals hat er eine Woche lang gestrahlt wie ein neues Fuchzgerl, so stolz war er da. Leider wohnte er allein in seiner fernsehbekannten Bayerwald-Villa, weil er keine Familie hatte, obwohl er schon eine Frau gemocht hätte, wenn er eine bekommen hätte, wenn es eine gescheite gewesen wäre. Aber der Markt an Singlefrauen war in Unterfilzbach recht überschaubar und recht viel weiter raus kam der Sepp halt nicht.
Hinter dem Haus hatte er seine Bastelhütte mit dem Ersatzteillager stehen. Wenn etwas kaputt war, dann brachte es der Hansi eigentlich immer erst einmal zum Sepp und meistens funktionierte es danach auch wieder, ab und zu sogar besser als vorher. Bettinas Staubsauger zum Beispiel, der hatte nach der Überholung in Sepps Werkstatt tatsächlich mal den halben Wohnzimmerteppich mit eingesaugt, obwohl der richtig verlegt war mit Kleber und so – er hat den Staubsauger da fast ein wenig zu stark frisiert. Tunen und mehr Power einbauen konnte der Sepp besonders gut. Jedenfalls waren der Scharnagl Hansi und der Müller Sepp ein sehr harmonisches Duo und sie teilten sogar den gleichen, manchmal schwarzen Humor. Eine richtige Männerfreundschaft eben.
Das Einzige, worin sich die zwei nicht ganz einig waren, war ihr Musikgeschmack. Der Sepp mochte es nämlich schon ein wenig wilder, zumindest musikalisch. Also seine Lieblingsband war die Bläsertruppe LaBrassBanda, ein paar junge Burschen aus dem Oberland, die Blasmusik ein wenig anders interpretieren, um nicht zu sagen: rocken. Da konnte der Sepp tanzen … der Wahnsinn. Einmal, da hat der Sepp den Hansi auf ein Konzert von diesen LaBrassBandas mitgenommen. Der Hansi dachte echt, da wäre wirklich eine Schlägerei ausgebrochen, und hat sich gleich so erschrocken. Dabei haben die da »getanzt«, hatte ihm der Sepp später erklärt. Bayerischer Pop oder Rock waren absolut dem Sepp sein Ding. Sein Traum war es ja, einmal auf das »Heimatsound Festival« in Oberammergau zu gehen, das wäre mal was, dachte sich der Sepp oft. Aber er hatte ja keinen, der da mitgehen würde. Der Hansi begleitete ihn da sicher nicht mehr, weil ihm das auf jeden Fall zu »damisch« wäre, nach dieser Erfahrung beim ersten Konzert mit Sepp. Deshalb blieb ihm im Moment nix anderes übrig, als davon zu träumen.
Der Hansi hingegen war musikalisch eher … sagen wir mal, romantisch veranlagt. Seine absolute Lieblingssängerin war Helene Fischer. Mei, da bekam der Hansi immer große Augen, wenn er sich ihre Drei-Stunden-Galas im Fernsehen anschaute. Die anderen Scharnagls suchten da immer gleich das Weite, wenn das Familienoberhaupt die blonde Schlagerkönigin den ganzen Abend lang am Bildschirm anschmachtete. Wenn der Hansi so richtig gut drauf war, dann hörte man manchmal durch den Opel Astra der Scharnagl-Familie die Helene und den Hansi im Duett »Atemlos« singen, auch wenn die Fenster geschlossen waren. Dann drehte er die Lautstärke bis auf Anschlag. Aber diese kleine Verschiedenheit störte die zwei Spezln nicht und sie freuten sich einfach, dass sie so gut zusammenpassten.
Den ganzen restlichen Arbeitstag über grübelte Hansi so vor sich hin und war so weit weg mit seinen Gedanken, dass er dabei mindestens zehn Spezialglühbirnen beim Stapeln der Weihnachtsgirlanden zerbrochen hatte. Das durfte der Wiggerl natürlich nicht sehen, sonst war der die ganze restliche Woche wieder unausstehlich. Seine Gedanken waren bei der neuen Leiche aus dem Gefrierhaus. Er zweifelte ja manchmal selber ein bisserl an seiner Intelligenz, weil jetzt der Kriminaler nicht mal auf die Idee kam, da genauer hinzuschauen. Ich bin ja nicht der Gescheiteste, aber ein wenig logisch denken kann ich schon, das muss man ja als Handwerker auch. Aber verrenn ich mich da jetzt in irgendwas? Hansi hatte absolut kein gutes Gefühl.
So ging es den ganzen Tag in seinem Gehirn hin und her. Es ließ ihm keine Ruhe und nach Feierabend schaute er noch mal bei der Metzgerei Aschenbrenner vorbei. Den Sepp nahm er auch mit. Die zwei gingen hinten durch den Schlachthauseingang und trafen gleich auf Reiner Aschenbrenner. Noch immer konnte man ihm ansehen, wie sehr er betroffen war vom morgendlichen Geschehen und wahrscheinlich vom Verlust seiner besten Arbeitskraft.
»Du Reiner, könnt ich mir mal die Notverriegelung in deinem Gefrierhaus anschauen? Ich kann das einfach ums Verrecken nicht glauben, dass das ein Unfall gewesen sein soll, so wie der großkopferte Baumgartner heute in der Früh einfach so festgestellt hat.«
Der Metzger war gerade dabei, frische Weißwürste abzudrehen, aber so engagiert und leidenschaftlich wie sonst wirkte er dabei nicht.
»Ja freilich, Hansi. Mir lässt das ja auch keine Ruhe. Ich kann auch an nix anderes mehr denken. Die Berufsgenossenschaft war ja erst da und hat da nix festgestellt, dass an der Tür was gefehlt hätte. Das ist zwar nicht mehr das neueste Modell, aber es ist da alles in Ordnung gewesen, da passe ich ja immer gut auf«, sagte der Metzger Aschenbrenner mit überzeugender Stimme.
Hansi hatte sich sogar extra noch schnell seine Lesebrille von daheim geholt, die er seit circa einem Jahr brauchte, aber partout nicht leiden konnte, und nun inspizierten er und Sepp das Gefrierhaus. Sepp hatte selbstverständlich auch seinen Werkzeugkasten dabei und schraubte gleich mal den Türöffner auseinander. Gefühlt hundert Schrauben, Muttern, Federn, Gummiringe und sonstige undefinierbare Kleinteile lagen in Windeseile auf dem Boden verteilt. Hansi und vor allem Sepp sahen sich jedes einzelne davon ganz genau an. Hansi musste sich das Anschauungsobjekt immer erst auf die richtige Entfernung für die entsprechend scharfe Sicht einrichten. Jedes Mal, wenn er was in die Hand nahm, brauchte er erst einmal 30 Sekunden, in denen er seinen Arm vor und zurück bewegte, um dann das Scharnagl-Adlerauge auch über den zu prüfenden Gegenstand schweifen lassen zu können. Herrschaftszeiten, das wird ja echt nicht besser mit meinen Augen, dachte er und ärgerte sich. Aber der Optiker meinte ja, ab 45 setzt halt die Alterskurzsichtigkeit ein, hilft ja nix, schob er seinen Unmut beiseite und widmete sich dann wieder seinen kriminalistischen Recherchen.
»Ja verreck, schau mal her, Hansi!«
Als wenn er die Nadel im Heuhaufen gefunden hätte, hielt Sepp voller Freude Hansi einen kleinen Metallstift unter die Nase. Hansi betrachtet das Objekt, konnte aber nix Ungewöhnliches feststellen.
»Ähm, ja, was ist damit, Sepp?«
»Siehst du das da nicht? Schau mal genau hin und setz deine Brille richtig auf«, sagte Sepp verwundert darüber, dass Hansi seine Entdeckung nicht gleich gesehen hatte.
Nachdem Hansi seine Hand mehrmals in verschiedenen Varianten vor seinen Augen positioniert hatte, sah man nach einer Weile, wie die Erkenntnis in seinem Gesicht aufging.
»Ich hab es doch gewusst! Das ist der Beweis! Reiner, schau mal da ganz genau hin!«, triumphierte Hansi euphorisch.
Da war doch tatsächlich der kleine Metallstift angesägt worden, der zum Öffnen den Mechanismus der Tür betätigen sollte, und dann wahrscheinlich abgebrochen ist, als Sandra daran gerüttelt hatte. Das war ja echt ein starkes Stück. Also war es kein Unfall! Hansi freute sich über diese Feststellung sehr, hatte er doch wirklich an seinem Bauchgefühl gezweifelt, das die letzten 45 Jahre bisher eigentlich ein recht guter Ratgeber gewesen war.
»Das müssen wir jetzt der Polizei sagen, Hansi«, meinte Sepp pflichtbewusst.
»Hmmm, ich weiß nicht, Sepp. Meinst du wirklich?«
Betretene Stille in der Metzgerei. Wieder einmal war der Metzgermeister, der noch gar nicht vom morgendlichen Schock zu sich gekommen war, sprachlos und käseweiß. Die Stille schien unendlich zu sein. Aber Hansis Hirn lief jetzt auf Hochtouren. Sollten sie das dem Kommissar Baumgartner sagen oder nicht? Was würde er dann tun? Eigentlich war es ja vorher fast schon eindeutig gewesen, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging, und der Polizist hatte sich trotzdem auf einen Unfall rausgeredet. Der Baumgartner war ja schon 63 Jahre alt und ganz knapp vor der Pensionierung. Irgendwo hatte Hansi gehört, dass der bereits die letzten zwei Jahre nicht mehr viel getan hatte und sich gedanklich auf seinen Ruhestand vorbereitete. Hansi Scharnagl begann ernsthaft zu zweifeln, ob Hauptkommissar Baumgartner diesem eindeutigen Beweis wirklich nachgehen und den Fall richtig