KAMASUTRA IN UNTERFILZBACH. Eva Adam
so gut für mein Kreuz. Wenn er sich da an den gebastelten Kamasutra-Adventskalender zurückerinnerte, spürte er sofort wieder ein Ziehen in seinem unteren Rückenbereich. Außerdem war er ja immer noch nicht unzufrieden mit seinem Liebesleben. Er brauchte da eigentlich keinen »neuen Schwung« hineinbringen. Das passt schon, sinnierte der Scharnagl Hans, als er Bettina vor dem KaufGut-Supermarkt absetzte und in den Bauhof weiterfuhr.
Im KaufGut war diesen Donnerstag das Aktionsthema »Wellness, Massage und Entspannung zu zweit« angesagt. Bettina befürchtete wieder mal Schlimmstes, und dann ging es erwartungsgemäß tatsächlich rund. Die Kundinnen standen bereits ab 7.30 Uhr mit Einkaufswagerl »bewaffnet« Schlange vor der Tür, die ja immer erst pünktlich um 8.00 Uhr geöffnet wurde.
Es war schon narrisch, dachte sich Bettina, als sie so schweigend von ihrer Kasse aus zusah, wie die Damen des Ortes sich auf die Donnerstags-Aktionsregale mit Massageölen, Massagestäben, Liebestees, Duftkerzen – die die Libido anregen sollen – und noch anderen Entspannungsschnickschnack stürzten. So ging es sonst eigentlich nur zu, wenn es die Kinderstrumpfhosen gab. Gut, dass sich Bettina schon mal ihre ausgewählten Aktionsangebote beiseitegelegt hatte. Denn auch die Scharnagls hatte dieses Unterfilzbacher Frühlingsgefühl angesteckt, zumindest Bettina. Den Hansi würde sie davon schon überzeugen. Heute Abend wird er schauen, der Bärle, wenn ich das anregende Schaumbad Wilder Hengst in der Scharnagl'schen Badewanne vorbereite. Hoffentlich geht es dem Kreuz von meinem Bärle schon besser, damit er auch ein wenig in Wallung kommt …, dachte sich Bettina gerade so verträumt, als die ersten Kundinnen ein wenig abgekämpft und sichtlich außer Atem mit ihren ergatterten Wellness- und Liebesausrüstungen zur Kasse kamen.
Der Vormittag von Hansi Scharnagl verging recht flott, denn der Wiggerl hatte angeordnet, schnellstmöglich die Weihnachtsbeleuchtung abzumontieren, die er ganz vergessen hatte. Die Bauhofmänner hatten sich schon ins Fäustchen gelacht, weil der Bauhofkapo vor lauter »Blow-ups« die regelmäßigen Arbeiten wohl übersehen hatte. Dazu gehörte es eigentlich auch, die Weihnachtsbeleuchtung abzumontieren, spätestens im Januar.
Aber der Wiggerl konnte es gar nicht leiden, wenn seine Untergebenen auch mal auf Arbeiten hinwiesen. Das ist mein Job, sagte er dann immer. Er war ja der mit der Logik, nur dass diese halt manchmal erst etwas zeitverzögert einsetzte. Nun war es bereits März und die Unterfilzbacher witzelten schon, dass es dieses Jahr wohl eine Osterbeleuchtung geben würde. Nach einem Anruf vom Bürgermeister sagte der Wiggerl am Morgen mit hochroten Kopf und sichtlich beschämt ganz leise zu Sepp und Hansi, sie mögen doch ganz unauffällig und schnell die Beleuchtung abmontieren.
So unauffällig es ging, fuhren also Sepp und Hansi mit dem großen roten Feuerwehr-Drehleiterwagen durch den Ortskern und montierten die großen beleuchtbaren Sterne und Girlanden ab. Dass das jetzt unauffällig war, konnte man nicht wirklich behaupten, aber so wurde das halt schon immer gemacht. Wie sollten sie denn auch sonst an die Beleuchtung herankommen, die zum Teil an den Dachrinnen der Häuser befestigt war? So war es am einfachsten und praktischsten. Leider kam Sepp manchmal versehentlich an den Knopf für die Feuerwehrsirene, sodass jeder Unterfilzbacher, der in Hör- und Sichtweite war, das Spektakel Weihnachtsbeleuchtungsentfernung bemerkt haben dürfte. Dass hier und da mal einer beim Vorbeikommen einen Spruch losließ, störte die Männer nicht so sehr, denn alle kannten Wiggerl und wussten, wie hektisch und zerstreut er manchmal war.
Als sie gerade auf Höhe der Metzgerei Aschenbrenner die letzte Weihnachtsgirlande auf ihren Unimog aufgelegt hatten, beschlossen die beiden Kollegen in Kommunalorange, sich doch eine kleine Schüssel frisches saures Lüngerl in der Metzgerei zu gönnen, schließlich waren sie den Vormittag über schon sehr fleißig gewesen.
Gesagt, getan. Sepp und Hansi standen gerade beim »Lüngerl to go« – obwohl sie es heute mal an Ort und Stelle aßen und nicht im Brotzeitkammerl –, als Kriminalhauptkommissar Josef Baumgartner zur Tür hereinkam.
Gerade dachte sich Hansi noch, dass ihn das gar nicht wunderte, denn das Lüngerl vom Metzgermeister Reiner Aschenbrenner war ja wirklich saugut, und da war es schon verständlich, dass auch die Polizei hier einkehrte. Aber der Kommissar ging schnurstracks gleich hinter die Wursttheke in Richtung Kühlhaus.
Da stimmt doch was nicht, ging es Hansi durch den Kopf. Und sofort hatte er wieder die Bilder vom Leichenfund des Apothekers ein paar Wochen zuvor im Kopf. Das ganze Geschehen, diese Bilder, alles, was damals passiert war, ließ ihm absolut keine Ruhe mehr. Tagtäglich dachte er daran und stellte sich so manche Frage, die sich der Möchtegern-Sherlock-Holmes aus der Kreisstadt seltsamerweise nicht zu stellen schien.
Ein ganz komisches Gefühl drückte plötzlich in Hansis Magengegend und das kam jetzt bestimmt nicht vom sauguten sauren Lüngerl. Er konnte nicht anders und folgte dem Kommissar in Richtung Kühlhaus.
Sepp wartete lieber. Die Verkäuferinnen verzogen nicht mal eine Miene, denn die Metzgerei war rappelvoll. Das frische Lüngerl, das es jeden Donnerstag gab, war einfach ein Verkaufsschlager, und so hatten die Damen alle Hände voll zu tun. Hansi bemerkten sie gar nicht wirklich, als er an ihnen vorbeiging.
Ein käseweißer Metzgermeister Reiner Aschenbrenner, eine aufgeregte Maria Aschenbrenner und der niederbayerische Schimanski-Verschnitt alias Josef Baumgartner standen vor der offenen Tür zum Gefrierraum und blickten gleichzeitig wortlos hinein. Reiner konnte wohl nicht mehr stehen und saß auf einer großen roten Plastikwanne, in der normalerweise die Metzgereierzeugnisse ausgeliefert wurden.
Hansi zögerte ein wenig, aber er musste jetzt einfach wissen, was da los war. Er näherte sich dem Trio und sah auf dem Gefrierraumboden einen vereisten Frauenkörper in einer Aschenbrenner-Verkaufsschürze liegen.
Ja do legst di nieder, das ist ja die Sandra!!!
Trotz der Kälte, die aus dem Gefrierraum kam, wurde es Hansi ganz heiß und das Lüngerl machte Anstalten, wieder den Rückwärtsgang einlegen zu wollen.
Der Metzgermeister, den Hansi eigentlich auch recht gut vom gemeinsamen Schafkopf-Stammtisch beim Dorfwirt kannte, saß fassungslos auf seiner roten Wanne vor dem Gefrierhaus und war anscheinend in Schockstarre gefallen. Seine Frau redete jetzt ohne Ende, das war ja bei der Metzgersgattin eigentlich immer so, aber heute war sie besonders aufgeregt und rannte wie eine wild gackernde Henne von der Wurstküche zum Schlachthaus und wieder zur Fundstelle und redete und gackerte und redete und gackerte.
»Ja um Himmels willen, bei uns eine Tote, des gibt's ja nicht. Was sollen denn die Kunden denken? Die kaufen nie wieder eine einzige Wurstsemmel bei uns. Wie kann denn das sein? Die Sandra! Ja du lieber Gott, wie kann die nur so blöd sein. Wenn das die Metzgerinnung mitbekommt, das wird bestimmt gleich das Gesundheitsamt erfahren und dann kommt der Kontrolleur wieder ständig daher.«
Und so ging es ohne Punkt und Komma weiter.
Der Kommissar sagte bisher noch gar nichts. Er schaute sich nur ganz »g'schaftig« im Gefrierraum um. Sandra lag zwischen den Schweinehälften und den Haxen und den unter anderen Umständen eigentlich schon leckeren Köstlichkeiten, die die Metzgerei Aschenbrenner zu bieten hatte. Ab und zu brummte der Kommissar Unverständliches und kniete sich vor die tote Metzgereifachverkäuferin auf den kalten Boden, schaute sie aus allen Richtungen an und erweckte den Eindruck, als ob er eine Röntgen-Obduktion allein mit seinen Augen durchführen könnte.
Das ging so circa zehn Minuten. Reiner Aschenbrenner hatte immer noch kein Wort gesagt und seine Gesichtsfarbe war auch noch keine andere geworden. Eindeutig immer noch der Schock, analysierte Hansi.
Hansis Hitzewallungen waren inzwischen verschwunden und sein Hirn schien langsam wieder auf Normaltemperatur seinen Denkbetrieb aufzunehmen. Also zwei Tote in so kurzer Zeit in Unterfilzbach, das war sicher kein Zufall. Da fress ich ja einen Besen, wenn jetzt der Baumgartner wieder mit einem Unfall daherkommt, dachte sich Hansi. Seit er denken konnte, hatte es in seinem Heimatdorf noch nie eine Leiche unter so eigenartigen Umständen gegeben. Erst der Apotheker und nun die Sandra.
Sandra Wolf war schon lange in der Metzgerei Aschenbrenner an der Wursttheke tätig gewesen, seit ihrer Ausbildung. Sie war eine etwas spröde Schönheit, mit ziemlich weiblichen Rundungen und anständig Holz vor der Hütt'n