KAMASUTRA IN UNTERFILZBACH. Eva Adam
zu mir. Als wenn Hansi den Baumgartner schon jemals gesiezt hätte.
»Ja, ich hab in der Straße Schnee geräumt und dann hab ich den Arm da zwischen den Zaunlatten gesehen«, versuchte Hansi die Auffindesituation professionell wiederzugeben. Selbstbewusst und nicht ganz ohne Stolz stieg er aus seinem neuen Räum- und Streufahrzeug.
»Haben Sie sonst noch etwas bemerkt?«, fragte Baumgartner und zückte dabei einen winzigen Block samt Stift aus seinem Mantel.
»Was soll ich denn sonst noch bemerkt haben? Dass er halt tot ist, hab ich bemerkt.«
»Gut, dann wollen wir das mal überprüfen«, meinte der Kriminalhauptkommissar und strich die frische Schneeschicht von der Apothekerleiche.
Nach kurzem Pulstest musste auch Josef Baumgartner bestätigen, dass Martin Hornung tot war.
»Na, wenn er vorher noch nicht tot gewesen ist, dann wäre er jetzt sowieso erfroren«, warf Hansi noch sarkastisch ein.
Nun kam Wiggerl die Angerstraße raufgefahren, oder besser gesagt –geschlittert, denn der Schnee und die Kälte hatten die steile Straße in eine wahre Rutschbahn verwandelt. Aber irgendwann hatte es der Bauhofchef mit genügend Anlauf, oder »Schurf«, wie man in Bayern sagt, dann doch geschafft und stieg sichtlich mitgenommen aus seinem weißen VW Transporter aus.
»Grüß Gott, servus Josef, kann ich was helfen? Hast du Fragen an mich?«, sagte Wiggerl mit einem leichten Zittern in der Stimme. »I-ist er wi-wirklich to-tot?«, stotterte der Bauhofchef hinterher, als er ziemlich geschockt vor der Leiche stand. »Aber dann ist er sicher nicht wegen der Streupflicht ausgerutscht, weil auf den Privatgrundstücken hat der Bauhof keine Verantwortung, das ist Bürgersache. Kannst du das in dein Protokoll aufnehmen, Josef?«
Typisch Wiggerl, einfach paranoid durch und durch.
»Ja, Ludwig, jetzt beruhig dich erst einmal. Wir nehmen jetzt alle Personalien und die Zeugenaussagen auf und dann rekonstruieren wir mal das Geschehen«, sagte Josef Baumgartner mit souveräner, aber ziemlich überheblicher Stimme.
Nachdem Hansi zum wiederholten Male den Hergang des Fundes geschildert hatte und Josef Baumgartner und der unterstützende Polizeibeamte gefühlte fünfzig Mal um die Leiche herumgeschlichen waren, gab der ermittelnde Beamte seine Erkenntnisse bekannt: »Also ein Fremdverschulden können wir hier ausschließen, es sieht so aus, als ob Herr Hornung aus seinem Haus ging, um beim Streugutbehälter auf dem Grundstück Nr. 5 vermutlich etwas Splitt zu holen. Wegen der glatten Straße …«
»Moment!«, rief Wiggerl hastig dazwischen. »Da liegt aber kein Verschulden des Bauhofs vor«, musste er zwanghaft erneut erwähnen.
»Ludwig, jetzt lass mich doch erst einmal ausreden, Herrschaftszeiten!«, raunzte ihn der Kriminalbeamte an und fuhr fort: »… aufgrund der Glätte unglücklich gestürzt ist und mit dem Hinterkopf gegen eine spitze Zaunlatte fiel. Der Sturz war tödlich, aber eindeutig ein tragischer Unfall. Herr Oswald, nehmen Sie das so ins Protokoll auf«, befahl Baumgartner mit recht hierarchischem Tonfall in Richtung des begleitenden Polizeibeamten.
Hansi ging das aber jetzt schon sehr schnell mit der Feststellung, dass der Apotheker einen Unfalltod gestorben sei. Was sollte er denn in aller Früh, eigentlich ja mehr mitten in der Nacht, draußen vorm Haus gemacht haben? Zum Zeitungholen war er zu weit von seinem Haus entfernt. Er lag auf einer freien Fläche zwischen dem Haus Nr. 3, also dem der Hornungs, und dem Haus Nr. 5, das zurzeit nicht bewohnt war. Komisch war die ganze Sache schon, aber die »gstudierten« Kriminaler glaubten wohl, sie wären wahrscheinlich schlauer als die einfachen Bauhofarbeiter. Dabei hinterfragte er die ganze Sache jetzt nicht einmal. So was brachte Hansi wirklich auf die Palme.
»Aber Josef, wenn das jetzt doch kein Unfall war?«, wandte Hansi sich zögerlich an Baumgartner.
»Hansi, mach du deine Arbeit und ich mach meine Arbeit. Das war ein Unfall, das sieht doch ein Blinder. Was soll es denn sonst gewesen sein? Nein, nein, wir nehmen das als Unfall auf. Und du kannst jetzt dann wieder weiter deinen Schnee verräumen.«
Das ganze Spektakel in der Angerstraße löste sich somit wieder auf.
Die beiden Polizisten waren zur Neu-Witwe Elvira Hornung ins Haus gegangen, die komischerweise von dem ganzen Trubel vor ihrer Haustür immer noch nichts mitbekommen hatte.
Hansi machte sich auf, um endlich seine Runde fertigzubringen. Allerdings tat er das völlig in Gedanken an seinen Leichenfund und auch im Ärger und voll Zorn, weil diese schon sehr dramatische Sache für die Polizei gleich erledigt war. Gottseidank hatte es aufgehört zu schneien und Hansi beendete seinen Dienst um 14.30 Uhr. Total erschöpft fiel er daheim aufs Sofa und schlief recht zügig ein.
Hansi träumte von Schnee, Schafkopfen, Apothekern und Knäckebrot, als er aus der Ferne eine Stimme wahrnahm.
»Hansi! Bärle! Komm, wach auf, stimmt des wirklich?«
Bettina stand vor ihm und rüttelte an seiner Latzhose.
»Hansi, jetzt komm, erzähl schon. Ich hab dich schon zweimal auf dem Handy angerufen. Im KaufGut gab es den ganzen Tag kein anderes Thema mehr!«
Langsam kam Hansi zu sich und erschrak sofort, weil es leider doch kein Traum war und ihm schlagartig wieder bewusst wurde, was heute in den frühen Morgenstunden in der Angerstraße passiert war.
»Ach Bettina, mei, ich bin völlig erledigt, ich hab mich nur ein bisserl hingelegt«, murmelte Hansi vor sich hin und schloss den Satz mit einem lauten Gähnen.
»Komm Bärle, jetzt machen wir uns einen grünen Tee und du erzählst mir alles«, lockte Bettina ihren Hansi in die Küche.
»Also wenn du was wissen willst, dann trinken wir einen Kaffee, weil mit deinem grünen Tee, da erzähl ich gar nix«, entgegnete Hansi jetzt ein wenig zickig.
Aber nach so einem Tag wunderte das Bettina gar nicht.
»Aber freilich, mein Bärle, zur Feier des Tages bekommst du heute Kaffee«, sagte sie automatisch, verbesserte sich dann aber gleich: »Ähm, nicht zur Feier natürlich, du weißt schon, weil du heut … ach, ich mach jetzt einfach einen Kaffee.«
Bettina saß mit offenem Mund am Küchentisch, als sie voller Spannung den Erzählungen ihres Mannes lauschte.
»Ja Wahnsinn! Und die Polizei glaubt jetzt wirklich, das war ein Unfall? Aber der Martin schaufelt doch so früh keinen Schnee, ohne Jacke und bei der Kälte. Bärle, ich bekomme da gar keine guten Schwingungen rein, da stimmt was nicht! Soll ich das mal auspendeln?«
»Bettina! Nein! Das mit deiner Pendelei ist doch alles ein Schmarrn«, hielt Hansi seine Frau von einer Sitzung mit dem Pendel ab.
Bettina zog einen Schmollmund, wusste aber, dass es Hansi nicht böse meinte. Er akzeptierte ihre alternative Lebensweise ansonsten absolut.
»Ich hab ja auch ein total komisches Gefühl bei der Sache. Eben weil er nicht richtig angezogen war. Kannst du dir den Martin vorstellen, der eh immer gedacht hat, er wird gleich krank, wie er ohne Mütze, Handschuhe und dicke Winterjacke Schnee räumt? Niemals. Der hat sich ja eigentlich den ganzen Tag von oben bis unten selber desinfiziert, weil er so Angst gehabt hat, krank zu werden. Der war ja direkt so ein Hypo… Hypodingsda, weißt schon.«
»Hypochonder, Bärle«, half ihm Bettina bei der Wortfindung.
»Ja, aber wenn es kein Unfall war, Hansi, was war es denn dann? Du glaubst doch nicht, dass dem Apotheker jemand was tun wollte? Das war ja so ein Lieber«, sagte Bettina ein wenig aufgeregt.
»Mei, wer weiß? Kannst du reinschauen in einen Menschen, was der sonst noch alles so treibt? Wer weiß, ob er nicht ein dunkles Geheimnis gehabt hat«, sinnierte Hansi vor sich hin.
Als die Scharnagls alle zusammen beim Abendessen saßen, war der Leichenfund des Familienoberhaupts natürlich das Hauptthema beim Tischgespräch.
»Mei Papa, du warst ja heute der Held im Friseursalon. Alle haben von dir gesprochen, wie mutig du doch warst und dass du keine Angst gehabt hast. Mein Papa!«, schwärmte Isabelle