KAMASUTRA IN UNTERFILZBACH. Eva Adam
so stürzt und dann auch noch genau auf eine Zaunlatte … das ist ja schon direkt Murphy's Law. Solche Zufälle gibt es ja gar nicht wirklich«, tat Indira ihre Meinung zu dem Fall kund.
»Murphy's was? Mei, Indira, du immer mit deinen neumodischen Fremdwörtern. Ich glaub ja auch, dass da irgendwas nicht stimmt. Aber wer würde denn dem Apotheker etwas antun? Das ist halt die Frage«, teilte Hansi seine Überlegungen mit der Familie.
»Also die Frau Hornung, glaub ich, war jetzt nicht mehr direkt verliebt in ihren Mann, die hat schon ab und zu mal recht geschimpft über ihren Martin. Jeden Dienstag beim Waschen und Legen«, plauderte Isabelle aus dem Friseur-Tratsch-Nähkästchen.
Bettina war erstaunt. »Wirklich? Warum denn? Die haben doch immer so harmonisch gewirkt, die beiden.«
»Ich glaube, weil er immer so anstrengend war und gedacht hat, er wird gleich krank. Das ist bei einem Apotheker, der ja eigentlich immer mit Kranken zu tun hat, schon irgendwie schwierig. Es musste halt daheim immer alles keimfrei sein, und er hatte wohl einen Waschzwang und so. Ich glaube, das ist der Elvira einfach auf den Geist gegangen. Stellt euch das mal vor, das kann schon anstrengend sein, wenn deinem Mann ständig was nicht passt und nicht sauber genug ist. Da bekommst du ja einen Vogel«, steigerte sich Isabelle jetzt direkt in das Thema hinein. »Mei, und wisst ihr, was heut noch so das Thema beim Friseur war? Die Hinkhofer Berta hat anscheinend jetzt einen Freund«, lachte Isabelle mehr, als dass sie erzählte.
»Waaas???«, riefen alle anderen Scharnagls gleichzeitig, fast ein wenig geschockt, aber auch belustigt.
»Wer soll denn jetzt das sein?«, fragte Bettina recht ungläubig. »Doch ich hab mir schon gedacht, warum die Hinkhofer Berta letzte Woche beim Kamasutra-Kurs war. Irgendwie hat der Ashanti überhaupt ziemlich viel Zulauf in letzter Zeit bei diesem Kurs. Aber kein Wunder bei dem Motto: Das lange Liebesspiel der Ekstase«, warf Bettina ganz ungeniert ins Gespräch ein und schob sich noch einen großen Löffel Couscous verführerisch in den Mund, während Hansi seine Frau ein wenig verlegen aus dem Augenwinkel ansah.
Das Tagesgericht Couscous war natürlich wieder von fast allen Scharnagls mit nicht appetitlich bewertet worden, aber der Hunger war beim Abendessen einfach zu groß, so war das Thema auch gleich abgehakt und alle aßen ihre Teller leer, sehr zur Freude von Bettina.
»Also das ist heute ein komischer Tag: Der Papa findet eine Leiche und in Unterfilzbach ist über Nacht bei allen der zweite Frühling ausgebrochen. Alles wirklich komisch. Nur ich hab meine Traumfrau noch nicht gefunden. Aber vielleicht liegt ja was in der Luft«, stellte Hansi junior mit spürbarer Hoffnung in der Stimme fest.
»Oh, Hansi. Dann musst vielleicht auch einmal mit einer Frau reden und nicht immer alle nur anschauen wie ein Maikäfer«, beratschlagte Indira ihren Bruder, ohne diesen auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Warum zweiter Frühling in Unterfilzbach? Nur weil die Hinkhofer Berta einen Freund haben soll? Das ist sowieso bestimmt nur ein Gerücht. Wenn gar nichts los ist, dann kommt das immer. Hatten wir schon öfter, aber nie war was dran«, stellte Bettina resolut klar.
»Mei, heute waren wir beim Huberbauern. Die Huber Traudl hatte sich für ihr Schlafzimmer eine neue Sternenhimmelbeleuchtung bestellt und die sollten wir installieren. Der Termin war auch schon lange ausgemacht. Es hat dann keiner aufgemacht, aber die Tür ist ja bei einem Bauernhof immer offen, und der Meister hat dann gesagt, wir gehen da jetzt einfach rein, weil er ja weiß, wo das Schlafzimmer ist. Und dann haben wir den Huberbauern und seine Frau erwischt, wie sie grad … na, ihr wisst schon«, erzählte der Scharnagl-Sohn peinlich berührt.
»Ach geh, der Huberbauer? Das kann ich mir gar nicht vorstellen, mitten am helllichten Tag. So ein Schlingel.« Bettina schüttelte den Kopf mit einem leichten Grinsen auf den Lippen.
»Ja was weiß ich. Ich meinte ja nur, dass etwas in der Luft liegt«, sagte der Elektriker-Azubi und schaufelte weiter sein Couscous in sich hinein. Ein saftiges Schnitzel wäre ihm zwar jetzt lieber gewesen, aber ein Handwerker hat nach Feierabend Hunger. Und wenn es nur Couscous gibt, wird halt auch das gegessen.
Ein paar Tage vergingen und Hansis Gedanken um den toten Apotheker drehten sich weiter und weiter. Außerdem vermisste er ihn, vor allem beim Schafkopfen. Er war wirklich ein guter Kerl und als Kartenspieler einfach eine Granate gewesen. Nicht umsonst sprach man in Unterfilzbach immer vom Apotheker-Schafkopf. Martin Hornung hatte schon einen gewissen Ruf in der Schafkopf-Szene gehabt.
Die Beerdigung vom Martin war sehr staatstragend. Seine Frau Elvira kam im schwarzen Leinensari aus Schurwolle, begleitet von Ashanti; was natürlich in der Dorfbevölkerung der Startschuss für weiteres Getratsche war. So schnell nach dem Tod ihres Mannes hatte sich die Witwe einen Tröster gesucht? Das war schon ein komisches Bild, wie Elvira Hornung und Ashanti am Friedhof bei der Beerdigung die Trauer »weggeatmet« haben.
Warum untersuchte die Polizei das denn nicht näher? Hansi verstand die Welt nicht mehr. Aber der Baumgartner Josef bereitete sich wohl schon seelisch auf die Pensionierung vor, der war ja auch nimmer der Jüngste. Vielleicht wollte er einfach seine Fälle gleich abschließen. Mei, auf die bayerische Polizei ist auch kein Verlass mehr, dachte Hansi noch, als er wieder einmal seine Runden mit dem »Snow-Magic-Hero 1000« drehte. Er würde den Winter wohl doch bald vermissen, wenn es jetzt dann Frühling wird. Seine Kollegen hatten schon diskutiert, dass im nächsten Winter ein anderer das neue top ausgestattete Räum- und Streufahrzeug fahren darf, aber da würde Hansi schon noch ein Wörtchen mitreden, denn auch wenn er ein friedliebender Mensch war, das war jetzt sein Arbeitsgerät und würde es auch in der nächsten Wintersaison bleiben – Punkt.
Kapitel 3
Lüngerl to go
Nachdem sich die Unterfilzbacher ein wenig vom tragischen Tod des Apothekers erholt und beruhigt hatten, nahm das Dorfleben wieder seinen gewohnten Lauf. Der Frühling war schon zu spüren und Wiggerl wurde auch wieder deutlich entspannter. Wobei er jetzt bereits auf der Suche nach Straßenschäden war, die der strenge Winter verursacht hatte und an manchen Stellen den Teer hatte aufspringen lassen. Auch die Dorfstraße war betroffen.
Die Straubmeier Franziska war nämlich kürzlich wieder mal gestürzt, mit Rollator natürlich. Wobei eigentlich keiner wirklich wusste, warum sie den ständig mitrollen ließ, denn im Prinzip war sie eigentlich noch recht rüstig, sie ging sogar zum Ü80-Yoga beim Ashanti. Die »ledige Fannerl« forderte Wiggerl nach dem Vorkommnis vehement dazu auf, er solle gefälligst diese ganzen »Blow-ups« in Unterfilzbach reparieren, ansonsten würde sie ihn verklagen. Daraufhin hatte sich Wiggerl gleich einmal zu einem Seminar über »Blow-ups« angemeldet. Nun wusste er endlich auch, was ein »Blow-up« überhaupt war, und fand es ganz toll, wenn er ständig so englische Fachausdrücke verwenden und seine Bauhofmänner damit nerven konnte.
Beim morgendlichen Frühstück erzählte Hansis Zuckerschoaserl vom gestrigen Kamasutra-Kurs und den Überraschungsteilnehmern. Zuckerschoaserl – diesen Kosenamen mochte Bettina nicht so besonders, denn übersetzt heißt das so viel wie »wohlriechender Pups«, aber so sagte ihr Bärle halt schon seit 25 Jahren zu ihr und das würde sie ihm wohl nicht mehr abgewöhnen können. Jedenfalls hatte anscheinend auch der Wiggerl irgendwie Frühlingsgefühle bekommen, denn Bettina erzählte amüsiert, dass er und seine Hilde gestern auch dabei waren, beim Kamasutra. Aber als sich Hansi dieses Bild im Kopf vorstellte, schüttelte es ihn direkt ein wenig.
Also, eines stand fest, dieser Kamasutra-Kurs würde den Scharnagl Hansi sicher nicht sehen. Und jetzt schon erst recht nicht mehr, wenn da auch noch der Wiggerl mit seiner Hilde gewisse Stellungen ausprobierte. Jessas na, dieses Bild muss ich gleich wieder aus meinem Kopf bekommen, versuchte sich Hansi zu konzentrieren.
Aber nicht nur der Wiggerl schien auf den Geschmack gekommen zu sein. Gleich ein paar Männer konnte Ashanti in der letzten Zeit beim Unterfilzbach-Kamasutra als Neuzugänge begrüßen, erzählte Bettina und schob sich einen großen Löffel ayurvedischen Frühstücksbrei in ihren Mund. Sogar ein paar Gemeinderatsmitglieder, der Bürgermeister höchstpersönlich und ein paar Feuerwehrkameraden waren gerade sehr angetan von der Nachhilfe in Liebesdingen