DIE LANZE (Project 2). Alex Lukeman

DIE LANZE (Project 2) - Alex  Lukeman


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ein blonder junger Mann in Talar und Doktorhut vor dem Eingang der Yale University. Neben ihm stand eine große, hagere Frau in blauem Kleid.

      Der Boden der Bibliothek war mit dickem persischen Teppich bedeckt. Ein kastanienbraunes Chesterfield-Sofa und zwei dazu passende Sessel befanden sich in der Nähe der Türen zum Garten. In der hinteren Ecke stand eine antike Rüstung Wache.

      Der Großmeister hatte die Art Gesicht, dem man vertraute. Niemand hätte seine wahren Gedanken erahnen können. Keiner hätte sie für möglich gehalten.

      Sein verschlüsseltes Telefon klingelte.

      »Ja?«

      Die Stimme am anderen Ende sprach deutsch. Es war erhebend.

      »Der Speer wurde gefunden!«

      Der Großmeister verspürte einen Adrenalinstoß. Endlich! Mit der wiedergefundenen Lanze war der Erfolg gewiss.

      »Sicher gestellt?«

      »Noch nicht, aber eine Einheit wurde mobilisiert.«

      »Wann werden sie eintreffen?«

      Voraussichtliche Ankunftszeit in sechs Stunden. Weitertransport morgen Nachmittag.

      »Ausgezeichnet. Berufen Sie eine Konferenz für morgen Abend um neun ein.«

      »Zu Befehl.«

      Der Großmeister legte das Telefon aus der Hand. Er konnte seine Aufregung kaum unter Kontrolle halten. Er ging zu dem Gemälde von Friedrich Barbarossa, schwang das Bild zur Seite und öffnete einen Safe. Er entnahm eine brüchige schwarze Ledermappe, mit einer goldenen Adler- und Hakenkreuz-Prägung. Die Mappe enthielt Reichsführer Heinrich Himmlers langfristigen Plan für nach dem Krieg.

      PARSIFAL.

      Der Großmeister kannte den Inhalt zwar auswendig, es inspirierte ihn aber jedes Mal, die Vision des Reichsführers zu lesen. Er öffnete die Mappe. Die Seiten waren verschmutzt und verfärbten sich braun. Die fein-säuberlichen Schriftreihen waren noch immer erkennbar. Er las für einige Augenblicke. Er legte die PARSIFAL-Dokumente beiseite und ließ seine Hand auf einem dünnen Heft ruhen. Das Deckblatt war mit Runen der alten germanischen Stämme beschriftet.

      Sein Vater hatte zu Himmlers engsten Vertrauten gehört. Während seiner Kindheit und seiner gesamten frühen Jahre hat sein Vater ihn eingewiesen. Ihn auf den Tag vorbereitet, an dem er ihm die Mappe zeigte und ihm PARSIFAL offenbarte. Ihm vom Großen Rat erzählte. Dann hat er über das Ritual gesprochen, das Deutschland in den Anfängen des Krieges einen Erfolg nach dem anderen beschert hatte.

      »Ich speiste mit Himmler und Heydrich in der Burg des Reichsführers – im Nordturm – zu Abend.« Sein Vater hatte geseufzt, in Erinnerung schwelgend an eine Zeit, in der das Hakenkreuz über drei Kontinenten wehte.

      »Heydrich sagte, er hatte die Worte der Beschwörung niedergeschrieben. Himmler war Großmeister des Rates, aber dennoch war es immer Heydrich, der die Macht des Speers beschwor. Nachdem er '42 ermordet worden war, hatten sich die Dinge gegen uns gewandt.«

      »Aber der Führer, Vater. Er hätte es doch sicher fortsetzen können, oder der Reichsführer.«

      Sein Vater hatte voller Verachtung geschnaubt. »Der Führer! Am Anfang hatte er es verstanden. Er glaubte. Er hatte gelernt. Er tat, was notwendig war. Er befolgte das Ritual. Aber er wandte sich von den alten Bräuchen ab. Er vergaß, wo seine Macht herrührte, und verfing sich in der Illusion seines eigenen Willens. Diesen Fehler darfst du niemals begehen.

      Himmler versuchte weiterzumachen, aber die Macht ist … schwer … zu kontrollieren. Sie reagiert nur, wenn alle Bedingungen perfekt sind. Der richtige Tag und die richtige Zeit. Die richtige Umgebung. Alles muss genau stimmen.«

      Sein Vater hatte das Heft mit den Runen auf dem Cover hochgehalten. »Wir werden das gemeinsam studieren. Eines Tages werden wir den Speer wiedererlangen. An diesem Tag wird das Reich wiedergeboren werden. Sollte ich nicht mehr sein, wird es deine Aufgabe sein, diese Worte zu sprechen. Wenn deine Ehre rein ist und deine Treue wahrhaftig, dann wirst du bestehen.«

      »Ja, Vater.«

      Er hatte es nie vergessen.

      Die letzten Phasen von PARSIFAL waren im Begriff, sich zu entfalteten. Es konnte kein Zufall sein, dass der heilige Speer gefunden worden war, als die von ihm in Bewegung gesetzten Kräfte endlich zusammenfanden. Es war ein Zeichen der Götter, ein Zeichen ihrer Gunst. Es war nur recht und billig, genau was ihm gebührte. Der Großmeister hob sein Glas in Richtung des Gemäldes von Barbarossa und lächelte.

      Kapitel 13

      Carter fand Arslanians Geschäft in einer engen Seitenstraße im armenischen Viertel. Das Metallgitter, das die Tür sicherte, war nach oben gerollt. Der Eingang war überladen mit handgefertigten Sabbath Tabletts, Kerzenhaltern, in lebhaften Farben dekorierten Tellern und anderer Keramik, Blumen und Tieren.

      Der Laden erstreckte sich von der Straße durch den gesamten Häuserblock. Entlang der Wände reihten sich Waren auf. Im Innern wirkte es beim Betreten beinahe dunkel. Durch eine leicht geöffnete Tür am hinteren Ende fiel ein schmaler Streifen Tageslicht.

      Etwa in der Mitte des Ladens saß jemand auf einem hölzernen Drehstuhl an einem mit Papieren und Töpfen überladenen Tisch. Der Stuhl war vom Eingang abgewandt und die Figur bewegte sich nicht.

      Carters Ohr begann zu jucken. Die Dunkelheit des Ladens fühlte sich nicht richtig an. Er zog seine Pistole und hielt sie nach unten gerichtet an seiner rechten Seite. Er bewegte sich weg vom Licht im Eingangsbereich und zu der Figur auf dem Stuhl, während er die Schatten absuchte.

      Er erreichte den Tisch und drehte den Stuhl herum. Arslanians Körper sackte zusammen und glitt zu Boden. Etwas fiel aus seiner rechten Hand.

      Es war ein kleines Loch in seiner Stirn und Blut rann aus seinem Ohr in seinen Bart. Seine Augen waren geöffnet. Sie besagten nichts über die Person, die ihn getötet hatte. Die einzige Botschaft, die Carter je in den Augen der Toten hatte erkennen können, war die Erinnerung an seine eigene Sterblichkeit.

      Arslanians Wange war warm, das Blut noch nicht getrocknet. Der Mörder war vor wenigen Minuten hier gewesen. Vermutlich gleich nachdem Arslanian den Laden geöffnet hatte.

      Nick bückte sich, um aufzuheben, was immer Arslanians toten Fingern entglitten war. Ein gedämpfter Klang, wie ein Niesen, kam von irgendwo aus der Dunkelheit des Ladens. Ein stechender Wind passierte seinen Hinterkopf und eine Vase explodierte hinter ihm. Er duckte sich und feuerte drei schnelle Schüsse über den Tisch nach hinten.

      Keramik zerbarst an den Wänden, wo seine Schüsse einschlugen. Die 45er klang wie Kanonenfeuer in den beengten Räumlichkeiten des Ladens. Eine schnelle Salve schallgedämpfter Schüsse ließ zerbrochene Teller auf ihn herabregnen. Es gab einen Lichtschwall und der Klang der zuschlagenden Hintertür war zu vernehmen. Nick richtete sich auf und rannte nach hinten. Er stand auf der Seite und riss die Tür auf.

      Dahinter lag ein ummauerter Garten. Ein kleiner Brunnen plätscherte unter einem Baum, der seinen Schatten auf einen klapprigen Tisch und zwei Stühle warf. Es stand ein Aschenbecher auf dem Tisch. In einer Vase welkten rote Blumen. In der Wand am anderen Ende befand sich ein geschlossenes Holztor.

      Nick rannte durch den Garten und schwang das Tor auf. Er lugte in die Straße auf der anderen Seite der Mauer. Zwei armenische Priester liefen in Richtung des Eingangs des Viertels und der St. James Kathedrale. Ein anderer Priester in einem eigenartigen Hut und einer knöchellangen Robe lief in die entgegengesetzte Richtung. Auf der anderen Seite der Straße betrachtete ein beleibtes Paar Postkarten. Da waren Ladenbesitzer, Essensverkäufer, Spaziergänger. Alles schien normal. Unmöglich, den Assassinen zu identifizieren.

      Er holsterte seine 45er, schloss das Tor und verriegelte es. Dann ging er zurück in den Laden und schloss die Hintertür. Vor dem Laden bildete sich langsam eine durch


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