DIE LANZE (Project 2). Alex Lukeman

DIE LANZE (Project 2) - Alex  Lukeman


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nicht immer so, wie er es vermutete. Es war seltsam, mehr als seltsam, unheimlich.

      Er träumte von seiner verstorbenen Verlobten. Manchmal, wenn sie im Bett waren, fühlte sie sich, als sei dort eine dritte Person mit ihnen. Megan. Alles, was Selena wirklich von ihr wusste, war ihr Name.

      Dreißig Minuten später war sie zurück in ihren Räumen. Sie zog ihre verschwitzte Kleidung aus und ging zum Bad. Sie stand unter der Dusche und ließ das heiße Wasser an sich hinunterlaufen. Sie hob ihr Gesicht und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, während ihr das Wasser auf die Brüste prasselte.

      Sie stieg aus der Dusche und trocknete sich ab. Während sie nackt im Raum stand, begutachtete sie ihren Körper. Eins-siebenundsiebzig, straffe dreiundsechzig Kilo. Dieses anorexische Ding war nichts für sie. Sie arbeitete hart daran, in Form zu bleiben. Das ermöglichte es ihr, Dinge zu tun, die das Leben interessant machten, wie Fallschirmspringen, Tauchen und ihre Kampfkünste.

      Sie schaute in den Spiegel, berührte ihr Gesicht, die hohen Wangenknochen, strich sich eine Haarsträhne von der Stirn. Sie schaltete den Föhn ein und dachte über das Project nach, während sie ihr Haar verstrubbelte.

      Bevor sie Harker getroffen hatte, konsultierte sie bei der NSA und arbeitete in akademischen Kreisen. Sie war eine Weltklasse-Expertin für altertümliche und orientalische Sprachen. Sie war eine mehr als vollendete Kampfsportlerin. Sie war reich. Sie konnte aus Flugzeugen abspringen und die Mitte einer Zielscheibe aus 45 Metern Entfernung mit der Pistole treffen. Sie konnte die meisten Männer fertigmachen. Sie konnte so gut wie alles tun, was sie nur wollte. Und sie war gelangweilt.

      Vor dem Project war das Leben vorhersehbar gewesen. Eine Lesung. Eine Konsultationsaufgabe. Eine Übersetzung. Dann hatte sie Nick getroffen, und Elizabeth Harker, und plötzlich fand sie sich in einer Welt wieder, in der Leute versuchten, sie umzubringen.

      Jetzt war sie ein Teil des Teams. Jetzt hatte sie stets eine Glock in einem Schnellzugholster anstelle eines Stiftes dabei. Sie schlief mit Nick und fragte sich, wo zur Hölle das hinführen sollte, oder ob es überhaupt irgendwo hinführen würde. Ihr Leben war auf den Kopf gestellt worden.

      Sie schaute in den Spiegel und lächelte. Zumindest war es nicht langweilig.

      Kapitel 6

      Neonlicht strahlte von rissigen gelben Wänden. Der Zementboden war in einem stumpfen Grau angestrichen. In dem kahlen Raum befanden sich ein am Boden befestigter Metalltisch und zwei Plastikstühle. In einer Ecke hing eine Kamera. An einer Wand befand sich ein großer Spiegel.

      Ari Herzog, ein ranghoher Shin Bet Agent in Jerusalem, schaute durch den Einwegspiegel. Der Mann in dem Raum war bestimmt eins-achtzig groß und wog etwa 90 Kilo. Er hatte schwarze Haare und Augenbrauen, Augen, die an einen Wolf erinnerten, und ein hartes, kantiges Aussehen. Er brauchte eine Rasur. Er saß still und wartete ab, was auch immer als Nächstes geschehen würde. Er zeigte keinerlei Unruhe oder Nervosität. Vor etwa einer Stunde hatte jemand die Schnittwunde an seinem Bein versorgt.

      »Das ist ein cooler Hund.«

      Der Kommentar kam von einem großen Mann mit schwarzen Augen, fahler Haut und großen Ohren. Sein Gesicht war durch die Wüstensonne wettergegerbt und ließ ihn älter als seine achtundvierzig Jahre erscheinen. Er trug ein kurzärmliges, weißes Hemd, eine schwarze Krawatte, eine neue blaue Hose und schwarze Schuhe. Silberne Abzeichen der israelischen Polizei glitzerten auf seinen Schultern. Ein Namensschild an seinem Hemd identifizierte ihn als Ben Ezra.

      »Achtzehn Stiche für die Verletzung an seinem Schenkel, ohne Betäubung«, sagte er. »Er hat nicht einmal gezuckt. Während er zusammengeflickt wurde, hat er mit dem Zeichner gearbeitet. Wir jagen die Skizze gerade durch die Datenbank. Keine Treffer bis jetzt.«

      Er hielt die Zeichnung des Mannes, dem Nick in die Gasse gefolgt war, vor sich. Herzog sah sich das Bild an, öffnete dann ein Shin Bet Dossier, das er in seiner rechten Hand hielt.

      »Nicholas Carter«, sagte Herzog. »Ehemaliger Major in ihrer Marine, Force Recon. Das ist jetzt Teil ihres Kommandos für Spezialeinheiten. Er soll Teil eines Vortrupps für den Besuch des US Präsidenten sein.«

      Herzog las weiter.

      »Silver Star, Bronze Star mit Eichenlaub, drei Purple Hearts, Einsätze in Südafrika, im Persischen Golf, Irak, Afghanistan. Dienstakte geschwärzt. Hohe Sicherheitsfreigabe. Gehört zu einer geheimen, ihrem Präsidenten unterstellten Spezialeinheit für gezielte Operationen gegen Terroristen.«

      »Klingt ein wenig wie einer von deinen Leuten, Ari.« Der Polizist kratzte sich unter der Achsel.

      Carters Habseligkeiten befanden sich in einer Box auf einem Tisch in der Nähe. Herzog sah sie sich an. Flugticket. Schlüssel eines Mietwagens. Eine Brieftasche mit Führerschein, Kreditkarten und zweitausend Dollar in Devisen. Es war auch das Foto einer dunkelhaarigen Frau in der Brieftasche, die vor einem Restaurant stand und der Kamera einen Kuss zuwarf. Carters Reisepass war mit Stempeln von überall auf der Welt gefüllt.

      Ein hochmodernes, verschlüsseltes Satellitentelefon. Ein kleines Taschenmesser und eine Taschenlampe, vor Ort gekauft. Ein flaches, schwarzes Etui mit Carters Ausweis. Ein Zimmerschlüssel für das King David Citadel Hotel.

      Carters Pistole, eine 45er Heckler & Koch, war aus der Verwahrung am Ben-Gurion-Flughafen hergeschickt worden. Herzog griff nach der Pistole, untersuchte sie. Er betrachtete die drei Magazine mit jeweils fünfzehn Schuss und das Schulterholster.

      »Große Pistole. Speziell gefertigte Hohlspitzgeschosse. Der macht keine halben Sachen.«

      Herzog legte die Waffe wieder aus der Hand.

      »Glaubst du, er war zufällig da, als die Bombe hochging?«

      »Was sagt er dazu?«

      »Dass er gerade einen Kaffee trank, als die Bombe explodierte. Er sagt, er sah einen Mann, der ein Handy benutzte. Seiner Meinung nach war der Mann in den Anschlag verwickelt, also folgte er ihm. Dabei griffen ihn dann zwei weitere Männer an. Der mit dem Handy stieg in einen weißen Volvo und wurde weggefahren. Dann tauchten meine Leute auf und nahmen den hier fest. Wir halten nach dem Wagen Ausschau, aber es gibt eine Menge weißer Volvos.«

      Ben Ezra kratzte sich am Arm. »Einer der Männer, mit denen er gekämpft hat, ist tot. Der andere liegt im Koma. Der, den er getötet hat, war in unseren Unterlagen, von Demonstrationen im Westjordanland. Den anderen haben wir noch nicht identifiziert. Wenn er aufwacht – falls er aufwacht – werden wir ihn ermutigen, einige Fragen zu beantworten.«

      »Mmmm.«

      Ben Ezra fuhr fort. »Wir haben zwei Messer in der Gasse gefunden.« Er deutete durch das Glas. »Der da war unbewaffnet. Bis auf dieses kleine Taschenmesser. Es war in seiner Tasche.«

      »Nicht schlecht, gegen zwei mit Messern. Wir sind uns sicher, dass er ist, wer er zu sein behauptet?«

      »Bestätigt.«

      »Der Präsident hält in zwei Tagen seine Rede. Warum einen Geheimagenten unter seinem eigenen Namen schicken und ihn als Teil der Gefolgschaft des Präsidenten ausgeben?«

      »Vielleicht sollten wir ihn fragen.«

      »Tun wir das.«

      Kapitel 7

      Carter blickte auf, als zwei Männer den Raum betraten. Der erste war ungefähr fünfundvierzig und trug einen zerknitterten dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd ohne Krawatte und schwarze Schuhe. Er hatte schwarze, lockige Haare mit grauen Strähnen. Knapp eins-achtzig und etwa 75 Kilo. Seine Augen waren dunkelbraun, eindringlich und blutunterlaufen. Er sah müde aus. Stress hatte auf seinen Wangen und der Stirn Furchen hinterlassen. Er trug einen Ehering und hielt eine Mappe in der linken Hand.

      Er zeigte Nick einen Dienstausweis, auf dem das blaue Logo von Shin Bet deutlich zu erkennen war. Shin Bets Motto bedeutete übersetzt so viel wie: Der unsichtbare Schild. In dem inoffiziellen Kriegsgebiet, das ganz Israel abdeckte,


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