MACHETE - Der Passat-Killer von Hawaii. Robert W. Walker

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Ellbogen und Unterarm an. Die fehlende Hand ließ das Objekt nur noch grauenhafter wirken. Es war ein verstümmelter Klumpen Fleisch, gemartert, blau verfärbt, nicht wegen der Kälte, sondern gezeichnet von Blutergüssen, wo er schwer getroffen worden war und Teile des Knochens herausschauten.

      »Morgen sollten Sie das Alter, Geschlecht, Größe, Rasse und den Zeitpunkt des Todes bestimmen – und alles andere, was Sie sonst noch herausbekommen, Dr. Coran.« Sie gab Lau mit einem Blick zu verstehen, dass er die Schublade wieder schließen konnte, und der kleine, kräftige Mann tat es mit einem traurigen Blick seiner ansonsten strahlenden schwarzen Augen. Sie sah, dass Parry sie anstarrte, und es war ihr ein wenig unangenehm. Was erwartete er von ihr, ein Zauberkunststück? Dass sie sofort mit tiefgründigen Erkenntnissen über den Körperteil in der Kühlkammer aufwarten konnte?

      Sie sah aus dem Augenwinkel, wie Lau dem anderen Techniker erzählte, wer sie war. Lau hatte die Leitung über die anderen Techniker, die Ausrüstung und das Labor im Allgemeinen, und er sorgte dafür, dass die anderen Labormitarbeiter die verschiedenen Proben aus dem Autopsiesaal holten, die alle ordentlich in Jessicas Handschrift beschriftet waren.

      »Morgen, okay«, sagte sie heiser. »In der Zwischenzeit können Lau und die anderen die Objektträger und Proben untersuchen, die von den Polizisten genommen wurden.«

      »So weit, so gut«, sagte Parry. »Darf ich Sie zum Hotel zurückbegleiten?«

      »Danke, aber ich bin sicher, Sie haben Wichtigeres zu tun.«

      »Im Moment, Doktor, sind Sie das Wichtigste hier auf der Insel. Wir wissen, was Sie bisher erreicht haben und was Sie letztes Jahr beim Klauen-Fall in New York City geleistet haben und beim Fall davor … diesem kranken Vampir-Killer in Chicago.«

      Seine schweifenden Blicke waren an ihrem Stock hängengeblieben. »Wir hoffen, dass Sie diesen Kerl erwischen, so wie die anderen.«

      »Machen Sie sich nicht zu viele Hoffnungen. Ich glaube nicht, dass ich heute irgendetwas Nützliches gefunden habe, und ich bin mir nicht sicher, ob die Lammkeule da drin, wie Sie es genannt haben, zu irgendeinem der vermissten Mädchen gehört.«

      Er nickte, biss sich auf die Lippe und drückte ihr dann neun Aktenmappen in die Hand. »Hausaufgaben«, sagte er und zuckte wie zur Entschuldigung die Achseln.

      »Wie schnell brauchen Sie die zurück?«

      »Das sind Kopien, also keine Eile.«

      »Haben Sie schon ein Profil Ihres mutmaßlichen Serienkillers erstellen lassen?«

      »Das ist mit in den Akten, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich darauf komplett verlassen würde.«

      »Vertrauen Sie Ihrem eigenen Profiler-Team nicht?« Sie hielt inne und sah ihn in Erwartung einer Antwort an.

      Er räusperte sich und sagte dann mit fester Stimme: »Da war kein Team dran beteiligt. Ähm, nur ich.«

      »Sie scherzen.«

      »Ich wünschte, es wäre so. Wir sind unterbesetzt und, na ja … bis jetzt war das auch nicht gerade Priorität Nummer eins des FBI. Man hat es immer wieder auf die lange Bank geschoben. D.C. steht nicht wirklich hinter mir, nur Ihr Kumpel Zanek hat es abgenickt.«

      »Paul Zanek«, sagte sie. Denkt wohl, wenn er mich wieder an die Arbeit schickt, grüble ich weniger über mich selbst nach. »Ein toller Kumpel.« Ihr Sarkasmus, den sie eigentlich nicht hatte zeigen wollen, hatte sich Bahn gebrochen.

      »Wir haben nur so verdammt wenige Anhaltspunkte …«

      »Und da es ja nur kanakas sind, die irgendwelche Frauen vermissen«, unterbrach sie.

      »Moment mal! Eine Sekunde. Wir hatten einfach nicht genügend Indizien oder Mitarbeiter, um bisher irgendwas unternehmen zu können. Wollen Sie mir etwa sagen, das wäre in D.C. anders?«

      Sie biss sich auf die Lippe und nickte. »Touché.«

      Er lief neben ihr her. »Sehen Sie sich einfach an, was ich mir bisher allein zusammengereimt habe, und sagen Sie es mir.«

      »Ihnen was sagen?«

      »Ob ich auf der richtigen Spur war oder nicht.«

      »Ich sehʼs mir an.«

      »Mein Wagen ist in der Tiefgarage. Kommen Sie«, sagte er. »Ich bringe Sie nach Hause.«

      »Wenn Sie darauf bestehen«, erwiderte sie und wollte ihm die Aktenordner aus der Hand nehmen, aber Parry bestand darauf, den schweren Stapel für sie zu tragen.

      »Wer hat all diese Akten zusammengetragen?«

      »Agent Gagliano, Tony und ich selbst – mithilfe der Abteilung für vermisste Personen des Honolulu Police Department natürlich.«

      »Dafür, dass es auf die lange Bank geschoben wurde, haben Sie aber ziemlich hart dran gearbeitet. War das HPD da auf beiden Augen blind?«

      »Könnte man sagen.«

      Sie nickte. »Was würden Sie sagen?«

      »Man würde es nicht vermuten, wenn man Honolulu aus der Perspektive eines Touristen sieht, Dr. Coran, aber es gibt hier ziemlich viel Abschaum, viele Verbrechen und Drogen an jeder Ecke. Wir haben Bandenkriege, Armut, Ignoranz, Brutalität, Gestörte, Möchtegern-Opfer, genau wie in Baltimore oder New Orleans oder in tausend anderen amerikanischen Städten.«

      »Das verlorene Paradies.«

      »So sieht es aus, Doktor.«

      »Ein so schöner und prächtiger Ort …«

      »Das sind New York, L.A., Chicago oder D.C. auch, wenn man sie nicht aus dem Streifenwagen oder durch die Augen eines Jugendlichen aus dem Getto betrachtet. Wie alle Städte hat auch Honolulu zwei Gesichter. Da gibt es die glitzernden Paläste an der Küste von Diamond Head und Waikiki, sicher, aber auch die heruntergekommenen Viertel.«

      »Schau unter eine Jacht und was findest du?, hat mein Vater immer gesagt. Schleim und Seepocken.«

      »Hört sich nach einem vernünftigen und praktisch veranlagten Menschen an, so wie Sie?«, sagte Parry fragend, kam dann aber schnell wieder zum Thema zurück. »Ja, diese Inseln wären wirklich ein Paradies, wenn da nicht die Bewohner wären.«

      Parry klang zutiefst verletzt, aber er bremste sich und sagte nichts mehr, während er den Weg durch einen letzten Korridor wies, den sie entlanggehen mussten, bevor sie zu seinem Ford LTP ohne Polizeikennzeichen kamen und schweigend einstiegen. Er machte sich an Gurt und Funkgerät zu schaffen und informierte die FBI-Funkzentrale, wo er war und wohin er fahren würde.

      Jessica sah ihn an, betrachtete ihn, ohne dass er es mitbekam, und fragte sich, was wohl in James Kenneth Parrys Kopf vorging, wie seine Vergangenheit und seine Träume aussahen.

      Kapitel 4

       Dunkle Sorge sitzt hinter dem Ritter. Horaz. Oden.

      »Und? Woher stammen Sie, James Parry?«, fragte sie, während sie sich ihren Weg durch den dichter werdenden nachmittäglichen Verkehr in Downtown Honolulu bahnten.

      »Ich bin in West Bend in Indiana aufgewachsen. Der Großteil meiner Familie ist immer noch dort, abgesehen von meinen Brüdern und meiner Schwester. Wir wollten alle was Größeres, Besseres, möglichst weit weg. West Bend war toll, solange wir Kinder waren, aber als wir älter wurden, wurde es zu einem ständigen Kampf.«

      »Sieht aus, als hätten Sie gewonnen.«

      »Gewonnen?« Er war verwirrt.

      »Noch weiter weg geht ja kaum.«

      »Na ja, ich habe einen Bruder, der in Auckland in Neuseeland lebt, und meine Schwester wohnt in Tokio.«

      Sie lachte. »Okay, da lag ich wohl wieder falsch.«

      »Es tut mir übrigens leid, wenn wir den Eindruck erweckt haben, Sie stünden hier


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