MACHETE - Der Passat-Killer von Hawaii. Robert W. Walker

MACHETE - Der Passat-Killer von Hawaii - Robert W. Walker


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war die kleine zierliche Linda Kahala das letzte Mal am Ala-Wai-Boulevard gesehen worden, genau in der Nacht, in der die Officer Hilani und Kaniola durch eine Schusswaffe und eine Machete gestorben waren. Zufall oder gab es einen Zusammenhang? Wenn die beiden Vorfälle miteinander zu tun hatten, so überlegte sie schon fast im Halbschlaf, dann konnte der verstümmelte Arm in Laus Kühlfach sehr wohl von Linda Kahala stammen.

      Sie schlief ein, während Jay Lenos Band gerade spielte, um die Werbepause anzukündigen, ihr Unterbewusstsein schien dankbar für jedes Geräusch, das auf Leben hinwies. Sie rang mit ihren eigenen Gedanken, um ihre Träume zu beeinflussen, wild entschlossen, sie angenehm und entspannend zu halten, und bald war sie wieder unter Wasser vor der Küste Mauis am unglaublichen Unterwasserkrater des Molokini, wo sie Tauchen war, bevor sie nach Honolulu gerufen wurde. Der Anblick war atemberaubend, so als wäre sie tatsächlich da, aber noch großartiger war das absolute Gefühl der Freiheit unter Wasser. Die Schwerelosigkeit hatte positive Nebeneffekte, gab ihr ein Gefühl der Absolution. Es war dasselbe High, von dem sie Piloten hatte reden hören, wenn sie abhoben, der gleiche Adrenalinrausch, den Kletterer empfanden und den Fallschirmspringer liebten.

      Sie sah sich um und war allein, abgesehen von dem brodelnden Leben um sie herum, das unter den fächerförmigen, wogenden Korallen alle Farben des Regenbogens widerspiegelte. Unter ihr befand sich ein Schwarm wunderschöner blausilberner Fische, die in einer Höhle verschwanden. Sie paddelte hinterher, fühlte sich ausgelassen und lebendig und schwamm ohne zu zögern in das schwarze Loch unter ihr, das von Schatten erfüllt war. Hier nahm die Schönheit dieses Ortes eine ganz andere Färbung an. Immer noch wunderschön, verwandelte sich das allgegenwärtige tiefe Blau im Innern der Höhle in ein Mitternachtschwarz. Es war eine mysteriöse und verlockende Nachtwelt, in der die Fische einfach verschwunden waren.

      Mit diesem Bild hätte sie friedlich weiterschlafen können, aber plötzlich wurde die Strömung stärker, in der sie dahinglitt, und erfasste sie, riss sie vorwärts in die Schwärze vor ihr, zehnmal stärker als sie selbst. Auf dem Weg, auf dem sie hineingeschwommen war, konnte sie nicht entkommen, außer die Strömung kehrte sich um und trüge sie wieder hinaus, aber stattdessen wurde sie stärker und so turbulent, als wolle sie sie umbringen und gegen die zackigen Felsen schmettern, deren Umrisse sie in der Dunkelheit erkennen konnte.

      Ihr wurde frostig kalt unter dem Taucheranzug, sie spürte, wie Gänsehaut ihren Körper bedeckte, hörte das teilweise menschliche, teilweise mechanische Geräusch ihres eigenen angestrengten Atems durch den Atemregler immer lauter, es klang gefährlich unregelmäßig, während sie verzweifelt das letzte bisschen Sauerstoff einatmete, das ihr blieb. Sie fühlte sich benommen, desorientiert, verwirrt. Das Wasser wirbelte in der nun blauschwarzen Höhle um sie herum, hielt sie gefangen wie eine kraftlose Stoffpuppe. Die scharfen, zerklüfteten Felsen trafen sie, zerfetzten ihren Anzug und ihre Haut, der Regler wurde aus ihrem Mund gerissen, ihre Atemlufttanks zerstört. Ihr Körper wurde gegen die Felsen über ihr gedrückt und sie konnte spüren, wie das Blut und ihr Atem langsam ihrem Körper entströmten.

      An ihr vorbei schwebten Knochen und fleischige Leichenteile, die langhaarigen, abgetrennten Köpfe dunkelhäutiger Frauen. Einer wurde genau vor ihr ebenfalls gegen den Felsen in der vulkanischen Höhle unter dem Blow Hole gepresst – er hatte die Augen von Linda Kahala. Die weit aufgerissenen Augen des Mädchens schienen die ganze Höhle und Jessicas Geist zu füllen.

      Sie richtete sich auf, kämpfte immer noch um Atem in der Phantomhöhle unter Wasser, versuchte das tote Mädchen abzuwehren, das ihr in ihrem Bett Gesellschaft leistete. »Verflucht!«, rief sie in den leeren Raum und sich selbst zu, wütend darüber, dass sie auch nur einen unterbewussten Moment der Angst zugelassen hatte. Sie hatte lange und hart gekämpft, um die Narben zu überwinden, die ihr ein Verrückter namens Matisak zugefügt hatte, der nun sicher weggesperrt in einem Hochsicherheitsgefängnis für psychisch kranke Schwerverbrecher saß, aber sie wusste, sie würde nie wieder ganz die Alte sein, die Jessica Coran, die existiert hatte, bevor er sie verstümmelte. Diese Schwäche und dieser Zweifel lagen wie ein Schatten über jedem Schritt, den sie in der Welt tat. Es war die Art Verletzlichkeit, die weder Parry noch irgendwer sonst jemals in ihr erkennen sollte.

      Der bittersüße Geschmack von Schweiß erreichte ihre Lippen, während er wie Tränen von ihrer Stirn und auf ihre Wangen perlte. Sie musste noch einen Moment an Matisak denken, der es selbst hinter Gittern geschafft hatte, die Presse wissen zu lassen, dass er ein Jahr zuvor, aus seiner Zelle heraus, Jessica minutiös näher auf die Spur der kannibalistischen Klaue geführt hatte. In der Story, die in den übelsten Schmierblättchen abgedruckt worden war, wurde behauptet, sie habe »Professor« Matisaks beträchtliche deduktive Fähigkeiten bei ihrer bemerkenswerten Jagd genutzt, um die Klaue aufzuspüren und zu vernichten. Matisak, der einmal Lehrer gewesen und auch unter dem Spitznamen »Teach« bekannt war, besaß durch die Inkompetenz ihrer Vorgesetzten und die Klatschpresse ein sogar noch weiter aufgeblähtes Ego als ohnehin schon. Zwei Jahre Haft hatten sein übersteigertes Selbstbild und seinen Wahnsinn noch weiter anschwellen lassen.

      Sie wollte nichts mehr mit diesem Irren zu tun haben, der Otto Boutine getötet hatte, und hatte das ihren Vorgesetzten deutlich gesagt, als der Klauen-Fall abgeschlossen gewesen war und dieser Bastard bekommen hatte, was er verdiente: Eine Kugel aus ihrer Waffe durch den Schädel, die ihn gelähmt hatte und ihm noch genügend Zeit gab, das Leid und den Schmerz nachzuempfinden, den er anderen zugefügt hatte, bevor er komplett katatonisch wurde und starb.

      Nun, mit einem neuen Abteilungsleiter, ließen sie die Andeutungen des neuen Chief kalt, man könne erneut Informationen von Matisak erhalten. Sie hatte Zanek gesagt: Nie wieder!

      Trotzdem, auch wenn sie auf rationaler Ebene wusste, dass Matisak Tausende und Abertausende Meilen entfernt war und im Gefängnis saß, war er irgendwie doch hier bei ihr, seine eiskalte astrale Präsenz senkte die Temperatur in dem Hotelzimmer. Er war hier bei ihr … zusammen mit Linda Kahala … heute Nacht in Honolulu.

       Einige Tage später, 15. Juli 1995

      Nach mehreren Nächten unruhiger Träume und Albträume, Heimsuchungen von Matisak, der Klaue und dem phantomartigen Bösen hier in Honolulu, dem Passat-Killer, waren die Spuren bei Jessica langsam sichtbar. Albträume um drei Uhr nachts und tagelange Schichten im Labor mit Lau hatten sie ausgelaugt. Trotzdem trieb sie sich härter an als irgendwen im Team, verzweifelt bemüht, für Parry und seine Leute so viele Lücken wie möglich zu schließen, da sie jeden Tag damit rechnete, von Zanek abgezogen zu werden. Sie machte erst jetzt wirkliche Fortschritte und schloss die Tests ab, die von Laus Leuten vorbereitet worden waren. Die Ergebnisse waren erstaunlich. Allein aus dieser Tatsache zog sie Stärke, und sie war stolz darauf.

      Es war bereits früh klar geworden, dass Officer Kaniolas Schusswunde nicht tödlich gewesen und er noch am Leben und vielleicht bei Bewusstsein war, als der Killer mit großer Wucht eine Machete oder möglicherweise ein Zuckerrohrmesser in seinen Hals getrieben und den Kopf beinahe abgetrennt hatte. Tests hatten diese These bestätigt. Was vielleicht noch wichtiger war, sie hatte festgestellt, dass das Blut, das Alan Kaniolas rechte Handfläche bedeckte, von jemand anderem stammte. Während ein anderer Gerichtsmediziner vielleicht einfach angenommen hätte, es sei Kaniolas eigenes Blut, vermutete sie instinktiv, Kaniola könne in seinen Todeskrämpfen den Killer verletzt haben, vielleicht mit dessen eigenem Messer. Sie war erfreut über diese kleine lohnende Information. Das gab ihr zumindest ein wenig Hoffnung, denn nun konnte man das Blut des Killers untersuchen und sie waren ihrer Beute schon einen ganzen Schritt nähergekommen. Man konnte nie wissen, was bei einem Bluttest alles herauskam. So konnte man alles Mögliche über den Killer erfahren: Blutgruppe, Ethnie, Alter, Geschlecht.

      Aber diesmal stiftete die genauere Untersuchung des Blutes eher Verwirrung. Es war das Blut einer jungen Frau, möglicherweise das von Linda Kahala, und wenn das stimmte, dann war Officer Kaniola irgendwie entweder mit der Leiche in Kontakt gekommen oder oben auf Koko Head mit ihrem Blut bespritzt worden. Jessica biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste angesichts dieser Wendung der Ereignisse direkt unter der Linse ihres Mikroskops. Diese Information verändert einiges – sie überlegte sich mögliche Szenarien.

      Früher an diesem Tag hatte sie bereits Agent Tony Gagliano getroffen, der vorbeigekommen war, um all die medizinischen Unterlagen abzuliefern,


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