MACHETE - Der Passat-Killer von Hawaii. Robert W. Walker

MACHETE - Der Passat-Killer von Hawaii - Robert W. Walker


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gesamte medizinische Biografie seit ihrer Geburt. Jessica begann mit einem Routinevergleichstest des Blutes, das man auf Kaniolas Handfläche gefunden hatte, und dem, was man über Linda Kahalas Blut wusste, und das war eine Menge, denn sie hatte eine seltene Blutkrankheit gehabt und mehrere, leicht zu identifizierende Charakteristika. Der Test dauerte den Großteil des Vormittags, aber der schwierige Teil war, Blut aus der Schulter und dem Unterarm zu nehmen, die sie aus dem Kühlfach geholt hatte. Unterdessen unterzog man den Arm selbst einer ganzen Batterie an Tests, und bisher hatten alle Ergebnisse darauf hingedeutet, dass er zu einer jungen Frau zwischen 15 und 20 gehört hatte, näher konnte Jessica es nicht bestimmen. In dem Alter erreichte das Knochenmark die maximale Ausdehnung und seinen Höhepunkt des Wachstums und der Reife. Die Größe der Knochen passte ebenfalls zu einem Mädchen in Lindas Alter. Mithilfe einer forensischen Anthropologin, die an der Universität von Hawaii arbeitete, eine Dr. Katherine Smits, wurde zunehmend klar, dass die Gliedmaße von einer jungen Frau stammte, die noch keine 20 und hawaiianischer Abstammung war – zumindest teilweise. Hätte man eine Röntgenaufnahme von Lindas Arm in ihrer Krankenakte oder irgendwelche DNA-Proben gehabt, um sie zu vergleichen, dann hätte man, da war Jessica sicher, zweifellos das Körperteil Linda Kahala zuordnen können. So wie die Dinge lagen, musste die Blutprobe genügen.

      Sie machte sich wieder an ihren Blutvergleichstest und bis Mitte des Nachmittags war sie völlig überzeugt, dass nicht nur der verstümmelte Arm zu Linda Kahala gehörte, sondern auch das Blut auf der Hand von Officer Kaniola.

      Bei dieser nun sicheren Erkenntnis setzte sie sich und lehnte sich in die Polster des Sessels zurück, der in dem Büro stand, das man ihr zeitweilig überlassen hatte. Alleine Lau schien von all den Assistenten etwas zu vermuten oder zu wissen. Schließlich hatte er ihr geholfen, das Blut abzugleichen. Er kam herein und sah, dass sie angesichts ihrer Entdeckung durcheinander war.

      »Seltsam, oder?«, sagte er. »Ich meine, das mit dem Arm und Kaniolas Hand.«

      »Ziehen Sie keine verrückten Schlüsse, Mr. Lau«, beschwichtigte sie. »Das ist genau die Art Information, die in den falschen Händen für jede Menge Verwirrung sorgen und das Ansehen Ihres Labors sowie unser beider Ruf beschädigen könnte, gar nicht zu reden von der, wie ich gehört habe, angespannten Lage in der Stadt. Wir wollen nicht, dass die falschen Leute davon erfahren, verstanden?«

      Er sah aus, als haben ihn das schwer getroffen. »Vertrauen Sie mir als Profi nicht, dass ich darüber schweige, was hier in meinem Labor ermittelt wird? Ich war schon lange hier, bevor Sie kamen, Doktor, und ich werde hier sein, lange, nachdem Sie wieder gegangen sind. Nein, machen Sie sich da mal keine Sorgen, dass ich irgendjemandem außerhalb dieses Labors erzähle, was wir hier machen … nein.«

      Sie war sofort beschwichtigend. »Ich meinte ja nur, dass die Presse sehr gut darin sein kann, aus Leuten wie Ihnen und mir Informationen herauszukitzeln, Mr. Lau. Das war nur eine Anmerkung, vorsichtig zu sein, das ist alles. Chief Parry will bestimmt, dass wir kein Sterbenswörtchen sagen, dass alles Top Secret bleibt, da bin ich sicher. Zumindest im Moment.«

      »Ich verstehe. Die Schlagzeile der haole-Presse: Kanaka-Cop ist Passat-Killer. Er hat all die hawaiianischen Mädchen getötet. Ein Hawaiianer hat also die Mädchen getötet, das ist dann klar, und was passiert dann?«

      »Eben«, stimmte sie zu. Auch wenn sie selbst es sich nicht genau so vorgestellt hätte, wusste sie, während er redete, dass er absolut recht hatte. Die Weißen, besonders die an der Macht, hätten sicher nichts lieber gesehen, als die Morde der hawaiianischen Frauen einem Hawaiianer anzuhängen und damit alle Spekulationen zu beenden, dass das Monster ein Weißer war – das glaubte auch Jim Parry. Sie hatte sein Profil über das vermutliche Alter, Geschlecht, die Rasse und Herkunft und den Lebensstil dieses Phantoms gelesen. Und das Profil machte absolut Sinn, wenn man bedachte, dass es auf statistischen Mittelwerten basierte. Aber Statistiken erwiesen sich nicht immer als wahr; deswegen war es ja auch nur ein Mittelwert.

      »Machen Sie sich mal keine Sorgen«, versicherte ihr Lau. »Also, was machen wir als Nächstes?«

      »Mittagessen gehen«, sagte sie monoton und barg den Kopf in den Händen. Die Müdigkeit war zu ihrem ständigen Begleiter geworden.

      Beim Aufstehen streckte sie sich und sah einen Moment aus dem riesigen Fenster, ohne ein Wort zu sagen. Lau wurde hinter ihr langsam unruhig. Sie blickte konzentriert auf den westlichen Rand von Oahu. Die prächtige Flut der grünen Hügel ergoss sich vom vulkanischen Rand der gewaltigen Waianae-Bergkette. Wenn sie nicht aus dem Fenster schauen und diesen Anblick genießen könnte, würde sie fast glauben, sie sei wieder in ihrem Labor in Quantico, von dem aus man auf das Gelände der Akademie und das Trainingsareal sehen konnte. Sie hatte erfahren, dass das satte Grün Hawaiis tatsächlich von Menschen geschaffen worden war, durch die vielen Kanäle, die in die Berge gegraben wurden, um das Wasser von den höchsten Höhen nach unten zu befördern und eine ansonsten kahle Landschaft zu bewässern, die ohne diese Bewässerung wohl eher die Farbe von Teakholz hätte. Sie wünschte sich nun, dass ihr das niemand gesagt hätte, damit die Illusion heil geblieben wäre.

      »Essen wäre eine gute Idee«, sagte Lau und durchbrach die Stille. »Sie arbeiten zu hart, Dr. Coran. Das ist für niemanden gut.«

      »Essen! Genau, was ich auch eben dachte«, sagte James Parry, der so lautlos in der Tür erschienen war, dass selbst Lau erschrak.

      »Wie ein richtiger James Bond, Chief Parry … sich an einen Mann so anzuschleichen«, sagte Lau.

      »Sorry, ich wollte Sie nicht erschrecken, Mr. Lau.«

      »Macht nichts«, log Lau und wollte gehen. »Ich glaube, Sie beide haben einiges zu besprechen.«

      »Unser Mr. Lau hier scheint Gedanken lesen zu können«, sagte Parry, als er es sich ihr gegenüber in einem Bürostuhl bequem machte.

      »Was meinen Sie mit Gedanken lesen?«

      »Wir müssen etwas besprechen.«

      »Oh, hat sich etwas ergeben, von dem ich wissen sollte?«

      »Ich habe die ganze Sache, alles, was wir wissen und vermuten – jede Einzelheit – Dave Scanlon präsentiert, dem Polizeipräsidenten von Honolulu, und der war nicht besonders erfreut.«

      »Nicht erfreut? Wieso?«

      »Sagen wir mal, der Commissioner ist ein guter Politiker und möchte sich in alle Richtungen absichern. Auf jeden Fall gehen gerade alle verschiedenen Distrikte des HPD ihre Fälle vermisster Personen der letzten paar Jahre durch. Keine Ahnung, wie lange die Sache schon läuft, verstehen Sie?«

      »Sie glauben, es könnten schon länger Frauen verschwunden sein, als wir das bisher bereits vermutet haben?«

      »Das kann in diesem Moment niemand sagen.«

      »Aber Sie haben ein paar alte Fälle ausgegraben, die denen im letzten Jahr hier und vor zwei Jahren auf Maui verdächtig ähnlich sehen?«

      Er nickte. »Schuldig im Sinne der Anklage.«

      Ihr wurde klar, dass Parry die Sorte Mann war, der einen anderen Blick auf die Dinge hatte, die unter seine Zuständigkeit fielen. Während zahllose andere Cops auf der Insel über dieselben Informationen verfügten, war es Parry, der alle Einzelteile zusammengefügt hatte. All das Material war auch von anderen intensiv untersucht worden, aber Parry und sein Team hatten es in neuem, wenn auch krankem Licht betrachtet, dem dunklen Lichtschein, der von einem eiskalten Killer geworfen wurde. Parry war genau das, worauf es beim FBI ankam. Für ihn war ein Tatort nicht einfach nur die Stelle, an der man die Beweise einsammelte, eintütete, verglich und beschriftete, sondern der giftige Widerschein der Finsternis im Geiste eines Killers. Wieso hatte der Killer diesen Ort gewählt, diese Zeit, diese Person? Es war dieser Ansatz, bei dem der verstorbene Otto Boutine Pionierarbeit geleistet hatte, den sie sowohl bewundert als auch sehr geliebt hatte, ein Mann, der gestorben war, um sie vor einem grausamen Tod unter den Händen des berüchtigten Vampirkillers, Matt Matisak, zu retten.

      Parry arbeitete an einem Tatort nicht rückwärts, um ein Verbrechen zu rekonstruieren, wie es der typische Streifenpolizist tun würde, der sich überlegt, was passiert sein könnte, und dann seine Ermittlungen


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