Wenn uns die Fälle davonschwimmen. Eva Male

Wenn uns die Fälle davonschwimmen - Eva Male


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bestellt ist, ist eine andere Frage.

      „Ich würde die Wahrheit sagen, wenn ich ehrlich bin“ – dieser hübsche Satz war unlängst im Gespräch zwischen Halbwüchsigen zu erlauschen. Ähnlich ist’s, wenn einer erzählt, bei Graffiti Schmiere gestanden zu sein.

      „Das Ozonloch verflüchtigt sich wieder.“ Im Prinzip eine erfreuliche Nachricht – aber wie kann sich ein Loch verflüchtigen, auflösen? Das muss man sich erst einmal bildlich vorstellen! Andererseits: Auch geistige Blackouts, von meiner amerikanischen Nachbarin senior moments genannt, verflüchtigen sich immer wieder – zum Glück! Wie sonst sollte man es formulieren? Dass sich die Leere wieder füllt?

      Bleiben wir in den USA: „Streiche oder Süßigkeiten!“ So lautete in einer synchronisierten US-Serie die deutsche Übersetzung für die Halloween-Parole: „Trick or treat!“ Dies rufen die Kinder, wenn sie von Tür zu Tür ziehen und um Naschereien (treat) bitten beziehungsweise mit Streichen (trick) drohen.

      Wer mit dem amerikanischen Brauch nicht vertraut ist, wird freilich mit „Streiche oder Süßigkeiten“ wenig anzufangen wissen. Viel besser gefällt mir da die Formulierung: „Süßes, sonst gibt’s Saures!“ Das versteht jeder, und die Antithese ist nebst der vom Englischen übernommenen Alliteration ein hübsches Stilmittel.

      Tschüss die Hand!

       Grüße aus der Sprachwelt

      Sag zum Abschied leise Servus. Das war einmal. In Österreich greift heute wie eine ansteckende Krankheit der in Deutschland übliche Gruß Tschüss um sich. Manchmal auch Tschüssi oder gar Tschühü, mit einem stummen oder höchstens hingehauchten H.

      „Umgangssprachlich“, erklärt der Duden lapidar. Wobei man in Deutschland – anders als in Österreich – durchaus auch Leute mit Tschüss verabschiedet, mit denen man per Sie ist.

      Im Österreichischen Wörterbuch kann man nachlesen, dass Tschüss ursprünglich aus Norddeutschland kommt. Es soll sich aus dem bis in die 1940er Jahre üblichen Atschüs entwickelt und zunehmend auch auf den hoch- und oberdeutschen Sprachraum übergegriffen haben. Wobei es sich um ein Lehnwort aus dem Romanischen handelt: Adieu, von ad deum, zu Gott.

      Also alles halb so wild. Onkel Otto hätte sich über den seiner Meinung nach gar zu lässigen Gruß also gar nicht so echauffieren müssen. Aber so sind die älteren Österreicher nun einmal. Sie haben eine Abneigung gegen alles, was respektlos oder im entferntesten piefkinesisch klingt.

      Vielleicht gelingt es ja umgekehrt, den zahlreichen in Österreich studierenden Studenten das eine oder andere Servus, Pfiati oder Baba schmackhaft zu machen?

      Und von wegen respektlos: „Dass meine kleine Enkelin mich nicht mit Servus grüßt, sondern sich mit einem munteren Tschüss verabschiedet, tut weh! Aber sie hat’s wohl aus dem Fernsehen“, klagt eine Leserin.

      Hier muss ich schmunzeln: Zu meiner Zeit hatte sich die Großmutter just über unser Servus beklagt, auch wenn wir mit gespielter Unterwürfigkeit konterten, dass dies „Ich bin dein Diener“ heißt. So ändern sich die Zeiten – und die Großmütter!

      „Ich putz’ jetzt den Fisch“, pflegt indes die junge Kollegin zu sagen, wenn sie die Redaktion verlässt. Diese Wendung für weggehen soll angeblich echt wienerisch sein, behauptet sie – obwohl (oder gerade weil?) sie Vorarlbergerin ist. Wienern selbst ist das Fischputzen zumeist nicht geläufig. Aber eh man sich’s versieht, hat sich der geputzte Fisch schon in den Sprachschatz eingeschlichen.

      Und wie sieht’s mit der Begrüßung aus? Aber hallo! Weit verbreitet ist es heute, Hallo zu rufen. Auf der ersten Silbe betont, tönt es uns von allen Seiten entgegen. Wildfremde grüßen mit Hállo!, was so mancher sich verbittet – und den Grüßern verbietet. Guten Tag, Grüß Gott. So einfach ist das. Und das Hallooooo bleibt dem Telefonieren vorbehalten.

      Auch mit Glückwünschen ist es so eine Sache: Eine Zeitung wünschte auch heuer wieder „Ihren Lesern“ „Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr“, anstatt sich an ihre (klein geschrieben!) Leser zu wenden. In einem anderen Blatt war unterdessen zu lesen: „Jedes Jahr muss zu den heiligen Zeiten alles so sein, wie es immer schon war. So wie der Christbaum mit drei dagestanden ist, muss er auch mit 30 noch dastehen.“

      Was ist das für ein Wunder-Christbaum, der unbeschadet die Jahrzehnte überdauert? Gemeint war natürlich das Alter der Kinder, die auf der liebgewordenen Tradition beharren.

      Zu Silvester wünschen dann wieder alle einen guten Rutsch. Bei vielen Sprachliebhabern stößt diese Formulierung auf wenig Gegenliebe. Klingt so negativ nach ausrutschen, hinfallen. Hals- und Beinbruch!

      Allerdings hat der Rutsch etymologisch nichts mit rutschen zu tun, sondern kommt vom rotwelsch-jiddischen rosch, das Kopf, Anfang bedeutet, Segen.

      Seltsam mutet es aber auf jeden Fall an, wenn die Kassierin im Drogeriemarkt einem Kunden nach dem anderen einen guten Rutsch im neuen Jahr wünscht. Dieser Wunsch muss im Prinzip auch nach dem 1. Jänner weiter gelten, da er sprachlich ja nicht das glatte Hinübergleiten ins neue Jahr bezeichnet, wie man es üblicherweise meint.

      Auch der Hals- und Beinbruch, den man den anderen an den Hals (und an das Bein) wünscht, leitet sich übrigens nicht von brechen ab, sondern von broche. Was man natürlich wissen muss, um sprachlich nicht darüber zu stolpern. Was sollen jene tun, denen Onkel Otto nicht als wandelndes Lexikon zur Verfügung steht?

      „Schönes Neues Jahr noch“, lautete der Text einer SMS, die zu Silvester zirka fünf Sekunden nach Mitternacht auf dem Mobiltelefon eintrudelte. Für Sekt und Walzer ist ja heute kaum noch Zeit, weil zur Jahreswende jeder verzweifelt sein Glück im völlig überlasteten Netz versucht. Der Glückwunsch „Schönes Neues Jahr noch“ mutet jedenfalls sonderbar an, wenn selbiges erst vor wenigen Sekunden begonnen hat.

      „Guten Putsch“, schreibt mein freches Handy. Es ist wieder einmal schneller als ich. Bedächtig tippe ich meine SMS, und das Wortfindungsprogramm macht Vorschläge. Die erste Wahl für den Neujahrswunsch „Guten Rutsch“: „Guten Putsch“. Ein Glück, dass ich’s noch entdeckt und korrigiert habe.

      Selber schuld, wenn man sich dazu hinreißen lässt, per Handy Glückwünsche zu versenden – statt handgeschriebener, persönlicher Billets! Aber es geht nun einmal so schnell und ist so praktisch …

      Oder soll man den Vorschlag einfach annehmen und den Mitmenschen wünschen, dass ihnen im neuen Jahr ein Putsch gelingen möge? Dass sie an die Spitze gelangen, die bestehende Ordnung über den Haufen werfen sollen? Jawohl!

      Schließlich war auch der per Handy versandte Weihnachtswunsch nicht von der feinen englischen Art gewesen. „Frohe Weihnachten“, will man schreiben, und das Handy hebt an: „Droge …“ Droge Weihnachten? Dröge war man ja häufig während der Feiertage, auch träge. Aber ob man gleich Drogen nehmen musste? Sie den Feiernden schon im Vorfeld an den Hals wünschen?

      Was nach Neujahr folgt, ist die gern zitierte Zeit zwischen den Jahren. Jene Tage zwischen Weihnachten und Dreikönig, angefüllt mit Katzenjammer und guten Vorsätzen. Wir wissen, was gemeint ist.

      Aber zwischen den Jahren? Sie existiert in Wirklichkeit nicht, diese Zeit. Die Pummerin läutet, der Sektkorken knallt, der Zeiger rückt vor. Schön wär’s, wenn uns zwischen altem und neuem Jahr kostbare Stunden geschenkt würden! Aber da es nicht so ist, kann man sich auch die Redewendung schenken.

      Ähnliches gilt für Bürogrüße: Wenn ich mir den Wunsch beziehungsweise Bürogruß aussuchen dürfte, der mir am wenigsten gefällt, dann wäre es Frohes Schaffen!. Den lieben langen Tag muss man sich das anhören. Nichts als Workaholics. Dann schon besser das altbewährte Mahlzeit! ab elf Uhr vormittags oder von mir aus Pack ma’s!.

      Oft aber ist weniger mehr, auch in der Sprache. Nichts dagegen also,


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