H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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er­in­ner­ten mich an al­les, was ich über die Zer­stö­rung Pom­pe­jis ge­le­sen hat­te. Ohne wei­te­ren Un­fall ge­lang­ten wir nach Hamp­ton Court; un­se­re Ge­dan­ken wa­ren er­füllt von al­len den selt­sa­men und un­ge­wohn­ten Bil­dern, die wir un­ter­wegs er­blick­ten. In Hamp­ton Court wur­den un­se­re Au­gen ge­ra­de­zu von ei­nem Bann er­löst, als wir einen grü­nen Ra­sen­fleck ent­deck­ten, der dem er­sti­cken­den Qualm ent­gan­gen war. Wir gin­gen durch den Bus­hey Park, sa­hen das Wild un­ter den Kas­ta­ni­en­bäu­men auf- und ab­ge­hen und ei­ni­ge Män­ner und Frau­en, die in wei­ter Fer­ne ge­gen Hamp­ton zu eil­ten. Das wa­ren die ers­ten Leu­te, die wir sa­hen. So ka­men wir nach Twi­cken­ham.

      Als wir über die Stra­ße hin­weg­blick­ten, sa­hen wir, dass das Ge­hölz jen­seits von Ham und Pe­ters­ham noch brann­te. Twi­cken­ham war so­wohl vom Hit­ze­strahl, wie vom schwar­zen Rauch ver­schont ge­blie­ben, und so fan­den wir hier her­um schon mehr Leu­te, von de­nen aber nie­mand uns Neu­es mit­tei­len konn­te. Zum größ­ten Teil be­fan­den sie sich in der­sel­ben Lage wie wir; sie be­nütz­ten eine au­gen­blick­li­che Ruhe vor den Mars­leu­ten, um wei­ter zu flie­hen. Ich ge­wann den Ein­druck, dass vie­le Häu­ser noch von ein­ge­schüch­ter­ten Men­schen be­wohnt wa­ren, die zu er­schreckt wa­ren, um nur die Kraft zur Flucht zu be­sit­zen. Auch hier wa­ren die An­zei­chen ei­nes has­tig flie­hen­den Men­schen­hau­fens in Fül­le längs der Stra­ße vor­han­den. Sehr leb­haft er­in­ne­re ich mich ei­nes Ge­wir­res von drei zer­trüm­mer­ten Fahr­rä­dern, die von den Rä­dern nach­fol­gen­der Kar­ren in die Erde ge­stampft wor­den wa­ren. Um halb neun Uhr etwa ka­men wir bei der Rich­mond Bridge an. Wir eil­ten selbst­ver­ständ­lich, so rasch wir konn­ten, über die al­len An­grif­fen sehr aus­ge­setz­te Brücke; den­noch be­merk­te ich eine An­zahl ro­ter Ge­gen­stän­de, die ei­ni­ge Fuß von mir ent­fernt, den Fluss hin­ab­trie­ben. Ich wuss­te nicht, was jene Ge­gen­stän­de be­deu­te­ten — ich hat­te kei­ne Zeit, sie ge­nau zu un­ter­su­chen — aber ich leg­te ih­nen eine viel grau­en­haf­te­re Be­deu­tung bei als sie ver­dien­ten. Hier, auf der Sur­rey-Sei­te, sah ich wie­der schwar­zen Staub, der ein­mal Rauch ge­we­sen war und Lei­chen — einen großen Hau­fen beim Ein­gang zum Bahn­hof — aber nir­gends war ein Mars­mann zu er­bli­cken, bis wir uns in ziem­li­cher Nähe von Bar­nes be­fan­den.

      Wir sa­hen in der ver­dun­keln­den Fer­ne eine Grup­pe von drei Leu­ten, wel­che eine Sei­ten­stra­ße hin­ab dem Fluss zu­lief; sonst aber schi­en al­les ver­ödet. Im obe­ren Hü­gel­vier­tel brann­te die Stadt Rich­mond lich­ter­loh; au­ßer­halb Rich­monds war kei­ne Spur des schwar­zen Rau­ches zu ent­de­cken.

      Plötz­lich, als wir uns schon Kew nä­her­ten, kam uns eine An­zahl Leu­te ent­ge­gen­ge­lau­fen, und, nicht hun­dert Yard von uns ent­fernt, sa­hen wir die Ober­tei­le der Kriegs­ma­schi­ne ei­nes Mars­man­nes über die Haus­dä­cher auf­ra­gen. An­ge­sichts die­ser dro­hen­den Ge­fahr stan­den wir wie ver­stei­nert da, und hät­te der Mars­mann her­ab­ge­blickt, wä­ren wir ret­tungs­los ver­lo­ren ge­we­sen. Wir wa­ren so ent­setzt, dass wir nicht wag­ten, wei­ter zu ge­hen, son­dern uns seit­wärts wand­ten und uns in dem Ver­schlag ei­nes Gar­tens ver­steck­ten. Lei­se vor sich hin wei­nend ver­kroch sich der Ku­rat und wei­ger­te sich, wie­der wei­ter­zu­ge­hen.

      Aber ich hat­te mich so fest in den Ge­dan­ken, Lea­ther­head zu er­rei­chen, ein­ge­spon­nen, dass ich mir kei­ne Rast er­laub­te; und im Zwie­licht wag­te ich mich wie­der hin­aus. Ich schlug mich durch ein Ge­büsch, das einen Lau­ben­gang ent­lang auf dem Grund­stück ei­nes großen Hau­ses lief und tauch­te so auf der Stra­ße, die nach Kew führ­te, wie­der auf. Den Ku­ra­ten ließ ich im Ver­schlag, aber er has­te­te mir eilends nach.

      Die­ser zwei­te Auf­bruch war das Aber­wit­zigs­te, was ich je un­ter­nahm. Denn es war of­fen­bar, dass die Mars­leu­te hier um uns her­um­schwärm­ten. Kaum hat­te der Ku­rat mich ein­ge­holt, als wir ent­we­der die­sel­be Kriegs­ma­schi­ne, die wir frü­her ge­se­hen hat­ten, oder eine an­de­re, in ziem­lich großer Ent­fer­nung, über die Wie­sen in der Rich­tung nach dem Park­hau­se von Kew fah­ren sa­hen. Vier oder fünf klei­ne, schwar­ze Ge­stal­ten lie­fen über die grün­lich­graue Flä­che des Fel­des vor ihr da­von, und im Nu war es mir klar, dass der Mars­mann sie ver­folg­te. Mit drei Schrit­ten war er mit­ten un­ter ih­nen und sie sto­ben nun nach al­len Rich­tun­gen aus­ein­an­der. Er ge­brauch­te nicht den Hit­ze­strahl, um sie zu ver­nich­ten, son­dern las sie, einen nach dem an­de­ren, auf. Ich glaub­te zu er­ken­nen, wie er sie in den großen, me­tal­li­schen Be­häl­ter schleu­der­te, der hin­ter ihm vor­rag­te, ganz so, wie ein Trag­korb, der über der Schul­ter ei­nes Ar­bei­ters hängt.

      Zum ers­ten Male kam mir jetzt der Ge­dan­ke, dass die Mars­leu­te noch an­de­re Zwe­cke ver­folg­ten, als die Ver­nich­tung der be­sieg­ten Mensch­heit. Wir stan­den einen Au­gen­blick lang wie ver­stei­nert da, dann kehr­ten wir um und flüch­te­ten uns durch ein hin­ter uns be­find­li­ches Tor in einen von Mau­ern um­ge­be­nen Gar­ten. In ei­nem Gra­ben, der sich zu un­se­rem Glück dort vor­fand, und in den wir mehr hin­ein­stürz­ten, als hin­ab­stie­gen, hiel­ten wir uns ver­steckt. Be­vor nicht die Ster­ne am Him­mel stan­den, wag­ten wir kaum flüs­ternd mit­ein­an­der zu spre­chen.

      Ich glaub­te, dass es na­he­zu elf Uhr nachts war, ehe wir ge­nug Mut fass­ten, um aber­mals auf­zu­bre­chen. Dies­mal aber wag­ten wir uns nicht mehr auf die Stra­ße hin­aus, son­dern schli­chen uns an He­cken ent­lang, oder durch Baum­pflan­zun­gen hin­durch; da­bei späh­ten wir scharf in die Dun­kel­heit nach den Mars­leu­ten aus, die rings um uns her­um­zu­schwär­men schie­nen. Der Ku­rat wach­te zur Rech­ten und ich zur Lin­ken. Ein­mal stol­per­ten wir über eine ver­seng­te und rauch­ge­schwärz­te Ra­sen­flä­che, die aus aus­ge­kühl­ter Asche be­stand, und tau­mel­ten über eine An­zahl mensch­li­cher Leich­na­me, de­ren Köp­fe und Lei­ber grau­en­haft ver­brannt, de­ren Bei­ne und Stie­fel aber in den meis­ten Fäl­len un­ver­sehrt ge­blie­ben wa­ren; dann stie­ßen wir auf tote Pfer­de, die etwa fünf­zig Fuß hin­ter ei­ner Grup­pe von vier zer­trüm­mer­ten Ge­schüt­zen und zer­schell­ten La­fet­ten ta­gen.

      Das Dorf Sheen war of­fen­bar von der Zer­stö­rung ver­schont ge­blie­ben, aber der Ort war still und ver­las­sen. Hier tra­fen wir auf kei­ne To­ten, doch war die Nacht zu dun­kel, um uns einen Ein­blick in die Sei­ten­gas­sen des Dor­fes zu er­lau­ben. In Sheen klag­te mein Ge­fähr­te plötz­lich über Schwä­che und Durst; und so be­schlos­sen wir, in ei­nes der Häu­ser ein­zu­drin­gen.

      Das ers­te Ge­bäu­de, das wir, nach ei­ni­gen Schwie­rig­kei­ten mit dem Fens­ter, be­tra­ten, war ein klei­nes, halb frei­ste­hen­des Land­haus; aber im gan­zen Haus war nichts Ess­ba­res üb­rig­ge­blie­ben, als et­was schimm­li­ger Käse. Doch fan­den wir Was­ser, um un­se­ren Durst zu lö­schen. Ich nahm noch ein Beil mit mir, das bei un­se­rem nächs­ten Haus­ein­bruch von Nut­zen zu sein ver­sprach.

      Nach ei­ner Weg­kreu­zung ge­lang­ten wir an einen Platz, von dem die Stra­ße nach Mort­la­ke ab­biegt. Hier nun stand ein wei­ßes Haus in ei­nem ein­ge­frie­de­ten Gar­ten. In der Spei­se­kam­mer die­ses Hau­ses fan­den wir Ess­vor­rä­te — zwei Brot­lai­be, in ei­ner Schüs­sel ein ro­hes Stück Fleisch und einen hal­b­en Schin­ken. Ich gebe die­ses Ver­zeich­nis des­halb so ge­nau an, weil es sich füg­te, dass wir in den nächs­ten zwei Wo­chen von die­sem Vor­rat un­ser Le­ben zu fris­ten ver­ur­teilt wa­ren. Ei­ni­ge Fla­schen Bier stan­den


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