H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells
war. Die Loslösung des Mörtels hatte einen senkrechten Spalt in der zerstörten Mauer gebildet, und indem ich mich vorsichtig über einen Balken beugte, war ich imstande von dieser Lücke aus das zu erblicken, was vorige Nacht noch eine stille Vorstadtstraße gewesen war. Die Veränderung, die wir erblickten, war in der Tat erstaunlich.
Der fünfte Zylinder muss mitten in das Haus hineingefahren sein, das wir zuerst betreten hatten. Das Gebäude war verschwunden, vollkommen zerschmettert, durch die Wucht des Stoßes zermalmt und zerstoben. Der Zylinder lag nun weit unter den ursprünglichen Grundmauern, tief in einem Loch drin, das noch unendlich größer war, als die Grube, in die ich bei Woking hineingeblickt hatte. Die Erde rings um den Zylinder herum war bei der ungeheuren Wucht des Einfalls aufgespritzt — »gespritzt« sage ich, das ist der einzige, zutreffende Ausdruck — und lag in aufgetürmten Haufen da, welche die Nebenhäuser verbargen. Sie war gewichen wie Lehm unter dem Aufschlag eines mächtigen Hammers. Unser Haus war nach rückwärts eingesunken, sein vorderer Teil, selbst im Erdgeschoss, war vollständig zerstört; durch einen Zufall blieben die Küche und die Waschkammer unversehrt, lagen aber unter dem Boden und unter den Trümmern begraben, auf allen Seiten, außer der nach dem Zylinder zugewendeten, von Erdmassen bedeckt. Über all dem hingen wir nun dicht am Rande der großen, kreisrunden Grube, die zu erweitern die Marsleute eifrig beschäftigt waren. Das heftige, stoßende Geräusch war offenbar hart neben uns, und dann und wann zog ein glänzender, grüner Dampf wie ein Schleier über unser Guckloch hin aufwärts.
Im Mittelpunkt der Grube war der schon geöffnete Zylinder und am anderen Ende, mitten in einem zerrissenen und mit Kies bedeckten Gebüsch, stand eine der großen Kriegsmaschinen. Sie war von ihrem Lenker verlassen und hob sich mächtig vom Abendhimmel ab. Anfangs bemerkte ich kaum die Grube, noch den Zylinder (ich hielt es nur für gut, sie zuerst zu beschreiben). Mein Blick wurde besonders durch die ungewöhnlich glitzernden, mit der Aushöhlung beschäftigten Mechanismen und durch die seltsamen Geschöpfe gefesselt, die langsam und schwerfällig über den angehäuften Lehm krochen.
Die mechanischen Werkzeuge waren es, die meine Aufmerksamkeit zunächst in Beschlag nahmen. Das Werkzeug, das ich jetzt sah, war eines jener komplizierten Erzeugnisse, die man seither Hebemaschinen1 genannt hat, und deren Studium zu einem ungeheuren Ansporn für die irdische Erfindungskraft geworden ist. Als es mir zuerst zu Gesicht kam, machte es mir den Eindruck einer metallenen Spinne mit fünf gegliederten und leicht beweglichen Beinen, mit einer außergewöhnlichen Anzahl zusammengefügter Hebel und Riegel und mit langenden und greifenden Fühlern an seinem Körper. Die meisten Arme der Maschine waren eingezogen, aber mit drei langen Fühlern fischte sie eine Anzahl Stäbe, Platten und Riegel heraus, die offenbar die Kraft seiner Hände verstärkten. Sobald die Maschine diese Gegenstände herausgehoben hatte, legte sie alle auf eine mit dem Erdboden gleichlaufende Fläche hinter ihr.
Ihre Bewegungen waren so schnell, so gut ineinandergreifend, so vollkommen, dass ich sie trotz ihres metallischen Gefunkels gar nicht für eine Maschine hielt. Die Kriegsmaschinen waren zusammengesetzt und bis zu einem außergewöhnlichen Grad belebt worden, aber mit dieser Maschine können sie nicht verglichen werden. Leute, die ihr Gefüge nie gesehen haben, oder die keinen anderen Vorstellungsbehelf besitzen, als die mangelhaften Studien von Künstlern, oder die unvollkommenen Beschreibungen von Augenzeugen, wie ich es bin, können sich nur schwer ein Bild jenes lebendigen Gefüges machen.
Ich entsinne mich besonders des Bildes in einer der ersten Schriften, die eine zusammenhängende Darstellung des Krieges enthielten. Der Künstler hatte offenbar einen flüchtigen Umriss von einer der Kriegsmaschinen gemacht und damit hörten seine Kenntnisse auf. Er stellte sie dar als steife, mit einem Dach versehene Dreifüße, ohne Biegsamkeit und Gewandtheit, mit einer irreführenden Eintönigkeit in ihrer Wirkung. Die Schrift, welche diese Schilderung enthielt, hatte einen bedeutenden Ruf, und ich erwähne sie hier nur, um den Leser vor den Eindrücken zu warnen, die sie hervorgebracht haben mag. Dieses Bild glich den Marsleuten, die ich in Tätigkeit sah, um kein Haar mehr, als etwa eine Puppe einem menschlichen Wesen. Für meine Begriffe hätte die Schrift ohne das Bild an Wert gewonnen.
Anfangs machte mir, wie gesagt, die Hebemaschine nicht den Eindruck einer Maschine, sondern den eines krebsartigen Geschöpfes mit einer funkelnden Deckhaut; der überwachende Marsmann, dessen zarte Tentakeln ihre Bewegungen leiteten, schien einfach der Ersatz der Gehirnteile eines Krebses zu sein. Aber dann bemerkte ich die Ähnlichkeit seiner graubraunen, öligen, lederartigen Oberhaut mit jener der unten umherkriechenden Körper, und jetzt erst ging mir ein Licht über die wahre Art dieses geschickten Arbeiters auf. Nach dieser Feststellung wandte sich meine Aufmerksamkeit jenen anderen Geschöpfen zu, den eigentlichen Marsleuten. Ich hatte ja schon einmal einen flüchtigen Eindruck von ihnen gewonnen, und das ursprüngliche Gefühl des Ekels konnte meine Beobachtung nicht mehr trüben. Überdies war ich ja verborgen und regungslos, und war von keinem Zwang zu handeln bestimmt.
Die Marsleute waren, wie ich jetzt sehen konnte, Geschöpfe, deren Bau allen irdischen Begriffen Hohn sprach. Ungeheure runde Körper — oder besser gesagt, Köpfe — etwa vier Fuß im Durchmesser. Jeder dieser Körper hatte mitten auf seiner Vorderseite ein Gesicht; dieses Gesicht hatte keine Nasenlöcher — den Marsleuten schien in der Tat jeder Geruchssinn gefehlt zu haben — aber es hatte ein Paar sehr großer, dunkelgefärbter Augen und gerade darunter eine Art fleischigen Schnabels. Auf der Rückseite dieses Kopfes oder Körpers — ich weiß kaum, wie ich es nennen soll — befand sich eine einzige straffe trommelfellartige Fläche, die seither anatomisch als Ohr bezeichnet wurde, obwohl sie in unserer dichteren Luft fast nutzlos gewesen sein muss. In einer Gruppe um die Mundöffnung herum hingen sechzehn zarte, fast peitschenartige Tentakeln herab, auf jeder Seite zwei Büschel zu acht. Diese Büschel wurden seither von dem ausgezeichneten Anatomen, Professor Howes, sehr zutreffend »Hände« genannt. Schon als ich diese Marsleute zum ersten Male sah, machte es mir den Anschein, als bemühten sie sich, mithilfe dieser Hände sich aufzurichten. Aber infolge des vergrößerten Gewichtes in der Erdatmosphäre war es ihnen natürlich unmöglich. Es ist Grund genug für die Annahme vorhanden, dass sie sich auf dem Mars mit ziemlich großer Leichtigkeit auf ihnen fortbewegen konnten.
Der Bau ihres