H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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lang teil­te ich sei­nen Schre­cken. Sei­ne Ge­bär­den deu­te­ten sei­nen Ver­zicht auf die Mau­er­spal­te an, und nach ei­ner Wei­le mach­te mei­ne Neu­gier­de mir Mut; ich er­hob mich, stieg über ihn hin­weg und klet­ter­te hin­auf. An­fangs konn­te ich kei­nen Grund für sein Ent­set­zen ent­de­cken. Die Däm­me­rung war nun an­ge­bro­chen, oben schie­nen klei­ne, blas­se Ster­ne, aber die Gru­be war er­hellt von dem fla­ckern­dem grü­nen Feu­er, das von der Alu­mi­ni­um­be­rei­tung her­rühr­te. Das gan­ze Bild war ein Ge­men­ge fla­ckern­der Strah­len und auf- und nie­der­glei­ten­der, schwar­zer Schat­ten, selt­sam ver­wir­rend für das Auge. Dar­über­hin und zwi­schen­hin­ein flo­gen un­be­irrt die Fle­der­mäu­se. Die sich rä­keln­den Mars­leu­te wa­ren nicht mehr zu se­hen, die Wol­ke blau­grü­nen Pul­vers war schon hoch ge­nug ge­stie­gen, um sie un­se­ren Bli­cken zu ent­zie­hen. Eine Kriegs­ma­schi­ne stand mit zu­sam­men­ge­klapp­ten, ein­ge­zo­ge­nen und ver­kürz­ten Bei­nen jen­seits der Gru­be. Und mit­ten im Ge­tö­se des ar­bei­ten­den Ma­schi­nen­werks glaub­te ich plötz­lich, einen lei­sen Laut von mensch­li­chen Stim­men zu hö­ren, ein Ver­dacht, den ich heg­te, um ihn so­fort wie­der auf­zu­ge­ben.

      Ich bück­te mich nie­der, um die Kriegs­ma­schi­ne schär­fer ins Auge zu fas­sen, und über­zeug­te mich jetzt zum ers­ten Mal, dass die Hau­be wirk­lich einen Mars­mann ent­hielt. Als die grü­nen Flam­men auf­fuh­ren, konn­te ich den öli­gen Glanz sei­ner Ober­haut und das Leuch­ten sei­ner Au­gen wahr­neh­men. Plötz­lich hör­te ich einen gel­len­den Schrei und sah einen weit­ge­dehn­ten Füh­ler über die Schul­ter der Ma­schi­ne hin zu dem klei­nen Kä­fig lan­gen, der auf ih­rem Rücken las­te­te. Und dann wur­de et­was — et­was hef­tig sich Sträu­ben­des — hoch in die Luft em­por­ge­ho­ben, ein vom Ster­nen­licht sich dun­kel und un­klar ab­he­ben­des, rät­sel­haf­tes Ding. Und als die­ser schwar­ze Ge­gen­stand wie­der her­un­ter­kam, sah ich bei dem grü­nen Schein, dass es ein Mensch war. Ei­nen Au­gen­blick lang war er ganz deut­lich sicht­bar. Es war ein stäm­mi­ger, blü­hend aus­se­hen­der, gut ge­klei­de­ter Mann in mitt­le­ren Jah­ren; drei Tage vor­her moch­te er, ein Mann von be­trächt­li­chem An­se­hen, durchs Le­ben ge­wan­dert sein. Ich konn­te sei­ne star­ren Au­gen se­hen und be­mer­ken, wie die Licht­strah­len in sei­nen Hemd­knöp­fen und sei­ner Uhr­ket­te spiel­ten. Er ver­schwand hin­ter dem Hü­gel und einen Au­gen­blick lang herrsch­te völ­li­ges Schwei­gen. Dann hör­te man durch­drin­gen­de Schreie und das lang­ge­zo­ge­ne Freu­den­ge­heul der Mars­leu­te.

      Ich glitt das Ge­röll hin­ab, rich­te­te mich müh­sam auf, leg­te bei­de Hän­de an die Ohren und stürz­te in die Wasch­kam­mer. Der Ku­rat, der mit den Ar­men sei­nen Kopf um­klam­mernd, schwei­gend zu­sam­men­ge­kau­ert da­ge­s­es­sen hat­te, sah auf, als ich an ihm vor­bei­kam, schrie laut auf, als ich ihn ver­ließ und rann­te mir nach.

      In die­ser Nacht, als wir in der Wasch­kam­mer kau­er­ten, und un­se­re Emp­fin­dun­gen zwi­schen Ent­set­zen und der furcht­ba­ren An­zie­hungs­kraft des Guck­lo­ches ge­teilt wa­ren, keim­te in mir der hef­ti­ge Wunsch zu han­deln auf. Aber ich müh­te mich ver­geb­lich ab, einen Ret­tungs­plan zu ent­wer­fen. Spä­ter aber, am zwei­ten Tage, war ich fä­hig, un­se­re Lage mit großer Klar­heit zu über­den­ken. Der Ku­rat, das sah ich, war nicht ein­mal zu ei­ner Be­spre­chung zu brau­chen; un­ge­kann­te Schre­cken hat­ten ihn in ein Ge­schöpf mit wil­den Ein­ge­bun­gen ver­wan­delt, hat­ten ihn sei­nes Ver­stan­des, sei­ner Denk­fä­hig­keit be­raubt. Er war in Wahr­heit schon zum Tier her­ab­ge­sun­ken. Ich aber fass­te, wie eine Re­dens­art lau­tet, mich selbst mit bei­den Hän­den an. Jetzt, da ich die raue Wirk­lich­keit mit Hän­den grei­fen konn­te, fass­te der Ge­dan­ke, dass, so schreck­lich un­se­re Lage auch war, wir doch noch kein Recht zu völ­li­ger Verzweif­lung hät­ten, bes­ser Wur­zel in mei­ner See­le. Un­se­re nächst­lie­gen­de Hoff­nung zu ent­rin­nen, war in der Er­war­tung be­grün­det, dass die Mars­leu­te in der Gru­be nur vor­über­ge­hend ihr La­ger auf­ge­schla­gen hät­ten. Oder, im Fall, dass sie es für be­stän­dig be­zo­gen hät­ten, wür­den sie es doch nicht für not­wen­dig er­ach­ten, es stets zu be­wa­chen; und so könn­te sich uns doch eine Mög­lich­keit der Flucht bie­ten. Ich er­wog auch sehr ernst­lich den Plan, uns von der Gru­be weg einen un­ter­ir­di­schen Gang zu gra­ben, aber die Mög­lich­keit, beim Auftau­chen ei­ner Wa­che ste­hen­den Kriegs­ma­schi­ne zu Ge­sicht zu kom­men, schi­en mir an­fangs doch zu er­schre­ckend. Zu al­lem Üb­ri­gen hät­te ich auch die gan­ze Gra­be­ar­beit al­lein zu ver­rich­ten ge­habt. Der Ku­rat hät­te mich si­cher­lich im Stich ge­las­sen.

      Wenn mich mein Ge­dächt­nis nicht trügt, war es am drit­ten Tage, dass ich die Tö­tung je­nes ar­men Teu­fels mit an­se­hen muss­te. Es war das ein­zi­ge Mal, dass ich die Mars­leu­te Nah­rung auf­neh­men sah. Nach die­sem Er­leb­nis ver­mied ich das Loch in der Mau­er wäh­rend des größ­ten Teils des Ta­ges. Ich be­gab mich in die Wasch­kam­mer, häng­te die Tür aus, und brach­te ei­ni­ge Stun­den da­mit zu, so ge­räusch­los wie mög­lich, mit mei­nem Beil zu gra­ben; aber als ich ein etwa zwei Fuß tie­fes Loch ge­gra­ben hat­te, fiel die lo­cke­re Erde wie­der pol­ternd zu­sam­men und ich wag­te nicht, die Ar­beit fort­zu­set­zen. Ich ver­lor al­len Mut und leg­te mich für eine lan­ge Zeit auf den Bo­den der Wasch­kam­mer, und hat­te nicht ein­mal mehr die Kraft, mich zu be­we­gen. Und von nun an gab ich den Ge­dan­ken, durch einen aus­ge­höhlten Gang zu ent­kom­men, auf.

      Für den Ein­druck, den die Mars­leu­te auf mich ge­macht hat­ten, ist es sehr be­zeich­nend, dass ich an­fangs we­nig oder viel­mehr gar nicht dar­an dach­te, einen Weg zur Ret­tung dar­in zu er­bli­cken, dass un­se­re Fein­de etwa durch einen mensch­li­chen An­griff über­wäl­tigt wer­den könn­ten. Aber in der vier­ten oder fünf­ten Nacht hör­te ich einen Lärm wie star­kes Ge­schütz­feu­er.

      Es war sehr spät nachts, und der Mond schi­en hell. Die Mars­leu­te hat­ten die Aus­höh­le­ma­schi­ne ent­fernt; und ab­ge­se­hen von ei­ner Kriegs­ma­schi­ne, die an dem ent­fern­te­ren Rand der Gru­be stand, und ei­ner He­be­ma­schi­ne, die mei­nen Bli­cken ver­bor­gen in ei­ner Ecke der Gru­be un­mit­tel­bar un­ter mei­nem Guck­loch ge­schäf­tig ar­bei­te­te, war der Platz ver­las­sen.

      Von der He­be­ma­schi­ne tanz­te ein blas­ser Schim­mer aus und das Licht des Mon­des schi­en auf die Stan­gen und auf ei­ni­ge Stel­len des Erd­reichs. Sonst war die Gru­be in Dun­kel­heit gehüllt und ganz still. Nur das Geräusch der He­be­ma­schi­ne war zu hö­ren. Es war eine wun­der­voll hei­te­re Nacht; nur mit ei­nem Stern teil­te der Mond sei­ne Herr­schaft über den Him­mel. Ich hör­te einen Hund heu­len und die­ser ver­trau­te Laut be­stimm­te mich, hin­aus­zu­lau­schen. Da hör­te ich ganz deut­lich ein Dröh­nen, ge­nau so, wie den Don­ner schwe­rer Ge­schüt­ze. Ich zähl­te deut­lich sechs Schüs­se und nach ei­ner lan­gen Un­ter­bre­chung wie­der sechs. Und das war al­les.

      IV. Der Tod des Kuraten

      Es war am sechs­ten Tage un­se­rer Ge­fan­gen­schaft. Ich warf noch einen letz­ten Blick durch das Guck­loch und als ich mich um­wand­te, fand ich mich al­lein. Statt sich dicht an mich zu hal­ten und zu ver­su­chen, mich von der Spal­te weg­zu­drän­gen, war der Ku­rat in die Wasch­kam­mer zu­rück­ge­gan­gen. Ein Ver­dacht schoss durch mei­nen Kopf. Ich ging schnell und lei­se in die Wasch­kam­mer. In der Dun­kel­heit hör­te ich den Ku­ra­ten trin­ken. Ich griff aufs Ge­ra­te­wohl ins Dunkle und mei­ne Fin­ger be­ka­men eine Bur­gun­der­fla­sche


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