H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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Der Mars­mann ver­stand sich auf Tü­ren!

      Eine Mi­nu­te viel­leicht han­tier­te es am Ver­schluss, und dann ging die Tür auf.

      In der Dun­kel­heit konn­te ich das Ding ge­ra­de noch se­hen — mehr als al­lem an­de­ren glich es ei­nem Ele­fan­ten­rüs­sel — es zün­gel­te nach mir und tas­te­te prü­fend an der Mau­er, an den Koh­len, am Holz und an der De­cke um­her. Es sah aus wie ein schwar­zer Wurm, der sei­nen blin­den Kopf hin- und her­be­wegt.

      Und ein­mal be­rühr­te es die Fer­se mei­nes Stie­fels. Ich war nahe dar­an zu schrei­en; ich biss mir in die Hand. Eine Zeit lang blieb es ru­hig. Ich hät­te glau­ben kön­nen, dass es sich schon ent­fernt habe. Plötz­lich aber, mit ei­nem un­ver­mu­te­ten Vor­stoß, griff es nach et­was — ich dach­te zu­erst nach mir! — und schi­en wie­der aus dem Kel­ler hin­aus­zu­ge­hen. Eine Mi­nu­te lang war ich mei­ner Sa­che nicht si­cher. Of­fen­bar hat­te es ein Stück Koh­le er­fasst, um es zu prü­fen.

      Ich be­nütz­te die Ge­le­gen­heit, um mei­ne Lage ein we­nig zu ver­än­dern, denn ich hat­te Krampf in den Fü­ßen. Dann lausch­te ich wie­der und flüs­ter­te hei­ße Ge­be­te um Ret­tung. Dann hör­te ich das lang­sa­me, be­däch­ti­ge Geräusch wie­der, wie es mir im­mer nä­her kam. All­mäh­lich und lei­se kam es dicht an mich her­an und tapp­te die Mau­er und die Ein­rich­tungs­stücke ent­lang.

      Wäh­rend ich noch zwei­fel­te, sprang es rasch zur Kel­ler­tür und schloss sie. Ich hör­te es, wie es in die Spei­se­kam­mer schlich. Die Zwie­back­büch­sen klirr­ten, und eine Fla­sche brach in Stücke. Dann kam ein hef­ti­ger Schlag ge­gen die Kel­ler­tür. Dann war es still — und die Stil­le wur­de mir eine nicht en­den wol­len­de Zeit höchs­ter An­span­nung.

      War es fort?

      End­lich war ich da­von über­zeugt.

      Es kam nicht mehr in die Wasch­kam­mer; aber den gan­zen zehn­ten Tag lag ich in der sti­cki­gen Dun­kel­heit, un­ter Koh­len und Brenn­holz ver­gra­ben, und wag­te nicht ein­mal, mir einen Trunk zu ho­len, nach dem ich lechz­te. Schon war der elf­te Tag an­ge­bro­chen, als ich mich erst aus mei­nem Schlupf­win­kel her­vor­wag­te.

      1 Bria­reus, der hun­dert­ar­mi­ge Ti­tan der grie­chi­schen Göt­ter­sa­ge <<<

      V. Die Stille

      Mei­ne ers­te Hand­lung, be­vor ich in die Spei­se­kam­mer ging, war die Tür zwi­schen Kü­che und Wasch­kam­mer zu schlie­ßen. Doch die Spei­se­kam­mer war leer; je­der Bis­sen Es­sen war ver­schwun­den. Of­fen­bar hat­te der Mars­mann am vor­her­ge­hen­den Tag al­les fort­ge­nom­men. Bei die­ser Ent­de­ckung er­fass­te mich zum ers­ten Mal die Verzweif­lung. We­der am elf­ten noch am zwölf­ten Tage ge­noss ich Spei­se und Trank.

      Erst trock­ne­ten mir Mund und Keh­le völ­lig aus, und mei­ne Kräf­te nah­men merk­lich ab. Ich saß hilf­los in der Dun­kel­heit der Wasch­kam­mer in ei­nem Zu­stand mut­lo­sen Elends. Mei­ne Ge­dan­ken be­schäf­tig­ten sich un­aus­ge­setzt mit dem Es­sen. Ich glaub­te, taub ge­wor­den zu sein, denn die ge­schäf­ti­gen Geräusche, die ich von der Gru­be her zu hö­ren ge­wohnt war, hat­ten voll­stän­dig auf­ge­hört. Ich fühl­te mich nicht stark ge­nug, um ge­räusch­los zum Guck­loch zu krie­chen; ich hät­te es sonst ge­wiss ge­tan.

      Am zwölf­ten Tage schmerz­te mich mein Hals der­art, dass ich selbst auf die Ge­fahr hin, die Auf­merk­sam­keit der Mars­leu­te auf mich zu len­ken, mich auf die knar­ren­de Re­gen­was­ser­pum­pe stürz­te, die ne­ben der Senk­gru­be stand, und mir ein paar Glas voll ge­schwärz­ten und schmut­zi­gen Re­gen­was­sers ver­schaff­te. Ich füh­le mich nun über­aus er­frischt und durch die Tat­sa­che er­mu­tigt, dass kein spü­ren­der Ten­ta­kel dem Geräusch folg­te, das ich beim Pum­pen mach­te.

      Wäh­rend die­ser Tage muss­te ich viel an den Ku­ra­ten und an die Art sei­nes To­des den­ken; aber mei­ne Ge­dan­ken wa­ren un­klar und hat­ten nur we­nig Zu­sam­men­hang.

      Am drei­zehn­ten Tage trank ich wie­der et­was Was­ser und mach­te mir aben­teu­er­li­che Ge­dan­ken über Es­sen und alle mög­li­chen und un­mög­li­chen Flucht­plä­ne. So oft ich ein­sch­lief, quäl­ten mich furcht­ba­re Wahn­vor­stel­lun­gen, ein­mal vom Tod des Ku­ra­ten, dann wie­der von üp­pi­gen Ge­la­gen. Aber wa­chend und schla­fend emp­fand ich einen hef­ti­gen Schmerz, der mich zwang, im­mer wie­der zu trin­ken. Das Licht, das jetzt in den Wasch­raum drang, war nicht mehr grau, son­dern rot. Mei­ner ver­wirr­ten Ein­bil­dungs­kraft schi­en es die Far­be des Blu­tes.

      Am vier­zehn­ten Tage ging ich in die Kü­che und sah zu mei­ner Über­ra­schung, dass die Zwei­ge des ro­ten Ge­wäch­ses ge­ra­de über die Mau­er­öff­nung ge­wach­sen wa­ren und so das Däm­mer­licht des Rau­mes in eine kar­me­sin­ro­te Fins­ter­nis ver­wan­delt hat­ten.

      Früh­mor­gens am fünf­zehn­ten Tage hör­te ich eine selt­sa­me, aber ver­trau­te Auf­ein­an­der­fol­ge von Lau­ten in der Kü­che, und auf­hor­chend er­kann­te ich das Schnüf­feln und Schar­ren ei­nes Hun­des. Als ich in die Kü­che ging, sah ich die Nase ei­nes Hun­des, wie sie an ei­ner Mau­er­lücke durch die röt­li­chen Zwei­ge her­ein­schnüf­fel­te. Das über­rasch­te mich au­ßer­or­dent­lich. Als der Hund mich wit­ter­te, bell­te er kurz auf.

      Wenn ich ihn be­we­gen könn­te, lei­se her­ein­zu­kom­men, so hoff­te ich fä­hig zu sein, ihn viel­leicht zu tö­ten und zu ver­zeh­ren. Auf alle Fäl­le aber wäre es ge­ra­ten ge­we­sen, ihn um­zu­brin­gen, da­mit sei­ne Be­we­gun­gen nicht die Auf­merk­sam­keit der Mars­leu­te auf mich zie­hen konn­ten.

      Ich schlich mich zu ihm und rief schmei­chelnd: »Gu­ter Hund!« Er aber zog auf der Stel­le sei­nen Kopf zu­rück und ver­schwand.

      Ich lausch­te — ich war ja nicht taub — aber, da war kein Zwei­fel mög­lich, die Gru­be war still. Ich ver­nahm Lau­te, wie das Flat­tern von Vo­gel­schwin­gen und ein hei­se­res Kräch­zen, und das war al­les.

      Lan­ge Zeit lag ich dicht am Guck­loch, aber ich wag­te nicht, die ro­ten Pflan­zen zur Sei­te zu drän­gen, die es ver­dun­kel­ten. Ein oder zwei Mal hör­te ich ein lei­ses Ge­trip­pel von den Fü­ßen des Hun­des, der tief un­ter mir auf dem Sand hin- und her­lief, dann wie­der Geräusche, die von Vö­geln her­rühr­ten, aber das war al­les. End­lich, er­mu­tigt durch die an­hal­ten­de Stil­le, blick­te ich hin­aus.

      Au­ßer in der Ecke, wo eine Men­ge von Krä­hen um­her­hüpf­ten und sich um die Ge­rip­pe der To­ten zank­ten, wel­che die Mars­leu­te ver­zehrt hat­ten, war kein le­ben­des We­sen in der Gru­be zu se­hen.

      Ich starr­te um mich und trau­te kaum mei­nen Au­gen. Sämt­li­che Ma­schi­nen wa­ren ver­schwun­den. Ab­ge­se­hen von dem großen Hü­gel gräu­lich­blau­en Pul­vers in ei­ner Ecke, ei­ner An­zahl Alu­mi­ni­um­stan­gen in ei­ner an­de­ren, den schwar­zen Vö­geln und den Ge­rip­pen der Ge­mor­de­ten, war der gan­ze Platz nichts als eine lee­re kreis­run­de Sand­gru­be.

      Ich ließ mich lang­sam durch das rote Ge­strüpp hin­ab­glei­ten und stand jetzt auf dem Schutt­hau­fen. Au­ßer hin­ter mich nach Nor­den konn­te ich in jede Rich­tung bli­cken. Und weit und breit war we­der ein Mars­mann noch das An­zei­chen ei­nes Mars­man­nes zu er­bli­cken. Zu mei­nen Fü­ßen fiel die Gru­be jäh ab; aber als ich et­was


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