H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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Zeit­schrift, die 1841 in Lon­don be­grün­det wur­de <<<

      4 Sch­ling­pflan­ze <<<

      III. Die Tage der Gefangenschaft

      Die An­kunft ei­ner zwei­ten Kriegs­ma­schi­ne trieb uns von un­se­rem Guck­loch in die Wasch­kam­mer zu­rück, denn wir fürch­te­ten, dass der Mars­mann von sei­ner Höhe her­ab uns hin­ter un­se­rer Schan­ze zu Ge­sicht be­kom­men könn­te. Mit der Zeit aber ver­lo­ren wir wie­der das Ge­fühl der Ge­fahr, er­blickt zu wer­den; denn ei­nem Auge im blen­den­den Glan­ze des Son­nen­lich­tes muss­te un­ser Ver­steck als tief­schwar­ze Nacht er­schei­nen. Aber an­fangs trieb uns schon der lei­ses­te Arg­wohn ei­ner An­nä­he­rung un­ter Herz­klop­fen in un­se­ren Zuf­luchts­ort, in die Wasch­kam­mer, zu­rück. Aber so schreck­lich die Ge­fah­ren wa­ren, die rings um uns lau­er­ten, die Ver­su­chung, durch die Mau­er­spal­te zu bli­cken, war un­wi­der­steh­lich. Und es nimmt mich heu­te wun­der, wenn ich mich er­in­ne­re, wie wir trotz der un­end­li­chen Ge­fahr, in der wir schweb­ten, auf der einen Sei­te ver­hun­gern, auf der an­de­ren ein noch grau­en­vol­ler­er Tod, hef­tig mit­ein­an­der um das schreck­li­che Vor­recht, hin­aus­bli­cken zu dür­fen, strei­ten konn­ten. Wir konn­ten um die Wet­te durch die Kü­che lau­fen, in ei­nem ganz aben­teu­er­li­chen Lauf­schritt, der zwi­schen Ei­fer und der Furcht, Lärm zu ma­chen, die Mit­te hielt, wir konn­ten uns schla­gen, mit Fäus­ten und Fü­ßen uns ge­gen­sei­tig sto­ßen — und das al­les nur durch ei­ni­ge Zoll breit vor Ent­de­ckung ge­si­chert.

      Tat­sa­che ist, dass wir bei­de ganz un­ver­ein­ba­re Ver­an­la­gun­gen und Ge­wohn­hei­ten im Den­ken und Han­deln hat­ten, und dass die Ge­fahr und un­se­re Ein­schlie­ßung die­se Un­ver­ein­bar­keit nur ver­schärf­ten. Schon in Hal­li­ford war mir des Ku­ra­ten al­ber­ne Art, in ta­ten­lo­se Kla­gen aus­zu­bre­chen, die blöd­sin­ni­ge Ver­bohrt­heit sei­nes Cha­rak­ters ver­hasst ge­wor­den. Sei­ne end­lo­sen, im Mur­mel­ton ge­spro­che­nen Selbst­ge­sprä­che mach­ten jede Mühe, die ich mir gab, einen Flucht­plan zu ent­wer­fen, zu­nich­te, und trie­ben mich, durch die Ge­fan­gen­schaft dop­pelt ge­reizt, wie ich war, manch­mal an den Rand des Wahn­sinns. Wie ein hys­te­ri­sches Weib war er un­fä­hig, sich den ge­rings­ten Zwang an­zu­tun. Er konn­te stun­den­lang vor sich hin­wei­nen, und ich glau­be wahr­haf­tig, dass die­ses vom Schick­sal ver­zo­ge­ne Kind sei­ne elen­den Trä­nen nach ir­gend ei­ner Art hin für wirk­sam hielt. Und ich saß in der Fins­ter­nis, durch sei­ne Zu­dring­lich­kei­ten au­ßer­stan­de, mei­ne Ge­dan­ken von ihm ab­zu­len­ken. Er aß mehr als ich. Und es war ganz ver­geb­lich, ihm be­greif­lich zu ma­chen, dass die ein­zi­ge Hoff­nung, mit dem Le­ben da­von­zu­kom­men, dar­in lag, so­lan­ge in die­sem Hau­se zu blei­ben, bis die Mars­leu­te mit ih­rer Gru­be fer­tig ge­wor­den wä­ren; es war ver­geb­lich, ihn zu war­nen, dass wäh­rend die­ser lan­gen Ge­duld­pro­be wohl eine Zeit kom­men kön­ne, in der wir drin­gend der Nah­rung be­dür­fen wür­den. Er aß und trank, wann es ihm ge­ra­de be­hag­te, in sehr aus­gie­bi­gen Mahl­zei­ten, wenn auch in lan­gen Zwi­schen­räu­men. Er schlief we­nig.

      Als die Tage ka­men und gin­gen, er­höh­ten sei­ne ganz un­glaub­li­che Sorg­lo­sig­keit und sei­ne Rück­sichts­lo­sig­keit un­se­re Not­la­ge und un­se­re Ge­fahr der­art, dass ich, so sehr ich es auch ver­ab­scheu­te, erst zu Dro­hun­gen, end­lich zu Schlä­gen mei­ne Zuf­lucht neh­men muss­te. Das brach­te ihn eine Zeit lang zur Ver­nunft. Aber er ge­hör­te zu je­nen von Tücke und Ver­schla­gen­heit er­füll­ten Schwäch­lin­gen, die, je­des Stol­zes bar, fei­ge, fisch­blü­tig und ge­häs­sig, nicht Gott, nicht den Men­schen, nicht ein­mal sich selbst Re­chen­schaft ge­ben kön­nen.

      Es ist mir un­an­ge­nehm, alle die­se Din­ge mir wie­der ins Ge­dächt­nis zu­rück­zu­ru­fen und sie nie­der­zu­schrei­ben, aber ich muss es der Lücken­lo­sig­keit mei­nes Be­rich­tes hal­ber tun. Jene, wel­che von den düs­te­ren und furcht­ba­ren Sei­ten des Le­bens ver­schont ge­blie­ben sind, wer­den schnell ge­nug bei der Hand sein, mei­ne Ge­walt­tä­tig­keit und mei­ne Wut­aus­brü­che am Ende un­se­res Trau­er­spie­les zu ver­dam­men; denn bes­ser als je­der­mann wis­sen sie, was ta­delns­wert ist, aber nicht, was ein ge­fol­ter­ter Mensch zu tun fä­hig ist. Jene aber, die »ge­wan­dert sind im dunklen Tal«, wel­che bis zum Ur­grund der Din­ge hin­ab­ge­stie­gen sind, die wer­den ihre Her­zen wei­ter dem Mit­leid öff­nen.

      Und wäh­rend wir drin­nen un­se­ren düs­te­ren, schat­ten­haf­ten, ge­flüs­ter­ten Kampf aus­foch­ten, un­ter Schlä­gen und mit ge­ball­ten Fäus­ten um Spei­se und Trank kämpf­ten, voll­zog sich drau­ßen im un­barm­her­zi­gen Son­nen­brand je­nes schre­ckens­vol­len Juni das selt­sa­me Wun­der des fremd­ar­ti­gen Ge­trie­bes der Mars­leu­te in der Gru­be. Man er­lau­be mir, zu je­nen, mei­nen ers­ten, neu­en Er­leb­nis­sen zu­rück­zu­keh­ren. Nach lan­ger Zeit wag­te ich mich wie­der an das Guck­loch und sah, dass die frem­den Gäs­te durch die Be­sat­zung von nicht we­ni­ger als drei Kriegs­ma­schi­nen ver­stärkt wa­ren. Die­se hat­ten wie­der eine An­zahl neu­er Werk­zeu­ge mit­ge­bracht, die in ei­ner ge­wis­sen Ord­nung um den Zy­lin­der her­um­stan­den. Die zwei­te He­be­ma­schi­ne war jetzt fer­tig und eif­rig da­mit be­schäf­tigt, eine je­ner neu­ar­ti­gen Er­fin­dun­gen zu be­die­nen, wel­che die große Ma­schi­ne mit­ge­bracht hat­te. Das neue Werk­zeug glich in sei­nen all­ge­mei­nen Li­ni­en ei­ner Milch­kan­ne, über dem ein, in schwin­gen­der Be­we­gung be­find­li­cher, bir­nen­för­mi­ger Be­häl­ter an­ge­bracht war, von dem ein Strom wei­ßen Pul­vers sich in ein kreis­run­des Be­cken er­goss.

      Die schwin­gen­de Be­we­gung des Be­häl­ters wur­de von ei­nem Tas­ter der He­be­ma­schi­ne her­vor­ge­ru­fen. Mit zwei an­de­ren spa­ten­ar­ti­gen Hän­den grub die He­be­ma­schi­ne große Men­gen Lehm aus und warf sie in das bir­nen­för­mi­ge Be­hält­nis hin­auf, wäh­rend sie mit ei­nem an­de­ren Arm von Zeit zu Zeit eine Tür öff­ne­te, die im Rumpf der Ma­schi­ne an­ge­bracht war, und ros­ti­ge und ge­schwärz­te Schla­cken dar­aus ent­fern­te. Ein an­de­res stäh­ler­nes Tast­werk­zeug lei­te­te das Pul­ver aus dem Be­cken durch einen ge­ripp­ten Kanal in einen an­de­ren Be­häl­ter, der durch eine Wol­ke bläu­li­chen Staubs sich mei­nen Bli­cken ent­zog. Aus die­sem un­sicht­ba­ren Be­häl­ter stieg ein dün­ner Fa­den grü­nen Rau­ches ker­zen­ge­ra­de in die stil­le Luft auf. Wäh­rend ich so hin­blick­te, streck­te die He­be­ma­schi­ne un­ter ei­nem lei­sen mu­si­ka­li­schen Ge­klirr nach der Art ei­nes Te­le­sko­pen einen Tas­ter aus, der noch einen Au­gen­blick vor­her mir bloß wie ein stump­fer Aus­läu­fer der Ma­schi­ne er­schie­nen war. Sein Ende war nun hin­ter dem Lehm­hau­fen ver­schwun­den. In der nächs­ten Se­kun­de hat­te er eine Stan­ge wei­ßen Alu­mi­ni­ums her­aus­ge­ho­ben, die in fle­cken­lo­sem und leuch­ten­dem Glanz schi­en, und leg­te sie auf einen sicht­lich wach­sen­den Hau­fen von Stan­gen, der sich ne­ben der Gru­be be­fand. Zwi­schen Son­nen­un­ter­gang und Ster­nen­licht muss die­se kunst­vol­le Ma­schi­ne mehr als hun­dert sol­cher Stan­gen aus dem ro­hen Lehm ver­fer­tigt ha­ben, und die Wol­ke bläu­li­chen Staubs wuchs all­mäh­lich an, bis sie den Rand der Gru­be er­reich­te.

      Der Ge­gen­satz zwi­schen den ra­schen


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