H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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üp­pi­gen, schat­ti­gen Bäu­men. Jetzt stand ich auf ei­nem Hau­fen zer­schell­ten Zie­gel­werks, Lehms und Kie­sels, über den eine Un­men­ge ro­ten kak­tus­ar­ti­gen Ge­wäch­ses wu­cher­te. Es wuchs in Knie­hö­he, und nicht eine ein­zi­ge ir­di­sche Pflan­ze mach­te ihm den Bo­den strei­tig. Die Bäu­me in mei­ner Nähe wa­ren er­stor­ben und braun, aber wei­ter­hin um­zün­gel­te ein Netz­werk ro­ter Fä­den die noch le­ben­den Stäm­me.

      Die be­nach­bar­ten Häu­ser wa­ren alle zer­stört wor­den, kei­nes aber war nie­der­ge­brannt. Die Mau­ern stan­den bis­wei­len noch bis zum zwei­ten Stock­werk, aber die Fens­ter wa­ren alle zer­schmet­tert und die Tore zer­trüm­mert. Das rote Ge­wächs wu­cher­te üp­pig in den dach­lo­sen Stu­ben. Un­ter mir wa­ren die große Gru­be und die Krä­hen, die um die Ab­fäl­le zank­ten. Eine An­zahl an­de­rer Vö­gel hüpf­te zwi­schen den Trüm­mern um­her. Wei­ter weg sah ich eine aus­ge­mer­gel­te Kat­ze, die eine Mau­er ent­lang­sch­lich, von Men­schen aber war nir­gends eine Spur zu ent­de­cken.

      Der Tag schi­en, im Ge­gen­satz zu mei­ner eben über­stan­de­nen Ein­ker­ke­rung, blen­dend hell, der Him­mel strahl­te in un­ge­trüb­tem Blau. Ein sanf­tes Lüft­chen hielt das rote Ge­wächs, das je­des Stück­chen un­be­nütz­ten Bo­dens be­deck­te, in sanf­ter Be­we­gung. Und wel­ches Ent­zücken war es mir, wie­der fri­sche Luft zu at­men!

      VI. Das Werk von fünfzehn Tagen

      Eine Zeit lang stand ich wan­kend auf dem Hü­gel, ohne an mei­ne Si­cher­heit zu den­ken. Als ich noch in je­ner wi­der­wär­ti­gen Höh­le lag, aus der ich eben her­aus­ge­kom­men war, hat­te ich alle mei­ne Sin­ne nur dar­auf ge­rich­tet, mich über­haupt nur zu ret­ten. Das, was in der Welt vor­ge­gan­gen war, hat­te ich nicht in Er­wä­gung ge­zo­gen, noch hat­te ich den sinn­ver­wir­ren­den An­blick die­ser völ­lig un­be­kann­ten Er­schei­nun­gen er­war­ten kön­nen. Ich war dar­auf vor­be­rei­tet, Sheen in Trüm­mern zu se­hen — aber was ich jetzt sah, war die un­heim­li­che und düs­te­re Land­schaft ei­nes an­de­ren Pla­ne­ten.

      In die­sem Au­gen­blick wur­de ich von ei­ner Emp­fin­dung be­wegt, die sonst au­ßer­halb des Be­wusst­seins der Men­schen liegt, die aber die ar­men Tie­re, die wir be­herr­schen, nur zu gut ken­nen. Mir war zu Mute wie ei­nem Ka­nin­chen, das in sein Erd­loch schlüpft und sich nun plötz­lich ei­nem Dut­zend ge­schäf­ti­ger Ar­bei­ter ge­gen­über­sieht, die den Grund zu ei­nem Haus gra­ben. Ich merk­te die ers­ten An­zei­chen ei­nes Ge­fühls, das sich bald in großer Klar­heit mei­nem Geist mit­teil­te und mich vie­le Tage lang be­drücken soll­te: das Ge­fühl der Ent­thro­nung, die Über­zeu­gung, dass ich nicht län­ger ein Herr, son­dern ein Tier un­ter Tie­ren, un­ter der Fer­se der Mars­leu­te sei. Uns wür­de es nun ge­hen wie je­nen; wir muss­ten jetzt lau­ern und spä­hen, lau­fen und uns ver­ste­cken; die Macht des Men­schen und sei­ne Fä­hig­keit, Furcht ein­zu­flö­ßen, wa­ren von ihm ge­nom­men.

      Aber die­se selt­sa­men Vor­stel­lun­gen gin­gen so schnell vor­über, wie sie sich ge­bil­det hat­ten, und mein al­les be­herr­schen­des Ge­fühl war nach mei­ner lan­gen und trost­lo­sen Fas­ten­zeit der Hun­ger. In der Rich­tung, die von der Gru­be weg­führ­te, er­blick­te ich jen­seits ei­ner rot­be­wach­se­nen Mau­er ein Fleck­chen Gar­ten­grund, das nicht ver­schüt­tet war. Das war mir ein Fin­ger­zeig und ich ar­bei­te­te mich durch, knie­tief, manch­mal bis zum Hals ins rote Ge­wächs ver­strickt. Die Dich­te die­ses Ge­strüpps gab mir das trost­rei­che Ge­fühl, mich im Not­fall ver­ber­gen zu kön­nen. Die Mau­er war etwa sechs Fuß hoch, und als ich ver­such­te, sie zu er­klet­tern, sah ich, dass ich mich nicht auf ih­ren Rand hin­auf­schwin­gen konn­te. So ging ich nun an der Mau­er ent­lang, und ge­lang­te zu ei­ner Ecke, wo ein Stein­hau­fen es mir er­mög­lich­te, hin­auf­zu­klim­men und in den Gar­ten hin­ab­zuglei­ten. Ich fand ei­ni­ge jun­ge Zwie­bel, ein paar Gla­dio­len­knol­len und eine An­zahl un­rei­fer Rü­ben, die ich alle zu­sam­men­raff­te. Dann stieg ich über eine ge­bors­te­ne Mau­er hin­weg und ver­folg­te un­ter schar­lach- und kar­me­sin­ro­ten Bäu­men mei­nen Weg wei­ter nach Kew. Es war mir, als gin­ge ich auf ei­ner Stra­ße von rie­si­gen Bluts­trop­fen. Von zwei Ge­dan­ken war ich er­füllt: mir mehr Es­sen zu ver­schaf­fen und so bald und so weit mei­ne Kräf­te es mir er­laub­ten, aus die­sem fluch­be­la­de­nen, un­ir­di­schen Be­reich der Gru­be hin­aus­zu­kom­men.

      Et­was wei­ter­hin fand ich auf ei­nem Gras­p­latz eine An­zahl Schwäm­me, die ich gleich­falls ver­schlang; aber die­se kar­ge Nah­rung diente nur dazu, mei­nen Hun­ger zu schär­fen. Dann stieß ich auf eine brau­ne Flä­che flie­ßen­den, seich­ten Was­sers, dort, wo sonst Wie­sen wa­ren. Erst war ich über die­se Über­schwem­mung in ei­nem hei­ßen, tro­ckenen Som­mer über­rascht, aber dann ent­deck­te ich, dass sie von der ge­ra­de­zu tro­pi­schen Üp­pig­keit des ro­ten Ge­wäch­ses her­rühr­te. So­bald die­se au­ßer­or­dent­li­che Wu­cher­pflan­ze Was­ser be­rühr­te, wuchs sie mit ei­ner un­ver­gleich­li­chen Frucht­bar­keit ins Rie­sen­haf­te. Ihre Sa­men wur­den ein­fach in das Was­ser des Wey und der Them­se ge­schüt­tet, und ihre mit rei­ßen­der Schnel­lig­keit wach­sen­den, ti­ta­ni­schen Zwei­ge ließ bei­de Flüs­se so­fort aus ih­ren Ufern tre­ten.

      In Put­ney war die Brücke, wie ich spä­ter sah, in ei­nem Ge­wirr die­ses Un­krau­tes ganz ver­steckt und auch in Rich­mond er­gos­sen sich die Them­se­was­ser in ei­nem brei­ten und seich­ten Strom über die Wie­sen von Hamp­ton und Twi­cken­ham. Wie das Was­ser sich aus­brei­te­te, folg­te das Kraut ihm nach, bis die zer­stör­ten Land­häu­ser des Them­se­tals eine Zeit lang in die­sem ro­ten Mo­rast, des­sen Rand ich durch­such­te, ver­schwun­den wa­ren. Da­durch wur­de vie­les von dem Zer­stö­rungs­werk der Mars­leu­te ver­hüllt.

      Schließ­lich aber ging die­ses rote Ge­wächs fast eben­so rasch ein, wie es sich aus­ge­brei­tet hat­te. Eine krebs­ar­ti­ge Krank­heit, die, wie man an­nimmt, in der Wir­kung ge­wis­ser Bak­te­ri­en be­grün­det ist, er­fass­te und zer­stör­te es. Durch das Ge­setz der na­tür­li­chen Zucht­wahl ha­ben alle ir­di­schen Pflan­zen eine ge­wis­se Wi­der­stands­kraft ge­gen Bak­te­ri­en­krank­hei­ten ge­won­nen — we­nigs­tens er­lie­gen sie ih­nen nie ohne hef­ti­gen Kampf. Aber das rohe Ge­wächs ver­faul­te wie eine schon er­stor­be­ne Pflan­ze. Die Zwei­ge ver­blass­ten, schrumpf­ten zu­sam­men und wur­den sprö­de. Bei der lei­ses­ten Berüh­rung bra­chen sie ab, und das Was­ser, das ihr frü­hes Wachs­tum so an­ge­feu­ert hat­te, trug ihre letz­ten Spu­ren ins Meer hin­aus.

      Als ich zum Was­ser kam, war es selbst­ver­ständ­lich mein Ers­tes, mei­nen Durst zu lö­schen. Ich trank in vol­len Zü­gen, und, ei­ner plötz­li­chen Ein­ge­bung fol­gend, zer­biss ich ei­ni­ge Zwei­ge des ro­ten Ge­wäch­ses. Aber sie wa­ren wäss­rig und hat­ten einen gars­ti­gen, me­tal­li­schen Ge­schmack. Ich sah, dass das Was­ser seicht ge­nug war, um si­cher durch­wa­tet wer­den zu kön­nen, ob­wohl das rote Ge­wächs mei­ne Füße oft hin­der­te, fest auf­zu­tre­ten. Aber die Flut wur­de ge­gen den Fluss zu sicht­lich tiefer und ich muss­te wie­der in der Rich­tung nach Mort­la­ke um­keh­ren. Es ge­lang mir da­durch, dass ge­le­gent­li­che Trüm­mer von Land­häu­sern und He­cken und Lam­pen mir den Weg wie­sen, halb­wegs auf der Stra­ße zu blei­ben. So kam ich bald aus dem Über­schwem­mungs­ge­biet her­aus, ver­folg­te mei­nen Weg zu dem Hü­gel, der nach Roe­hamp­ton führt und ge­lang­te schließ­lich bei der Ge­mein­de­wie­se von Put­ney her­aus.

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