H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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Kör­pers bil­det, war bei den Mars­leu­ten über­haupt nicht vor­han­den. Sie wa­ren Köp­fe, nichts als Köp­fe. Sie hat­ten kei­ne Ein­ge­wei­de. Sie aßen nicht, brauch­ten also auch nicht zu ver­dau­en. Statt des­sen nah­men sie das fri­sche, le­ben­de Blut an­de­rer Ge­schöp­fe und führ­ten es in ihre ei­ge­nen Adern ein. Ich habe selbst ge­se­hen, wie das vor sich ging, und wer­de es an der ge­eig­ne­ten Stel­le mit­tei­len. Aber, so emp­find­lich es klin­gen mag, ich kann es nicht über mich brin­gen, das aus­führ­lich zu be­schrei­ben, was län­ger zu be­ob­ach­ten ich nicht im­stan­de war. Dies möge ge­nü­gen: das ei­nem noch le­ben­den ani­ma­li­schen We­sen, in den meis­ten Fäl­len ei­nem Men­schen, ent­zo­ge­ne Blut wur­de mit­tels ei­nes klei­nen Röhr­chens in den Auf­nah­me­ka­nal ein­ge­führt.

      Die blo­ße Vor­stel­lung die­ses Vor­gangs er­scheint uns ohne Zwei­fel grau­en­haft und ab­sto­ßend, aber wir soll­ten zu­gleich er­in­nern, wie wi­der­wär­tig un­se­re fleisch­fres­sen­den Ge­wohn­hei­ten ei­nem ver­nunft­be­gab­ten Ka­nin­chen er­schei­nen wür­den.

      Die phy­sio­lo­gi­schen Vor­tei­le die­ses Ge­brau­ches, Blut ein­zu­füh­ren, sind un­leug­bar, wenn man an die un­ge­heu­re Ver­geu­dung mensch­li­cher Zeit und mensch­li­cher Kräf­te denkt, die durch den Nah­rungs- und den Ver­dau­ungs­pro­zess ver­ur­sacht wird. Un­ser Kör­per be­steht zur Hälf­te auf Drü­sen und Röh­ren und Werk­zeu­gen, die da­mit be­schäf­tigt sind, an­ders­ge­ar­te­te Nah­rung in Blut zu ver­wan­deln. Die Be­schaf­fen­heit un­se­rer Ver­dau­ung und ihre Rück­wir­kung auf un­ser Ner­ven­sys­tem sau­gen un­se­re Kräf­te auf und ge­ben un­se­rer Ge­müts­art ihre Fär­bung. Die Leu­te sind glück­lich oder elend, je nach­dem ob sie eine hei­le oder kran­ke Le­ber oder ge­sun­de gast­ri­sche Drü­sen be­sit­zen. Die Mars­leu­te aber wa­ren über alle die­se Wech­sel­fäl­le in Stim­mun­gen und Emp­fin­dun­gen er­ha­ben.

      Ihre un­be­streit­ba­re Vor­lie­be für Men­schen als Quel­len ih­rer Er­näh­rung ist zum Teil er­klärt durch die Be­schaf­fen­heit der Über­bleib­sel je­ner Op­fer, die sie als Weg­zeh­rung vom Mars mit­ge­bracht hat­ten. So­weit man nach den ein­ge­schrumpf­ten Über­bleib­seln, die in mensch­li­che Hän­de fie­len, schlie­ßen kann, wa­ren die­se Ge­schöp­fe Zwei­fü­ßer mit brü­chi­gen, ver­tief­ten Kno­chen­ge­rüs­ten (ähn­lich de­nen kie­sel­hal­ti­ger Schwäm­me), von schwa­cher Mus­kel­bil­dung; sie wa­ren im Durch­schnitt sechs Fuß hoch, be­sa­ßen run­de, auf­rech­te Köp­fe und große Au­gen in schie­fer­ar­ti­gen Höh­len. Zwei oder drei von ih­nen schei­nen in je­dem Zy­lin­der mit­ge­bracht wor­den zu sein; alle wur­den ge­tö­tet, be­vor sie die Erde er­reich­ten. Für sie war es wohl eben­so gut, denn nur der blo­ße Ver­such, auf un­se­rem Stern auf­recht zu ste­hen, hät­te je­den Kno­chen in ih­ren Lei­bern ge­bro­chen.

      Weil ich schon dar­an bin, die­se Be­schrei­bung zu ma­chen, will ich noch an die­ser Stel­le ei­ni­ge wei­te­re Ein­zel­hei­ten hin­zu­fü­gen, die, wenn sie uns da­mals auch noch un­be­kannt wa­ren, doch den Le­ser, der mit dem Le­ben der Mars­leu­te nicht ver­traut ist, in den Stand set­zen wer­den, sich von die­sen ge­fähr­li­chen Ein­dring­lin­gen eine deut­li­che­re Vor­stel­lung zu ma­chen.

      In drei an­de­ren Punk­ten wich ihre Le­bens­wei­se selt­sam von der un­se­ren ab. Ihre Or­ga­nis­men schlie­fen eben­so we­nig wie das Herz des Men­schen schläft. Da sie nicht die Er­ho­lung von nen­nens­wer­ten, kör­per­li­chen An­stren­gun­gen wie­der­zu­er­lan­gen brauch­ten, war die­ses zeit­wei­li­ge Er­lö­schen ih­nen un­be­kannt. Das Ge­fühl der Er­mü­dung be­sa­ßen sie nur in ge­rin­gem Maße oder wahr­schein­lich gar nicht. Auf der Erde kön­nen sie sich nie ohne An­stren­gung be­wegt ha­ben, und doch wa­ren sie bis zum letz­ten Au­gen­blick in Tä­tig­keit. Wäh­rend vier­und­zwan­zig Stun­den ta­ten sie vier­und­zwan­zig­stün­di­ge Ar­beit, so­wie es auf Er­den viel­leicht bei den Amei­sen der Fall ist.

      Fer­ner, so wun­der­bar es in ei­ner ge­schlecht­li­chen Welt er­schei­nen mag, wa­ren die Mars­leu­te durch­aus ge­schlechts­los und da­her von all den hef­ti­gen Er­re­gun­gen frei, die in die­sem Un­ter­schied zwi­schen den Men­schen ih­ren Ur­sprung be­sit­zen. Es kann heu­te nicht mehr be­strit­ten wer­den, dass wäh­rend des Krie­ges ein Mars­kind auf der Erde ge­bo­ren wur­de; man fand es mit sei­nem Er­zeu­ger ver­wach­sen, teil­wei­se ab­knos­pend, ge­nau so wie klei­ne Li­li­en­zwie­bel ab­knos­pen oder die Jun­gen ei­nes Süß­was­ser­po­ly­pen.

      In die­sen Wor­ten, wenn gleich im Scherz nie­der­ge­schrie­ben, fin­det sich man­ches Wah­re; und hier bei den Mars­leu­ten ha­ben wir ohne Wi­der­re­de die tat­säch­li­che Er­fül­lung je­ner Un­ter­drückung der ani­ma­li­schen Sei­te des Or­ga­nis­mus durch die Ver­geis­ti­gung ge­fun­den. Es scheint mir ganz glaub­wür­dig, dass die Mars­leu­te von We­sen ab­stam­men mö­gen, die uns nicht un­ähn­lich wa­ren, und zwar durch die all­mäh­li­che Wei­ter­ent­wick­lung ih­rer Ge­hirn­tei­le und Hän­de (die Letz­te­ren nah­men end­lich die Ge­stalt je­ner zwei Bü­schel zar­ter Ten­ta­keln an) auf Kos­ten des üb­ri­gen Kör­pers. Ohne den Leib muss­te das Ge­hirn selbst­ver­ständ­lich ein bei Wei­tem selbst­süch­ti­ge­res Geis­tes­ver­mö­gen wer­den, als ohne die Ge­fühls­un­ter­la­ge des mensch­li­chen We­sens.

      Der drit­te sprin­gen­de


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