H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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Traum. Und, wer kann wis­sen, ob die Ver­nich­tung der Mars­leu­te nicht nur einen kur­z­en Auf­schub un­se­res end­li­chen Un­ter­gangs be­deu­tet? Vi­el­leicht ge­hört ih­nen, und nicht uns die Zu­kunft.

      Ich muss ge­ste­hen, dass die Auf­re­gung und die Not der Zeit in mei­ner See­le ein blei­ben­des Ge­fühl des Zwei­fels und der Un­si­cher­heit zu­rück­ge­las­sen ha­ben. Ich sit­ze in mei­nem Ar­beits­zim­mer, und schrei­be beim Schein der Lam­pe. Und plötz­lich sehe ich das wie­der auf­le­ben­de Tal, un­ten wie­der von zün­geln­den Flam­men er­füllt, und füh­le das Haus hin­ter mir, und um mich leer und ver­ödet. Ich gehe hin­aus auf die Byfleet Road, Fahr­zeu­ge ei­len an mir vor­über, ein Flei­scher­jun­ge in sei­nem Kar­ren, ein Wa­gen voll Be­su­cher, ein Ar­bei­ter auf sei­nem Zwei­rad, Kin­der, die zur Schu­le ge­hen – und plötz­lich wird al­les ver­schwom­men und un­wirk­lich, und wie­der keu­che ich mit dem Ar­til­le­ris­ten durch die hei­ße, brü­ten­de Stil­le. Und nachts sehe ich das schwar­ze Pul­ver, wie es die schwei­gen­den Stra­ßen ver­dun­kelt, und sehe die ver­zerr­ten Lei­chen im Stau­be lie­gen; sie stei­gen vor mir auf, zer­lumpt und von Hun­den zer­fleischt. Sie lal­len und dro­hen mir, wer­den bläs­ser, ab­scheu­li­cher, end­lich wahn­wit­zi­ge Spott­ge­bur­ten mensch­li­cher Ge­bil­de — und ich er­wa­che, in kal­tem Schweiß ge­ba­det, und elend, in der Dun­kel­heit der Nacht.

      Ich gehe nach Lon­don und sehe die ge­schäf­ti­gen Volks­men­gen in der Fleet­street und am Strand, und nun las­tet es mir auf der See­le, dass sie alle nur Ge­s­pens­ter der Ver­gan­gen­heit sei­en, die in den Stra­ßen spu­ken, die ich schwei­gend und jam­mer­voll ge­se­hen habe. Dass sie hin- und her­ge­hen, Schein­ge­bil­de ei­ner to­ten Stadt, in ei­nem künst­lich be­leb­ten Kör­per, ein Hohn auf das Le­ben. Und selt­sam ist es, auf Prim­ro­se Hill zu ste­hen, wie ich es erst ges­tern tat, die­se rie­si­ge Men­ge von Häu­sern trüb und blau durch den Schlei­er von Rauch und Ne­bel zu er­bli­cken, der end­lich in wei­te Fer­nen ver­schwin­det; alle die Leu­te zu se­hen, die zwi­schen den Blu­men­bee­ten des Hü­gels auf- und nie­der­wan­deln; die Men­schen zu se­hen, die ge­kom­men sind, sich die Mars­ma­schi­ne an­zu­schau­en, die noch im­mer hier steht; den Lärm der spie­len­den Kin­der zu hö­ren — und dann sich die Zeit wie­der ins Ge­dächt­nis zu ru­fen, da ich das al­les hell und scharf­ge­schnit­ten, grau­sam und still in der Däm­me­rung je­nes letz­ten, großen Ta­ges ge­se­hen habe.

      Und selt­sa­mer als das al­les, ist es mir, wie­der die Hand mei­nes Wei­bes zu hal­ten und zu den­ken, dass ich sie, und sie mich, schon zu den To­ten ge­rech­net habe.

      ENDE

Der Unsichtbare

      1. Kapitel – Die Ankunft des Fremden

      An ei­nem win­ter­lich kal­ten Fe­bruar­ta­ge, bei schnei­den­dem Wind und Schnee­ge­stö­ber – dem letz­ten Schnee des Jah­res – kam der Frem­de von der Bahn­sta­ti­on Bramb­le­hurst zu Fuß über die Düne, einen klei­nen, schwar­zen Man­tel­sack in der warm ver­wahr­ten Hand. Er war von Kopf bis zu Fuß ein­gehüllt, und der Rand des wei­chen Filz­hu­tes ver­barg sein Ge­sicht bis auf die glän­zen­de Na­sen­spit­ze voll­kom­men. Der Schnee hat­te sich auf sei­nen Schul­tern und sei­ner Brust fest­ge­setzt und den Sack, den er trug, mit ei­ner wei­ßen Krus­te be­deckt. Mehr tot als le­ben­dig wank­te er in den Gast­hof »Zum Fuhr­mann« und warf sein Ge­päck auf den Bo­den. »Ein Feu­er!«, rief er. »Um der Barm­her­zig­keit wil­len! Ein Zim­mer und ein Feu­er!« In der Schank­stu­be schüt­tel­te er den Schnee von sei­nen Klei­dern und folg­te Mrs. Hall in das Gast­zim­mer, um we­gen sei­ner Un­ter­kunft zu ver­han­deln. Ohne dort noch ein wei­te­res Wort zu ver­lie­ren, warf er nach­läs­sig zwei Gold­stücke auf den Tisch und schlug in die­ser form­lo­sen Wei­se sein Quar­tier in dem Gast­ho­fe auf.

      Mrs. Hall mach­te Feu­er im Ka­min und ließ ihn dann al­lein, um ihm in der Kü­che ei­gen­hän­dig eine Mahl­zeit zu be­rei­ten. In Iping zur Win­ters­zeit einen Rei­sen­den zu be­her­ber­gen, der über­dies nicht knau­se­rig zu sein schi­en, war ein un­er­hör­ter Glücks­fall, und die Wir­tin war ent­schlos­sen, sich ih­res gu­ten Sterns wür­dig zu er­wei­sen.

      So­bald der Speck am Feu­er, und Mil­lie, das Haus­mäd­chen, von ihr durch ei­ni­ge wohl­ge­ziel­te Schelt­wor­te auf­ge­mun­tert wor­den war, trug sie Tisch­tuch, Tel­ler und Glä­ser ins Gast­zim­mer und be­gann mit der größ­ten Auf­merk­sam­keit den Tisch zu de­cken. Sie war er­staunt, zu se­hen, dass der Gast ihr den Rücken wen­de­te, trotz des lus­tig fla­ckern­den Feu­ers Hut und Über­rock an­be­hal­ten hat­te und auf das Schnee­trei­ben im Hof hin­aus­sah.

      Er hat­te die be­hand­schuh­ten Hän­de auf dem Rücken ge­fal­tet und war an­schei­nend in Ge­dan­ken ver­sun­ken. Sie be­merk­te, dass der Schnee auf sei­nen Klei­dern zu Was­ser wur­de und auf ih­ren Tep­pich her­ab­tropf­te.

      »Kann ich Ih­nen Hut und Rock ab­neh­men, mein Herr, und sie in der Kü­che trock­nen?«, frag­te sie.

      »Nein«, ant­wor­te­te er, ohne sich um­zu­wen­den.

      Sie war nicht si­cher, ob er sie ver­stan­den hät­te, und woll­te schon ihre Fra­ge wie­der­ho­len.

      Da wand­te er den Kopf und sah sie über die Schul­ter hin­weg an. »Ich zie­he es vor, sie an­zu­be­hal­ten«, er­klär­te er mit Nach­druck, und sie konn­te be­mer­ken, dass er eine große, blaue Bril­le trug und ein bu­schi­ger Ba­cken­bart sei­ne Wan­gen voll­kom­men be­deck­te.

      »Gut, mein Herr«, sag­te sie, »wie’s ge­fäl­lig ist. Das Zim­mer wird gleich warm wer­den.«

      Er hat­te sich wie­der ab­ge­wandt und ant­wor­te­te nicht. Da Mrs. Hall fühl­te, dass die Zeit zur An­knüp­fung ei­nes Ge­sprä­ches nicht gut ge­wählt sei, vollen­de­te sie rasch und ge­räusch­los das De­cken des Ti­sches und husch­te hin­aus. Als sie zu­rück­kehr­te, stand er noch an der­sel­ben Stel­le, wie aus Stein ge­hau­en, mit ge­krümm­tem Rücken, auf­ge­schla­ge­nem Rock­kra­gen und trie­fen­der, ab­wärts ge­bo­ge­ner Hut­krem­pe, die Ge­sicht und Ohren voll­stän­dig ver­barg. Wür­de­voll setz­te sie die Schüs­sel mit Ei­ern und Speck nie­der und rief ihm zu:

      »Ihr Früh­stück ist fer­tig, mein Herr.«

      »Dan­ke«, er­wi­der­te er dar­auf, ohne sich zu rüh­ren, be­vor sie die Tür hin­ter sich ge­schlos­sen hat­te. Dann aber dreh­te er sich schnell um und wand­te sich mit Heiß­hun­ger dem Tisch zu.

      Als Mrs. Hall in die Kü­che hin­ter der Schank­stu­be ging, hör­te sie einen Ton, der sich in re­gel­mä­ßi­gen Zwi­schen­räu­men wie­der­hol­te. Klick, klick, klick ging es, der Klang ei­nes Löf­fels, der in ei­nem Ge­fäß klap­pert. »Die­ses Mäd­chen!«, rief sie. »Ich hat­te es ganz ver­ges­sen. Das kommt von ih­rer Lang­sam­keit.« Und wäh­rend sie das Mi­schen des Senfs selbst be­sorg­te, be­kam Mil­lie ei­ni­ge saf­ti­ge Be­mer­kun­gen über ihre Lang­sam­keit zu hö­ren. Sie (Mrs. Hall) hat­te Schin­ken und Eier ge­kocht, den Tisch ge­deckt, kurz al­les ge­tan, wäh­rend Mil­lie – wahr­lich eine schö­ne Hil­fe – nicht ein­mal mit dem Sen­früh­ren zu­stan­de kam. Und ein neu­er Gast im Hau­se, der hof­fent­lich lan­ge blei­ben wür­de! Dann füll­te sie das Senf­glas, setz­te es voll Selbst­be­wusst­sein auf ein schwarz-gol­de­nes Ser­vier­brett und trug es ins Frem­den­zim­mer.

      Sie klopf­te an die Türe und trat so­fort ein. Als der Gast sie ge­wahr­te, mach­te er eine ra­sche Be­we­gung, und einen flüch­ti­gen


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