H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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Wech­sel zwei­er Töne: »Ulla, ulla, ulla, ulla«, klang es un­auf­hör­lich.

      Als ich durch Stra­ßen kam, die nach Nor­den führ­ten, schwoll es stark an, und Häu­ser und Mau­ern schie­nen es ab­zu­schwä­chen und end­lich zum Schwei­gen zu brin­gen. In der Aus­s­tel­lungs­stra­ße schwoll es zur vol­len Kraft an. Ich blieb ver­wun­dert ste­hen, starr­te nach Ken­sing­ton Gar­dens und be­griff nicht, was die­ses fer­ne Kla­ge­ge­heul zu be­deu­ten hat­te. Es war, als hät­te die ge­wal­ti­ge Häu­ser­wüs­te eine Stim­me für ihre Furcht und ihre Ein­sam­keit ge­fun­den.

      »Ulla, ulla, ulla, ulla«, klag­te die­ser über­mensch­li­che Ton — große Schall­wo­gen feg­ten die brei­ten, son­nen­hel­len Stra­ßen zwi­schen den ho­hen Ge­bäu­den auf bei­den Sei­ten hin­ab. Von Stau­nen er­grif­fen wand­te ich mich nach Nor­den ge­gen die ei­ser­nen Tore des Hy­de­parks. Ich über­leg­te schon, ob ich in das na­tur­his­to­ri­sche Mu­se­um ein­drin­gen und auf die Spit­ze sei­nes Tur­mes klet­tern soll­te, um über den Park hin­über­zu­se­hen. Aber ich ent­schloss mich doch, un­ten zu blei­ben, wo ich doch bes­ser Ge­le­gen­heit fin­den konn­te, mich im Not­fall rasch zu ver­ste­cken, und so ging ich auf der Aus­s­tel­lungs­stra­ße wei­ter. Alle die Vil­len auf bei­den Sei­ten der Stra­ße wa­ren leer und still und mei­ne Schrit­te hall­ten ge­gen die Häu­ser wie­der. Am Ende der Stra­ße, in der Nähe des Park­ein­gangs, bot sich mir ein selt­sa­mer An­blick – ein ge­stürz­ter Stell­wa­gen und das sau­ber ab­ge­nag­te Ge­rip­pe ei­nes Pfer­des. Das mach­te mich eine Zeit lang stut­zig, dann aber ging ich über die Brücke des Ser­pen­ti­nen­tei­ches. Die Stim­me wur­de lau­ter und lau­ter, ob­wohl ich jen­seits der Häu­ser­dä­cher, auf der Nord­sei­te des Par­kes nichts se­hen konn­te, als einen Rauch­schlei­er im Nord­wes­ten.

      »Ulla, ulla, ulla, ulla«, heul­te die Stim­me, die, wie mir schi­en, vom Be­zirk um Re­gent’s Park her­kam. Der trost­lo­se Schrei las­te­te sich mir auf die See­le. Die mu­ti­ge Stim­mung, die mich bis­her auf­recht­er­hal­ten hat­te, schwand wie­der. Das Kla­ge­ge­heul be­mäch­tig­te sich mei­nes Ge­mü­tes. Ich fand, dass ich un­end­lich elend, er­mat­tet und hung­rig und durs­tig war.

      Es war schon Mit­tag vor­über. Wa­rum wan­der­te ich denn da al­lein um­her in die­ser Stadt des To­des? Wa­rum blieb ich denn al­lein zu­rück, jetzt, da ganz Lon­don in schwar­zes Lei­chen­tuch gehüllt, auf der Bah­re lag? Ich fand mei­ne Ver­ein­sa­mung un­er­träg­lich. Ich dach­te an alte Freun­de, die ich jah­re­lang ver­ges­sen hat­te. Ich dach­te an die Gif­te in den Che­mi­ker­ge­schäf­ten, an den Trank, den die Wein­händ­ler auf­ge­spei­chert hat­ten; ich dach­te an die zwei wein­se­li­gen Ge­schöp­fe der Verzweif­lung, die, so­viel ich wuss­te, den Be­sitz der Stadt mit mir teil­ten.

      Ich ge­lang­te durch das Mar­mor­tor des Hyde Park in die Ox­ford­street; hier fand ich wie­der schwar­zes Pul­ver und Lei­chen; ein ab­scheu­li­cher und ver­däch­ti­ger Ge­ruch stieg aus den Kel­ler­fens­tern ei­ni­ger Häu­ser auf. Die Hit­ze und mein lan­ger Marsch mach­ten mich sehr durs­tig. Nach un­end­li­cher Mühe ge­lang es mir, in eine Schen­ke ein­zu­bre­chen und et­was zu es­sen und zu trin­ken zu fin­den. Nach der spär­li­chen Mahl­zeit wur­de ich müde, ging in eine Stu­be hin­ter dem Schank­tisch und schlief auf ei­nem schwar­zen Ross­haar-Ru­he­bett, das ich dort fand.

      Ich er­wach­te, um je­nes schau­er­li­che Ge­heul noch im­mer in den Ohren klin­gen zu hö­ren. »Ulla, ulla, ulla, ulla.« Es däm­mer­te schon, und nach­dem ich ei­ni­ge Zwie­back­stücke und et­was Käse im Schank­zim­mer zu­sam­men­ge­rafft hat­te — das Fleisch war wohl un­be­rührt, aber es be­stand fast aus nichts als aus Ma­den — wan­der­te ich über die ru­hi­gen Wohn­plät­ze zur Ba­ker­street — der Port­man­platz ist der ein­zi­ge, den ich mit Na­men nen­nen könn­te — und ge­lang­te end­lich an den Re­gent’s Park. Und als ich aus der Ba­ker­street her­austrat, sah ich in wei­ter Fer­ne jen­seits der Bäu­me im kla­ren Licht des Son­nen­un­ter­gangs die Hau­be ei­nes Mars­rie­sen, von dem das Ge­heul aus­ging. Ich emp­fand kei­ner­lei Furcht. Ich schritt auf ihn zu, als wäre das eine ganz na­tür­li­che Sa­che. Eine Zeit lang be­ob­ach­te­te ich ihn, aber er rühr­te sich nicht. Er stand nur da und heul­te aus ei­nem Grund, den ich nicht ent­de­cken konn­te.

      Ich ver­such­te, mir einen Plan zu­rechtzu­ma­chen. Die­ses un­aus­ge­setz­te Ge­heul, die­ses »Ulla, ulla, ulla, ulla« ver­wirr­te mei­nen Geist. Vi­el­leicht war ich auch zu müde, um Furcht zu ha­ben. Ge­wiss ist, dass die Be­gier­de, der Ur­sa­che die­ses ein­tö­ni­gen Ge­heuls auf den Grund zu kom­men, stär­ker war als mei­ne Furcht. Ich wand­te mich nun vom Park weg und schlug mich in die Park­stra­ße mit der Ab­sicht, den Park zu um­ge­hen, ging dann un­ter dem Schutz der Ter­ras­sen im­mer wei­ter, und be­kam nun die­sen be­stän­dig heu­len­den Mars­mann aus der Rich­tung von St. John’s Wood zu Ge­sicht. Etwa zwei­hun­dert Yard von der Ba­ker­street ent­fernt hör­te ich ein viel­stim­mi­ges, wü­ten­des Ge­kläff, und sah, erst einen Hund mit ei­nem Stück fau­li­gen, ro­ten Flei­sches in den Zäh­nen blitz­schnell auf mich zu­lau­fen, und dann eine Meu­te halb ver­hun­ger­ter Kö­ter, die ihn ver­folg­ten. Er mach­te einen wei­ten Bo­gen, um mir aus­zu­wei­chen, als fürch­te­te er, in mir einen neu­en Wett­be­wer­ber zu fin­den. Als das Ge­kläff die brei­te Stra­ße hin­un­ter erstarb, scholl der kla­gen­de Laut des »Ulla, ulla, ulla, ulla« mit ver­dop­pel­ter Kraft.

      Auf dem hal­b­en Wege zum Bahn­hof von St. John’s Wood stieß ich auf eine zer­trüm­mer­te He­be­ma­schi­ne. Erst glaub­te ich, dass ein Haus über die Stra­ße ge­stürzt sei, aber als ich un­ter sei­nen Trüm­mern um­her­klet­ter­te, be­griff ich, fast zu­rück­pral­lend, die wah­re Art die­ses nie­der­ge­streck­ten me­cha­ni­schen Sim­son, des­sen Tast­werk­zeu­ge ver­bo­gen und zer­schmet­tert und ver­dreht un­ter den Trüm­mern, die es ver­ur­sacht hat­te, um­her­la­gen. Der vor­de­re Teil war zer­schellt. Es schi­en, als sei die Ma­schi­ne ge­ra­den We­ges blind­lings ge­gen das Haus ge­rannt und durch die ei­ge­ne Wucht ge­bors­ten. Ich konn­te mir nur vor­stel­len, dass das mit ei­ner He­be­ma­schi­ne ge­sche­hen sein kön­ne, die der Lei­tung ih­res Mars­man­nes le­dig war. Ich konn­te nicht ge­nü­gend un­ter ih­ren Trüm­mern um­her­klet­tern, um sie ge­nau zu prü­fen, und die Däm­me­rung war noch nicht so weit vor­ge­schrit­ten, um das Blut, mit dem ihr Sitz be­schmiert war, und die be­nag­ten Knor­peln des Mars­man­nes, wel­che die Hun­de üb­rig ge­las­sen hat­ten, mei­nen Bli­cken zu ver­ber­gen.

      Von Stau­nen über alle die Din­ge, die ich ge­se­hen hat­te, er­füllt, drang ich bis zum Prim­ro­se Hill vor. Weit ent­fernt sah ich durch eine Öff­nung in den Bäu­men einen zwei­ten Mars­mann, der schwei­gend und re­gungs­los wie der ers­te im Park ge­gen den zoo­lo­gi­schen Gar­ten zu da­stand. In der Nähe der Trüm­mer, die um die zer­schmet­ter­te He­be­ma­schi­ne la­gen, stieß ich wie­der auf das rote Ge­wächs und fand den Re­gent’s-Kanal in eine schwam­mi­ge Mas­se dun­kel­ro­ter Wu­cher­pflan­zen ver­wan­delt.

      Plötz­lich, ge­ra­de als ich über die Brücke schritt, hör­te der Ton des »Ulla, ulla, ulla« auf. Es war, als sei er ent­zwei­ge­schnit­ten. Die Stil­le brach her­ein, wie ein Don­ner­schlag.

      Die dämm­ri­gen Häu­ser um mich her­um­stan­den un­klar und hoch und ver­schwom­men da; die Bäu­me des Parks hüll­ten sich in Fins­ter­nis. Von al­len Sei­ten kroch das rote Ge­wächs an mich her­an, als woll­te es mich in sei­ne Fän­ge ver­stri­cken. Die Nacht, die Mut­ter der Angst und des Ge­heim­nis­ses, brach über mich


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