H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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Ge­le­gen­heit zu ei­nem Fest an­zu­se­hen.

      »Im Kel­ler gib­t’s auch et­was Cham­pa­gner«, sag­te er.

      »Es ist viel­leicht bes­ser, wenn wir bei un­se­rem Bur­gun­der wei­ter­gra­ben«, sag­te ich.

      »Nein«, mein­te er, »heu­te bin ich der Wirt. Cham­pa­gner! Gro­ßer Gott, die Auf­ga­be, die vor uns liegt, ist schwer ge­nug. Ru­hen wir aus und sam­meln wir Kräf­te, so lan­ge es Zeit ist. Se­hen Sie doch die­se schwie­li­gen Hän­de!«

      Wie selt­sam ist doch der Mensch! Wir, de­ren Gat­tung am Ran­de der Ver­nich­tung oder doch vor ei­ner er­schre­cken­den Ent­ar­tung stand, mit kei­ner an­de­ren Aus­sicht vor uns, als der Mög­lich­keit ei­nes grau­en­haf­ten To­des, wir konn­ten nun da­sit­zen und den Glücks­lau­nen die­ser be­mal­ten Pa­pier­stücke fol­gen und mit leb­haf­tem Ent­zücken un­se­re Sti­che zäh­len. Dann lehr­te mich der Ar­til­le­rist »Po­ker« und ich be­sieg­te ihn in drei zä­hen Schach­par­ti­en. Als die Dun­kel­heit an­brach, wa­ren wir in ei­nem der­ar­ti­gen Ei­fer, dass wir uns ent­schlos­sen, es auf eine Ent­de­ckung an­kom­men zu las­sen und eine Lam­pe an­zu­zün­den.

      Nach ei­ner un­ge­heu­ren Rei­he von Spie­len nah­men wir un­ser Abend­brot ein, und der Ar­til­le­rist mach­te ein Ende mit dem Cham­pa­gner. Wir fuh­ren fort, Zi­gar­ren zu rau­chen. Nun war er aber nicht mehr der tat­kräf­ti­ge Er­neue­rer un­se­rer Gat­tung, den ich am Mor­gen in ihm ge­fun­den hat­te. Er war noch im­mer ein Op­ti­mist, aber es war kein um­stür­zen­der, es war ein be­däch­ti­ger Op­ti­mis­mus. Ich er­in­ner­te mich, wie er schließ­lich mit mir an­s­tieß und in ei­ner Rede von ge­rin­ger Ab­wechs­lung und mit zahl­rei­chen Un­ter­bre­chun­gen aus mei­ne Ge­sund­heit trank. Ich nahm mir eine Zi­gar­re und stieg hin­auf, um nach den Lich­tern zu se­hen, von de­nen er ge­spro­chen hat­te, und die so grün­lich längs der Hü­gel von High­ga­te leuch­ten soll­ten.

      Zu­erst starr­te ich ziem­lich geis­tes­ab­we­send über das Tal von Lon­don. Die nörd­li­chen Hü­gel wa­ren in tie­fes Dun­kel gehüllt, die Feu­er in der Nähe von Ken­sing­ton schie­nen röt­lich her­über, und hie und da zuck­te eine oran­ge­far­be­ne Feu­er­zun­ge auf, um in der tief­blau­en Nacht gleich wie­der zu ver­schwin­den. Das gan­ze üb­ri­ge Lon­don war schwarz. Nä­her dem Haus be­merk­te ich jetzt ein selt­sa­mes Licht, einen blas­sen, blau­vio­let­ten, schil­lern­den Schein, der in der Nacht­luft hin- und her­zit­ter­te. Lan­ge Zeit konn­te ich ihn mir nicht er­klä­ren, bis es mir ein­fiel, dass es das rote Ge­wächs sein muss­te, von dem die­ser schwa­che Strah­lenglanz aus­ging. Mit die­ser Wahr­neh­mung er­wach­te auch wie­der mein Ge­fühl des Stau­nens, mei­ne Emp­fin­dung für das Ver­hält­nis der Din­ge. Ich blick­te hin­auf zum Mars, der rot und klar, hoch im Wes­ten glüh­te, und dann sah ich lan­ge und nach­denk­lich in die Dun­kel­heit von Hamps­tead und High­ga­te.

      Ich blieb sehr lan­ge auf dem Dach und staun­te über die wun­der­li­chen Wech­sel­fäl­le des Ta­ges. Ich er­in­ner­te mich mei­ner geis­ti­gen Ver­fas­sung, von dem mit­ter­nächt­li­chen Ge­bet an bis zu dem al­ber­nen Kar­ten­spie­len. Ich ver­spür­te ein Auf­bäu­men mei­ner Ge­füh­le. Ich er­in­ne­re mich, wie ich in ei­ner Art ver­schwen­de­ri­scher Sym­bo­lik mei­ne Zi­gar­re weg­schleu­der­te. Mei­ne Narr­heit kam mir in ver­zerr­ter Über­trei­bung zum Be­wusst­sein. Ich er­schi­en mir als Ver­rä­ter an mei­nem Weib und an mei­ner Gat­tung. Ich war er­füllt von Reue. Ich be­schloss, die­sen son­der­ba­ren un­ge­zü­gel­ten Träu­mer großer Din­ge, sei­ner Fla­sche und sei­nen Ge­la­gen zu über­las­sen und nach Lon­don wei­ter­zu­ge­hen. Dort wür­de ich wohl am Ehe­s­ten er­fah­ren kön­nen, was die Mars­leu­te und mei­ne Mit­menschen jetzt ta­ten. Ich be­fand mich noch auf dem Dach, als der spä­te Mond auf­ging.

      1 Kar­ten­spiel für zwei bis sechs Per­so­nen <<<

      VIII. Das tote London

      Nach­dem ich mich von dem Ar­til­le­ris­ten ver­ab­schie­det hat­te, ging ich den Hü­gel hin­ab und durch die High Street über die Brücke nach Lam­beth. Das rote Ge­wächs war hier be­son­ders üp­pig und ver­sperr­te fast den Weg zur Brücke; aber sei­ne Zwei­ge wa­ren be­reits von der im­mer wei­ter um sich grei­fen­den Krank­heit, die es so bald und so rasch ver­nich­ten soll­te, ge­bleicht.

      An der Ecke des We­ges, der zur Sta­ti­on Put­ney Bridge führt, sah ich einen Mann lie­gen. Der schwar­ze Staub gab ihm das Aus­se­hen ei­nes Schorn­stein­fe­gers; er leb­te, war aber sinn- und hilf­los be­trun­ken. Ich brach­te nichts aus ihm her­aus, als Flü­che und wü­ten­de Stö­ße ge­gen mei­nen Kopf. Ich glau­be, dass ich bei ihm ge­blie­ben wäre, hät­te der rohe Aus­druck sei­nes Ge­sich­tes mich nicht ab­ge­schreckt.

      Auf der Stra­ße, die von der Brücke wei­ter­lief, war über­all der schwar­ze Staub zu se­hen, der in Ful­ham noch dich­ter wur­de. Die Stra­ßen wa­ren grau­en­voll still. In ei­nem Bäcker­la­den fand ich et­was zu es­sen; es war sau­er, hart und schim­me­lig, aber noch ganz ge­nieß­bar. Et­was wei­ter ge­gen Wal­ham Green zu wa­ren die Stra­ßen frei von Pul­ver; ich kam an ei­ner lich­ter­loh bren­nen­den Häu­ser­rei­he hin­ter ei­nem ter­ras­sen­ar­ti­gen Vor­sprung vor­über. Der Lärm des Feu­ers schi­en mir ge­ra­de­zu eine Er­leich­te­rung. Als ich in der Rich­tung nach Bromp­ton weiter­schritt, fand ich die Stra­ßen wie­der ganz still.

      Hier nun stieß ich aber­mals auf das schwar­ze Pul­ver und auf Men­schen­lei­chen. Ich sah auf der lang­ge­dehn­ten Ful­ham Road al­les in al­lem etwa ein Dut­zend. Der Tod hat­te die­se Leu­te schon vor vie­len Ta­gen er­eilt, so­dass ich schleu­nigst an ih­nen vor­über­eil­te. Das schwar­ze Pul­ver be­deck­te sie über und über und mil­der­te ihre Züge. Ei­ner oder zwei wa­ren schon von Hun­den ent­stellt wor­den.

      Wo sich kein schwar­zes Pul­ver fand, hat­te das Stra­ßen­bild eine merk­wür­di­ge Ähn­lich­keit mit dem ei­nes Sonn­tags in der City: die ge­schlos­se­nen Lä­den, die fest­ver­sperr­ten Häu­ser, die her­ab­ge­las­se­nen Vor­hän­ge, die Verödung, die Stil­le. In man­chen Häu­sern wa­ren schon Plün­de­rer an der Ar­beit ge­we­sen, aber kaum nach an­de­ren Din­gen, als nach Ess­vor­rä­ten und Wein. In ei­nem Haus fand ich das Schau­fens­ter ei­nes Gold­schmieds er­bro­chen, aber der Dieb war of­fen­bar ge­stört wor­den, denn eine An­zahl gol­de­ner Ket­ten und Uhren la­gen ver­streut auf dem Stra­ßen­pflas­ter. Ich hielt mich nicht auf, die Din­ge zu be­rüh­ren. Et­was wei­ter fand ich ein zer­lump­tes Weib zu­sam­men­ge­kau­ert auf ei­ner Tür­stu­fe sit­zen; die Hand, die über ihr Knie her­ab­hing, wies eine klaf­fen­de Wun­de auf und das Blut rie­sel­te über ihr rost­brau­nes Kleid; eine große zer­bro­che­ne Cham­pa­gner­fla­sche bil­de­te eine La­che auf dem Stra­ßen­pflas­ter. Das Weib schi­en schla­fend,


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