H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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dem »Fuhr­mann« an­ge­sam­melt hat­te. Dort stand Fea­ren­si­de, der die gan­ze Ge­schich­te schon zum zwei­ten Male er­zähl­te; Mrs. Hall, die fort­wäh­rend er­klär­te, sein Hund habe kein Recht ihre Gäs­te zu bei­ßen; Hux­ter, der Krä­mer von jen­seits der Stra­ße, wel­cher un­ver­dros­sen Fra­gen stell­te, und San­dy Wad­gers, der Schmied, der für al­les Ant­wor­ten be­reit hat­te. Au­ßer­dem Frau­en und Kin­der, die alle gleich­zei­tig spra­chen: »Mir soll­te er nur kom­men!« – »Sol­che Hun­de soll­te man nicht hal­ten dür­fen!« – »Wa­rum hat er ihn denn ei­gent­lich ge­bis­sen?«, und so fort.

      Mr. Hall, der auf den Stu­fen stand und zu­hör­te, hielt es be­reits für un­mög­lich, dass er die merk­wür­di­gen Din­ge im obe­ren Stock­wer­ke wirk­lich er­lebt habe. Üb­ri­gens war auch sein Wort­schatz zu klein, um sei­nen Emp­fin­dun­gen Aus­druck zu ver­lei­hen.

      »Er braucht kei­ne Hil­fe«, er­wi­der­te er auf die Fra­ge sei­ner Frau. »Wir schaf­fen am bes­ten gleich das Ge­päck hin­ein.«

      »Man soll­te die Wun­de gleich aus­bren­nen«, sag­te Mr. Hux­ter, »be­son­ders wenn sie ent­zün­det ist.«

      »Ich wür­de den Hund ein­fach nie­der­schie­ßen, er ver­dient es«, mein­te eine Frau in der Grup­pe.

      Plötz­lich be­gann der Hund von neu­em zu knur­ren.

      »Nun! wird’s?«, rief eine är­ger­li­che Stim­me im Haus­flur und dort stand der ver­mumm­te Frem­de, wie im­mer den Rock­kra­gen in die Höhe ge­schla­gen und den Rand sei­nes Hu­tes nach ab­wärts ge­bo­gen. »Je frü­her Sie mei­ne Sa­chen hin­ein­tra­gen, de­sto lie­ber ist es mir.« Von ei­nem un­be­kann­ten Zuschau­er wur­de bei die­ser Ge­le­gen­heit kon­sta­tiert, dass der Frem­de Bein­klei­der und Hand­schu­he ge­wech­selt hat­te.

      »Sind Sie ge­bis­sen wor­den, Herr?«, frag­te Fea­ren­si­de. »Es tut mir wirk­lich leid, dass der Hund – –«

      »Durchaus nicht«, ver­setz­te der Frem­de. »Be­ei­len Sie sich mit dem Ab­la­den.«

      Dann fluch­te er vor sich hin, wie Mr. Hall be­haup­tet. Kaum war der ers­te Korb nach sei­nen An­ga­ben in das Gast­zim­mer ge­schafft, als er sich mit au­ßer­or­dent­li­chem Ei­fer dar­auf­stürz­te und aus­zu­pa­cken an­fing. Ohne die ge­rings­te Rück­sicht auf Mrs. Halls Tep­pich zu neh­men, warf er das Stroh her­aus und be­gann Fla­schen ans Ta­ges­licht zu för­dern. Klei­ne­re, di­cke Fla­schen mit Pul­vern, klei­ne, schlan­ke Fla­schen mit ge­färb­ten und farb­lo­sen Flüs­sig­kei­ten, lang­hal­si­ge, blaue Fla­schen mit der Auf­schrift: »Gift«, dick­bau­chi­ge grü­ne Glas­fla­schen, brei­te wei­ße Fla­schen, Fla­schen mit Glas­pfrop­fen und ge­ätz­ter Eti­ket­te, fein ver­kork­te Fla­schen, Fla­schen mit Holz­de­ckeln, Wein- und Öl­fla­schen, die er auf dem Wä­sche­schrank, dem Ka­min­sims, auf dem Tisch vor dem Fens­ter, auf dem Fuß­bo­den, dem Bü­cher­brett, kurz über­all, rei­hen­wei­se auf­stell­te. Der Apo­the­ker­la­den in Bramb­le­hurst konn­te sich nicht halb so vie­ler Fla­schen rüh­men. Es war ge­ra­de­zu eine Se­hens­wür­dig­keit. Korb auf Korb gab sei­nen In­halt her­aus, bis alle sechs leer wa­ren und das Stroh hoch auf dem Ti­sche auf­ge­häuft lag. Das ein­zi­ge, was au­ßer den Fla­schen aus den Kör­ben her­vor­kam, war eine An­zahl Pro­bier­glä­ser und eine sorg­fäl­tig ver­pack­te Wage.

      Und so­wie die Kör­be leer wa­ren, ging der Frem­de ans Fens­ter, be­gann zu ar­bei­ten, ohne sich im ge­rings­ten um die Stroh­hau­fen, das er­lo­sche­ne Feu­er, die Bü­cher­kis­te drau­ßen oder um die Kof­fer und das an­de­re Ge­päck zu küm­mern, das in­zwi­schen in sein Schlaf­zim­mer hin­auf­ge­schafft wor­den war.

      Als Mrs. Hall ihm das Mit­ta­ges­sen brach­te, war er schon so eif­rig da­mit be­schäf­tigt, klei­ne Men­gen der Flüs­sig­keit aus den Fla­schen in die Pro­bier­glä­ser zu schüt­ten, dass er ihre Ge­gen­wart nicht eher wahr­nahm, als bis sie den größ­ten Teil des Strohs weg­ge­schafft und das Ser­vier­brett auf den Tisch ge­stellt hat­te, was sie, an­ge­sichts des Zu­stan­des, in dem sich der Fuß­bo­den be­fand, et­was ge­räusch­voll ge­tan ha­ben moch­te. Nun wand­te er halb­wegs den Kopf, um sich so­fort wie­der ab­zu­wen­den. Aber sie be­merk­te, dass er die Bril­le ab­ge­nom­men hat­te, die ne­ben ihm auf dem Ti­sche lag, und es schi­en ihr, als ob er au­ßer­or­dent­lich tie­fe Au­gen­höh­len hät­te. Er setz­te das Au­gen­glas wie­der auf, wand­te sich dann ganz um und blick­te ihr ins Ge­sicht. Sie war eben im Be­griff, sich über das Stroh auf den Die­len zu be­kla­gen, als er ihr zu­vor­kam.

      »Ich wünsch­te, Sie kämen nicht her­ein, ohne an­zu­klop­fen«, sprach er in je­nem Tone großer Ge­reizt­heit, der so cha­rak­te­ris­tisch für ihn war.

      »Ich klopf­te an, wahr­schein­lich ha­ben Sie – –«

      »Das mag sein; bei mei­nen Un­ter­su­chun­gen – mei­nen wirk­lich sehr drin­gen­den und wich­ti­gen Un­ter­su­chun­gen – kann je­doch die lei­ses­te Stö­rung, das Knar­ren ei­ner Tür – Ich muss Sie bit­ten – – –«

      »Na­tür­lich, mein Herr. In die­sem Fal­le kön­nen Sie ja den Schlüs­sel um­dre­hen, so oft es ih­nen be­liebt.«

      »Ein aus­ge­zeich­ne­ter Ge­dan­ke«, mein­te der Frem­de.

      »Aber das Stroh, Herr! Wenn ich mir die Frei­heit neh­men dürf­te, zu be­mer­ken –«

      »Lie­ber nicht. Wenn das Stroh Sie stört, set­zen Sie’s auf die Rech­nung.« Und er brumm­te et­was vor sich hin, was ei­nem Flu­che ver­zwei­felt ähn­lich klang.

      Er sah so selt­sam aus, als er so kampf­be­reit und zor­nig, eine Fla­sche in der einen, das Pro­bier­glas in der an­de­ren Hand, da­stand, dass Mrs. Hall es mit der Angst krieg­te. Aber sie war eine ent­schlos­se­ne Frau. »In die­sem Fal­le, mein Herr, wür­de ich ger­ne wis­sen, wie hoch –«

      »Ein Schil­ling – rech­nen Sie mir einen Schil­ling an. Das wird doch ge­nü­gen?«

      »Gut«, ent­geg­ne­te Mrs. Hall, in­dem sie das Tisch­tuch er­griff und über den Tisch brei­te­te. »Wenn Sie da­mit ein­ver­stan­den sind, na­tür­lich –«

      Er wen­de­te sich ab und nahm, ihr den Rücken keh­rend, den Rock­kra­gen auf­wärts ge­stellt, sei­nen frü­he­ren Platz ein.

      Den gan­zen Nach­mit­tag ar­bei­te­te er bei ver­schlos­se­ner Tür und, wie Mrs. Hall be­zeugt, meist still­schwei­gend. Nur ein­mal ver­nahm man eine hef­ti­ge Er­schüt­te­rung, das Klir­ren an­ein­an­der­sto­ßen­der Fla­schen, als ob je­mand auf den Tisch ge­schla­gen hät­te, das Zer­split­tern ei­nes hef­tig zu Bo­den ge­schmet­ter­ten Gla­ses und dann einen schnel­len Schritt, der das Zim­mer durch­maß. Et­was Au­ßer­or­dent­li­ches be­fürch­tend, ging sie zu sei­ner Tür und horch­te. Zu klop­fen nahm sie sich nicht erst die Mühe.

      »Ich kom­me nicht wei­ter«, ras­te er. »Ich kom­me nicht wei­ter! Drei­mal­hun­dert­tau­send, vier­mal­hun­dert­tau­send! Sol­che Zah­len! Ich bin be­tro­gen! Mein gan­zes Le­ben kann ich da­mit ver­brin­gen! – Ge­duld! nur Ge­duld! – Oh, ich Narr!«

      Das Klap­pern von nä­gel­be­schla­ge­nen Schu­hen auf den Zie­geln der Schank­stu­be, das jetzt laut wur­de, brach­te Mrs. Hall sehr zu ih­rem Ver­druss um die Fort­set­zung sei­nes Selbst­ge­sprächs. Als sie zu­rück­kehr­te, war es wie­der still im Zim­mer, mit Aus­nah­me des lei­sen Kra­chens des Stuh­les und des


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