H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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ich das Ge­fühl, einen Arm ge­trof­fen zu ha­ben.

      Und doch war kein Arm da! Nicht der Schat­ten ei­nes Ar­mes!«

      Mr. Bun­ting dach­te nach. Arg­wöh­nisch blick­te er Cuss an. »Es ist eine sehr son­der­ba­re Ge­schich­te«, be­merk­te er und sah sehr wei­se und ernst­haft da­bei aus. »Wirk­lich«, wie­der­hol­te er dann mit großem Nach­druck, »eine höchst son­der­ba­re Ge­schich­te.«

      5. Kapitel – Der Einbruch im Pfarrhaus

      Kur­ze Zeit nach der Un­ter­re­dung des Pfar­rers mit Mr. Cuss wur­de im Pfarr­haus ein ge­heim­nis­vol­ler Ein­bruch ver­übt.

      Die nä­he­ren Um­stän­de des Ein­bruchs im Pfarr­haus sind uns haupt­säch­lich durch die Aus­sa­gen des Pfar­rers und sei­ner Gat­tin be­kannt. Es ge­sch­ah nach Mit­ter­nacht, am Pfingst­mon­tag, dem Tage, der in Iping den Ver­eins­fest­lich­kei­ten ge­wid­met ist. Es scheint, dass Mrs. Bun­ting in der Stil­le, die der Mor­gen­däm­me­rung vor­an­geht, plötz­lich mit der kla­ren Emp­fin­dung er­wach­te, dass die Tür des Schlaf­zim­mers ge­öff­net und ge­schlos­sen wor­den war. Sie weck­te ih­ren Gat­ten nicht gleich, son­dern setz­te sich im Bett auf und horch­te. Da hör­te sie deut­lich das »Trapp, trapp, trapp« un­be­schuh­ter Füße aus dem an­sto­ßen­den An­klei­de­zim­mer her­aus­kom­men und durch den Gang auf die Trep­pe zu­ge­hen. So­bald sie des­sen si­cher war, weck­te sie ih­ren Gat­ten so ge­räusch­los als mög­lich. Er zün­de­te kein Licht an, son­dern nahm sei­ne Bril­le, sei­nen Schlaf­rock und sei­ne Haus­schu­he und ging auf den Flur hin­aus, um zu hor­chen. Er hör­te ganz deut­lich, wie je­mand an sei­nem Stu­dier­pult un­ten her­um­tas­te­te, und ver­nahm dann ein hef­ti­ges Nie­sen.

      Da­rauf kehr­te er in sein Schlaf­zim­mer zu­rück, be­waff­ne­te sich mit der nächst­lie­gen­den Waf­fe, der Feu­er­zan­ge, und ging ganz lei­se die Trep­pe hin­ab. Mrs. Bun­ting folg­te ihm bis auf den Flur.

      Es war etwa vier Uhr und das tiefs­te Dun­kel der Nacht vor­über. In der Vor­hal­le sah er einen lei­sen Licht­schim­mer, aber der Vor­raum zum Stu­dier­zim­mer gähn­te ihm noch tief­schwarz ent­ge­gen. Al­les war still, mit Aus­nah­me des leich­ten Knar­rens der Stu­fen un­ter Mr. Bun­tings Trit­ten und der lei­sen Be­we­gun­gen im Stu­dier­zim­mer. Dann schnapp­te ein Schloss, das Schub­fach wur­de ge­öff­net, und das Ra­scheln von Pa­pie­ren hör­bar. Dann kam ein Fluch, ein Streich­hölz­chen wur­de an­ge­rie­ben und das Stu­dier­zim­mer er­schi­en mit gel­bem Lich­te über­gos­sen. Mr. Bun­ting stand jetzt vor der Tür. Durch eine Spal­te konn­te er das Pult und die of­fe­ne Lade se­hen und auch das Licht, das auf dem Pult brann­te. Aber den Räu­ber sah er nicht. Un­ent­schlos­sen stand er vor der Tür und Mrs. Bun­ting nä­her­te sich ihm lang­sam, ge­spannt hor­chend, mit sehr blei­chem Ge­sicht. Ein Um­stand hielt Mrs. Bun­tings Mut auf­recht: die Über­zeu­gung, dass der Ein­bre­cher ein Ein­hei­mi­scher sein müs­se.

      Sie hör­ten Gold­stücke klir­ren und mach­ten sich klar, dass der Räu­ber das Wirt­schafts­geld ge­fun­den hat­te – 2 Pfund in Gold und 10 Schil­ling in klei­ner Mün­ze. Bei die­sem Ton er­mann­te sich Mr. Bun­ting zu plötz­li­cher Tat­kraft. Er pack­te die Feu­er­zan­ge mit fes­tem Griff und stürz­te in das Zim­mer, wo­hin ihm sei­ne Gat­tin auf den Fer­sen folg­te.

      »Er­gib dich!«, schrie Mr. Bun­ting wild. Dann blieb er be­trof­fen ste­hen. Das Zim­mer war au­gen­schein­lich voll­kom­men leer.

      Und doch war ihre Über­zeu­gung, dass sich einen Au­gen­blick vor­her je­mand im Zim­mer be­wegt habe, zur Ge­wiss­heit ge­wor­den. Wohl eine hal­be Mi­nu­te lang stan­den sie mit ver­hal­te­nem Atem da, dann ging Mrs. Bun­ting durch das Zim­mer und blick­te hin­ter den Ofen­schirm, wäh­rend Mr. Bun­ting in­fol­ge ei­ner ähn­li­chen Ein­ge­bung un­ter das Pult späh­te. Dann zog Mrs. Bun­ting die Vor­hän­ge zu­rück, und Mr. Bun­ting sah in den Ka­min, den er mit der Feu­er­zan­ge un­ter­such­te. Dann un­ter­zog Mrs. Bun­ting den Pa­pier­korb ei­ner Un­ter­su­chung, wäh­rend Mr. Bun­ting den Koh­len­stän­der öff­ne­te. Hier­auf blie­ben sie ste­hen und sa­hen ein­an­der fra­gend an.

      »Ich hät­te schwö­ren kön­nen«, sag­te Mr. Bun­ting.

      »Das Licht!«, fuhr er fort, »wer hat das Licht an­ge­zün­det?«

      »Die Lade!«, mein­te Mrs. Bun­ting. »Und das Geld ist weg.«

      Sie eil­ten zur Tür.

      »Von al­len au­ßer­ge­wöhn­li­chen Er­eig­nis­sen –« Man hör­te ein hef­ti­ges Nie­sen im Flur. Sie stürz­ten hin­aus, und im sel­ben Au­gen­blick wur­de die Kü­chen­tür zu­ge­schla­gen. »Bring das Licht!«, rief Mr. Bun­ting und eil­te vor­an. Bei­de hör­ten sie das Klir­ren schnell zu­rück­ge­scho­be­ner Rie­gel.

      Als sie die Kü­chen­tür auf­mach­ten, sa­hen sie durch die Spül­kam­mer, dass die Haus­tür eben ge­öff­net wur­de, und in dem un­ge­wis­sen Licht der Däm­me­rung stieg die dunkle Mas­se des Gar­tens vor ih­nen auf. Sie wa­ren über­zeugt, dass nie­mand aus der Tür hin­aus­ging. Sie öff­ne­te sich, stand einen Mo­ment lang of­fen und schlug dann zu. Zu­gleich fla­cker­te das Licht auf, das Mrs. Bun­ting aus dem Stu­dier­zim­mer ge­bracht hat­te … Es währ­te ei­ni­ge Mi­nu­ten, ehe sie die Kü­che be­tra­ten.

      Der Raum war leer. Sie ver­schlos­sen die Hin­ter­tür, durch­such­ten gründ­lich die Kü­che, die Vor­rats­kam­mer und den Spül­raum und gin­gen zu­letzt in den Kel­ler. So­viel sie auch such­ten, es war kei­ne See­le im Hau­se zu fin­den.

      Das Ta­ges­licht fand den Pfar­rer und sei­ne Frau, ein selt­sam ge­klei­de­tes Pär­chen, bei dem über­flüs­sig ge­wor­de­nen Licht ei­ner trop­fen­den Ker­ze, noch im­mer ein­an­der ver­wun­dert an­bli­ckend.

      »Von al­len un­ge­wöhn­li­chen Er­eig­nis­sen«, be­gann der Pfar­rer zum zwan­zigs­ten Male.

      »Mein Lie­ber«, sag­te Mrs. Bun­ting, »ich höre Susi so­eben her­un­ter­kom­men. War­te hier, bis sie in die Kü­che ge­gan­gen ist und dann trach­te, un­be­merkt hin­auf­zu­kom­men.«

      6. Kapitel – Das verhexte Zimmer

      Nun ge­sch­ah es, dass am frü­hen Mor­gen des Pfingst­mon­tags, be­vor Mil­lie aus den Fe­dern ge­trie­ben wur­de, Mr. und Mrs. Hall ge­mein­sam auf­stan­den und ge­räusch­los in den Kel­ler gin­gen. Ihre Ar­beit dort war eine Pri­vat­an­ge­le­gen­heit und stand im Zu­sam­men­hange mit dem spe­zi­fi­schen Ge­wicht ih­res Bie­res.

      Sie wa­ren kaum im Kel­ler an­ge­langt, als Mrs. Hall fand, dass sie die Fla­sche Sass­a­pa­ril­le aus ih­rem ge­mein­sa­men Zim­mer mit­zu­neh­men ver­ges­sen hat­te. Da sie die Sach­ver­stän­di­ge und Lei­te­rin in die­ser klei­nen An­ge­le­gen­heit war, so war es nur in der Ord­nung, dass Hall die Fla­sche hol­te.

      Im Flur sah er mit Er­stau­nen, dass die Tür des Frem­den halb of­fen stand. Er ging in sein ei­ge­nes Zim­mer und fand die Fla­sche an ih­rem Platz.

      Als er aber mit der­sel­ben zu­rück­kehr­te, be­merk­te er, dass die Rie­gel der Haus­tür zu­rück­ge­scho­ben und das Tor nur ein­fach zu­ge­klinkt war. Wie ein Blitz durch­zuck­te ihn der Ge­dan­ke, die­se Tat­sa­che mit des Frem­den Zim­mer im ers­ten Stock und dem Ver­dacht, den ihm Ted­dy Hen­frey ein­ge­flö­ßt hat­te, in Ver­bin­dung zu brin­gen. Er er­in­ner­te sich deut­lich, das Licht ge­hal­ten


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