H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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über den Bett­pfos­ten ge­stülpt.

      Wie Hall dort stand, drang die Stim­me sei­ner Frau in dem fra­gen­den Ton­fal­le höchs­ter Un­ge­duld aus den Tie­fen des Kel­lers zu ihm her­auf: »Ge­org! Hast du, was wir brau­chen?«

      Da­rauf wand­te er sich um und eil­te zu ihr hin­un­ter. »Jen­ny!«, rief er ihr über das Ge­län­der der Kel­ler­stie­ge zu, »Hen­frey hat recht mit dem, was er sagt; er ist nicht in sei­nem Zim­mer und die Haus­tür ist nicht ver­rie­gelt!«

      An­fangs ver­stand ihn Mrs. Hall nicht; aber so­bald sie es be­griff, be­schloss sie, sich das lee­re Zim­mer selbst an­zu­se­hen. Hall, der die Fla­sche noch im­mer in der Hand hielt, ging vor­an. »Wenn er auch nicht da ist«, sag­te er, »sei­ne Klei­der sind da. Und was kann er ohne Klei­der tun? Eine sehr ku­rio­se Ge­schich­te!«

      Als sie die Kel­ler­trep­pe her­auf­ka­men, glaub­ten sie bei­de, wie man spä­ter fest­stell­te, die Haus­tür auf- und zu­ge­hen zu hö­ren. Aber da sie sa­hen, dass die Tür ge­schlos­sen und nichts dort war, mach­te da­mals kei­ner von bei­den eine Be­mer­kung dar­über. Auf dem Gang eil­te Mrs. Hall an ih­rem Gat­ten vor­bei und lief zu­erst die Trep­pe hin­auf. Je­mand nies­te auf der Stie­ge. Hall, der sechs Schrit­te hin­ter ihr ging, glaub­te, dass sie ge­nießt habe. Sie, die vor­an­ging, war der Mei­nung, dass es ihr Mann ge­we­sen sei. Sie riss die Tür auf und sah ins Zim­mer hin­ein. »Das ist doch merk­wür­dig«, sag­te sie.

      Sie hör­te ein Räus­pern dicht hin­ter sich; und als sie den Kopf wand­te, war sie er­staunt, Hall ein Dut­zend Schrit­te weit ent­fernt auf der obers­ten Stu­fe zu se­hen. Aber im nächs­ten Au­gen­blick stand er ne­ben ihr. Sie beug­te sich nie­der und leg­te ihre Hand auf das Kis­sen und dann un­ter das Bet­tuch.

      »Ganz kalt«, sag­te sie. »Er ist seit mehr als ei­ner Stun­de auf.«

      Da er­eig­ne­te sich et­was höchst Wun­der­ba­res.

      Die Bet­tü­cher ball­ten sich zu­sam­men, er­ho­ben sich plötz­lich zu ei­ner Art Hü­gel und flo­gen dann ge­ra­de­aus über den Bett­rand hin­weg. Gera­de, als ob eine Hand sie in der Mit­te ge­packt und bei­sei­te ge­wor­fen hät­te. Un­mit­tel­bar dar­auf schnell­te der Hut vom Bett­pfos­ten weg, flog im Halb­kreis durch die Luft und traf Mrs. Hall mit­ten ins Ge­sicht. Eben­so schnell kam der Schwamm vom Wasch­tisch und dann dreh­te der Stuhl – des Frem­den Rock und Bein­klei­der nach­läs­sig bei­sei­te wer­fend und mit ei­nem, dem des Frem­den merk­wür­dig ähn­lich klin­gen­den tro­ckenen Auf­la­chen – alle vier Bei­ne ge­gen Mrs. Hall, schi­en einen Au­gen­blick auf sie zu zie­len und ging dann auf sie los. Sie kreisch­te auf und dreh­te sich um; da ka­men die Stuhl­bei­ne lang­sam, aber si­cher auf ih­ren Rücken zu und trie­ben sie und Hall aus dem Zim­mer. Die Tür schlug hef­tig zu und wur­de ver­rie­gelt. Ei­nen Au­gen­blick lang schie­nen Stuhl und Bett einen Sie­ge­stanz auf­zu­füh­ren, dann wur­de plötz­lich al­les still.

      Mrs. Hall lag halb ohn­mäch­tig in den Ar­men ih­res Gat­ten. Mit schwe­rer Mühe ge­lang es ihm und Mil­lie, die durch das Angst­ge­schrei wach ge­wor­den war, sie die Trep­pe hin­un­ter­zu­schaf­fen und mit den Mit­teln, die man in sol­chen Fäl­len an­zu­wen­den pflegt, zu stär­ken.

      »Das wa­ren Geis­ter!«, stöhn­te Mrs. Hall. »Ich weiß, dass es Geis­ter wa­ren. Ich habe in den Zei­tun­gen da­von ge­le­sen. Ti­sche und Stüh­le sprin­gen und tan­zen her­um …«

      »Nimm noch einen Trop­fen, Jen­ny«, be­gü­tig­te Hall. »Es wird dich be­ru­hi­gen.«

      »Sperr ihn aus! Lass ihn nicht wie­der her­ein! Ich ahn­te es … Ich hät­te es wis­sen kön­nen! Mit sei­nen Glasau­gen und dem ver­bun­de­nen Kopf, und nie ging er Sonn­tags in die Kir­che, und alle die­se Fla­schen, mehr als ein Chris­ten­mensch ha­ben darf. Er hat die Mö­bel ver­hext … Mei­ne gute alte Zim­mer­ein­rich­tung! In die­sem sel­bi­gen Stuhl pfleg­te mei­ne lie­be se­li­ge Mut­ter zu sit­zen, wie ich noch ein klei­nes Mäd­chen war! Zu den­ken, dass er jetzt auf mich los­geht!«

      »Nimm noch einen Trop­fen, Jen­ny«, sag­te Hall, »dei­ne Ner­ven sind in ei­nem schreck­li­chen Zu­stand.«

      Im gol­de­nen Mor­gen­son­nen­schein schick­ten sie Mil­lie über die Gas­se, Mr. San­dy Wad­gers, den Schmied, zu we­cken.

      »Eine Emp­feh­lung von Mr. Hall und die Mö­bel oben be­neh­men sich so selt­sam, ob Mr. Wad­gers her­über­kom­men wol­le?«

      Mr. Wad­gers war ein klu­ger Mann und ein fin­di­ger Kopf. Er nahm den Fall sehr ernst­haft. »Ich will ver­dammt sein, wenn das nicht Hexe­rei ist«, war sei­ne An­sicht. »Sol­chen Din­gen ist man nicht ge­wach­sen.«

      Sehr be­däch­tig folg­te er dem Rufe. Sie ba­ten ihn, vor­aus ins Zim­mer hin­auf­zu­ge­hen, aber er schi­en es da­mit nicht ei­lig zu ha­ben und zog es vor, auf dem Gan­ge mit ih­nen zu spre­chen. Drü­ben kam Hux­ters Lehr­ling her­aus und be­gann die Fens­ter­la­den zu öff­nen. Er wur­de her­über­ge­ru­fen, um an der Be­ra­tung teil­zu­neh­men. Na­tür­li­cher­wei­se folg­te ihm Mr. Hux­ter we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter. Die Nei­gung des An­gel­sach­sen für par­la­men­ta­ri­sche For­men trat deut­lich zu­ta­ge: es wur­de sehr viel ge­spro­chen, aber we­nig ge­tan.

      »Wir wol­len erst die Tat­sa­chen re­ka­pi­tu­lie­ren«, ver­lang­te Mr. San­dy Wad­gers. »Wir müs­sen uns klar dar­über sein, ob wir auch recht dar­an tun, die Tür dort ge­walt­sam zu öff­nen. Eine un­ver­sperr­te Tür kann man im­mer öff­nen, aber wenn man ein­mal eine er­bro­chen hat, kann man es nicht mehr un­ge­sche­hen ma­chen.«

      Und plötz­lich und wun­der­ba­rer­wei­se öff­ne­te sich die Tür des Zim­mers oben von selbst, und wie sie be­trof­fen hin­auf­blick­ten, sa­hen sie auf der Trep­pe die ver­mumm­te Ge­stalt des Frem­den, der sie mit sei­nen un­ver­nünf­tig großen Schutz­glä­sern noch star­rer und un­durch­dring­li­cher als sonst an­blick­te. Steif und lang­sam kam er her­ab, den Blick un­ver­wandt auf sie ge­hef­tet. Er ging durch den Flur, glotz­te sie an, dann blieb er ste­hen.

      »Da – seht«, sag­te er. Ihre Au­gen folg­ten der Rich­tung sei­nes be­hand­schuh­ten Fin­gers und sa­hen eine Fla­sche Sass­a­pa­ril­le dicht ne­ben der Kel­ler­tür ste­hen. Dann ging er ins Gast­zim­mer und schlug schnell und bos­haft die Tür vor ih­rer Nase zu.

      Kein Wort wur­de ge­spro­chen, bis das letz­te Echo ver­hallt war. Sie starr­ten ein­an­der an.

      »Wenn ich es nicht mit mei­nen ei­ge­nen Au­gen ge­se­hen hät­te!«, be­gann Mr. Wad­gers, ließ aber den Satz un­voll­en­det.

      »Ich wür­de hin­ein­ge­hen und mit ihm spre­chen«, wand­te er sich hier­auf zu Hall. »Ich wür­de auf ei­ner Er­klä­rung be­ste­hen.«

      Es brauch­te ei­ni­ge Zeit, be­vor man den Mann so weit ge­bracht hat­te. End­lich klopf­te er an, öff­ne­te die Tür und be­gann:

      »Bit­te um Ent­schul­di­gung …«

      »Ge­hen Sie zum Teu­fel!«, rief der Frem­de mit fürch­ter­li­cher Stim­me, »und schlie­ßen Sie die Tür hin­ter sich!«

      So en­dig­te die­se kur­ze Un­ter­re­dung.

      7. Kapitel – Die Demaskierung des Fremden

      Ge­gen halb sechs Uhr mor­gens hat­te der Frem­de das klei­ne Gast­zim­mer im »Fuhr­mann« be­tre­ten, und dort blieb er bei ge­schlos­se­nen Tü­ren


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