TESLAS GEHEIMNIS (Project 5). Alex Lukeman
sah etwas frischer aus als Nick, aber nur ein wenig. Ihr Gesicht zeigte Spuren von Ermüdung und ihre veilchenblauen Augen waren mit roten Äderchen durchzogen. Ihre rotblonden Haare hatte sie zu einem kurzen Pferdeschwanz zurückgebunden, der von einem Gummiband gehalten wurde. Sie ließ die Haare einfach wachsen.
Kein Vergleich mehr zu dem Tag, als sie das erste Mal hier hereinspazierte, dachte Harker. Sie hatte sich verändert. Der Look des reichen, verwöhnten Mädchens war verschwunden.
»Die drei Männer in Kalifornien waren Ex-Militärs. Ihre Fingerabdrücke tauchten in den Datenbanken auf. Von dem, der verbrannte, konnten wir keine mehr sicherstellen, aber die anderen arbeiteten früher für Langley.«
»Also Söldner und Ex-Agenten«, sagte Nick.
»Genau.«
»Das gefällt mir nicht. Wo hatten wir das schon mal? Spione und Söldner?«
»In Texas«, sagte Ronnie. Er spürte immer noch die Nachwirkungen der Verletzung, die er sich dort zugezogen hatte. »Glauben Sie, dass es die gleichen Leute sind, Direktorin?«
»Ja. Auf dem Telefon, das Nick fand, war ein eingegangener Anruf. Er ließ sich zu einer Firma namens Endgame Development zurückverfolgen. Die Firma entwickelt interaktive, gewalttätige Videospiele. Sachen wie Freitag der 13., aber in 3D und High Definition. Endgame ist eine Unterfirma eines Tochterunternehmens des Unterhaltungskonzerns, der Malcolm Foxworth gehört.«
»Foxworth steckt hinter AEON.«
»Deshalb glaube ich, dass es die gleichen Leute sind.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Nick.
»Endgame hat seine Büros in Brighton Beach in Brooklyn. Ich möchte, dass Sie und Lamont sich dort umschauen und sehen, was Sie herausfinden können.« Elizabeth spielte weiter mit ihrem Kugelschreiber. »Es könnte sich um einen Präventivschlag gehandelt haben, um uns aus irgendeinem Grund aus dem Weg zu räumen. Man hatte es ganz sicher deshalb auf Sie abgesehen, weil Sie die vier Kernpersonen unseres Einsatzteams bilden. Stephanie und ich standen wahrscheinlich als nächste auf ihrer Liste, nachdem sie sich um den schusskräftigen Teil unserer Organisation gekümmert hätten.«
»Ein großer Fehler.« Lamont lächelte. »Die kannten Sie beide wohl nicht sehr gut.«
Lamont war aus den Navy Seals ausgeschieden und danach direkt zu Project gewechselt. Die lange Narbe eines Granatsplitters zog sich von seiner Stirn über Nase und Wange. Sie bildete eine dünne, rosafarbene Furche auf seiner kaffeebraunen Haut. Er hatte hellblaue Augen, ein Geschenk seines äthiopischen Großvaters.
»Was könnten sie vorhaben?«, fragte Selena.
Harker tippte mit ihrem Kugelschreiber auf den Tisch. »Wenn die Vergangenheit ein Indikator ist, dann werden wir das sehr bald herausfinden.«
Kapitel 5
Der Mann, der die Geschicke von AEON leitete, sah aus Fenstern seines Penthouse auf die Londoner Innenstadt hinaus. Von hier aus konnte er beinahe die gesamte Stadt überblicken – ein guter Ort, um über seine Macht nachzudenken.
Malcolm Foxworth war ein kleiner Mann mit einer ungeheuren Ausstrahlung. Sein Haar war schwarz, mit silbernen Strähnen durchsetzt und gut frisiert. Seine Ohren schienen ein wenig zu groß für seinen Kopf zu sein. Seine Augenbrauen bildeten dünne, schwarze Striche über schmalen Augen so blau wie Eisgletscher. Foxworths Gesicht war unauffällig, beinahe gewöhnlich. Wenn er wütend wurde, lief er rot an. Wenn er jedoch sehr wütend wurde, wurde sein Gesicht so weiß wie Kreide.
Foxworth hatte seine Karriere mit einer kleinen Zeitung begonnen, die er von seinem Vater geerbt hatte. Über die Jahre hatte er daraus ein weltweites Medienimperium geschaffen, indem er unzufriedenen Menschen genau das erzählte, was sie hören wollten. Er kontrollierte Radiostationen, Zeitungen, Magazine und Fernsehsender, die alle eine Sache gemein hatten: Sie dienten dazu, jene unheilvolle Wolke der Zwietracht zu nähren und auf der ganzen Welt Angst zu schüren.
Angst war Foxworths Mittel zum Zweck. Angst siegte fast immer über Vernunft. Ängstliche Menschen wurden wütend und ließen sich so leichter manipulieren. Die großen Politiker hatten die Ängste der Menschen immer wieder dafür genutzt, ihre Ziele zu erreichen. Dann gratulierten sie sich selbst zu ihren Erfolgen und hielten sich für die Herrscher der Welt. Aber nur sehr wenige wussten, wer tatsächlich die Fäden in der Hand hielt und die Welt an ihnen zappeln ließ.
Foxworth wusste es, denn er war einer von ihnen. Die Verschwörungstheoretiker hatten tatsächlich recht in ihrer Annahme, dass es eine verborgene Geheimgesellschaft gab, welche die Weltherrschaft anstrebte – sie lagen nur mit allem anderen falsch.
Über die Jahrhunderte hinweg hatte AEON viele Namen getragen. Die Illuminaten. Die geheimen Freimaurer. Die neue Weltordnung. Die trilaterale Kommission. Die Bilderberger. Das alles waren nützliche Ablenkungsmanöver gewesen, Futter für die menschliche Paranoia. Taschenspielertricks. Niemandem war es je gelungen, die wirkliche Verschwörung aufzudecken.
Doch in den letzten Jahren war ihm zunehmend jemand in die Quere gekommen.
Irgendwer hatte Harkers Laufburschen auf die Fährte der Demeter-Operation gebracht. Das war, als hätte man Sand ins Getriebe einer komplexen Maschine geworfen. Jahre der Vorbereitung waren auf diese Art binnen weniger Stunden von einem von einer Frau angeführten Team aus ignoranten, abgehalfterten Soldaten ruiniert worden. Und das war nicht das erste Mal gewesen, dass sie eine AEON-Operation zum Scheitern gebracht hatte. Wann immer er an Harker dachte, spürte Foxworth das Verlangen, sie an der Gurgel zu packen und ihr das Genick zu brechen.
Harker bezog ihre Macht aus ihrer Nähe zum Präsidenten. Präsident Rice spielte nicht nach den Regeln. Er ließ sich nicht bestechen oder dazu überreden, zu verstehen, welche Dinge wirklich eine Rolle spielten. Er war schwach, lehnte Kriegseinsätze kategorisch ab. Ohne ihn würde Harker bedeutungslos werden.
Rices Gegner in den anstehenden Präsidentschaftswahlen war eine Marionette der AEON-Gruppe. Wahlen aber waren unvorhersehbar, egal was die Umfragen im Vorfeld sagen mochten. Foxworth hatte nicht die Absicht, bis November zu warten und zu hoffen, dass sein Mann als Sieger hervorgehen würde.
Er würde zuerst Rice umbringen lassen und dann Harker töten.
Er blickte auf die sich ständig verändernde Skyline Londons hinaus. Ein leichter Regen klopfte gegen das Glas. Jenseits der Themse zeichnete sich das gigantische Riesenrad, das die Londoner auch das Auge nannten, vor dem grauen Himmel ab.
Ein plötzlicher, schmerzhafter Stich durchfuhr ihn. Er presste seine Hand gegen das dicke Fensterglas, um sich abzustützen. Alles verschwamm vor seinen Augen. Dann verlor sich der Nebel wieder und der Schmerz in seinem Schädel ebbte ab. Unsicher wankte er zu seinem Schreibtisch und setzte sich.
Auf der anderen Seite des Raums öffnete sich eine Tür. Eine große, elegant gekleidete Frau mit blasser Haut und langen schwarzen Haaren kam herein. Sie bewegte sich mit einer unbekümmerten Leichtigkeit und voller sexueller Verheißung. Ihr cremefarbenes Kostüm hob sich leuchtend von ihren dunklen Haaren ab, ihre rote Bluse zeigte gerade genug Dekolletee, um das Auge abzulenken, und in ihrem Blick funkelten unausgesprochene Gedanken.
Mandy Atherton war als Modell auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angekommen, als sie vor zwei Jahren auf Foxworth traf. Im mörderischen Geschäft der Modedesigner und schönen Frauen gab es immer jemanden, der an ihrem Stuhl sägte. Mandy war nicht dumm. Sie wusste nur zu gut, worin ihre Zukunft lag, und das war nicht die Modeindustrie, sondern das Bett eines reichen Mannes.
In der letzten Zeit war es Foxworth zwar zunehmend schwergefallen, darin seinen Mann zu stehen, aber das war für Mandy kein Problem. Sie kannte andere Wege, um ihre Bedürfnisse zu stillen. Sie war mindestens so einfallsreich und intelligent wie schön. Tagsüber trat sie als Foxworths Assistentin auf.
»Malcolm, Doktor Morel ist hier.«
»Das wurde auch Zeit. Schick ihn herein.«
Doktor