Kaiser Karl. Eva Demmerle

Kaiser Karl - Eva Demmerle


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Karl betonte mir gegenüber stets, es würde auch nichts ausmachen, wenn die eine oder andere Nation im Laufe der Entwicklung sich als Republik erklären wolle. Er meinte, dass die drei Hansestädte ja schließlich Republiken innerhalb des Deutschen Reiches seien. Die wesentliche Sache war für ihn, dass die Völker, was immer auch sie für eine konstitutionelle Form wählen würden, ihre Bindung mit der Monarchie und ihre Zugehörigkeit zum Staat als Ganzes beibehalten sollten.«18

      Insgesamt herrschte zwischen Karl und Franz Ferdinand ein gutes Einvernehmen, und Karl gewann rasch eine Vertrauensstellung bei seinem Onkel. Gemeinsam diskutierte man über Reformpläne und über den Umbau der Monarchie. Oft waren Karl und Zita bei Franz Ferdinand und der Herzogin von Hohenberg zu Gast. Im Mai 1914 kam es dabei zu einem seltsamen Gespräch, von dem Zita berichtete:

      »Ein erschreckend düsteres, tödlich ernstes Bild entstand eines Abends im Verlaufe einer Einladung ins Obere Belvedere. Schon während des Essens im kleinsten Kreis – außer uns beiden waren nur die Kinder Franz Ferdinands zugegen gewesen – fiel uns die seltsame Stimmung des Thronfolgers auf, sie schien auf etwas Bestimmtes konzentriert zu sein. Als die Herzogin von Hohenberg die Kinder fortführte, um sie schlafen zu legen, sagte Franz Ferdinand nach kurzem Schweigen: ›Ich muss euch von einer Sache Mitteilung machen. Ich werde demnächst ermordet werden!‹ Der Erzherzog-Thronfolger hatte leise, aber vollkommen klar gesprochen. Ein Missverständnis war ausgeschlossen. Wir beide blickten Franz Ferdinand entsetzt, ja verstört an. Endlich sagte Erzherzog Karl, so, als wolle er den Bann des eben Gehörten brechen, als wolle er durch eine absurde Widerlegung das Absurde des eben Gehörten aufheben: ›Aber Onkel, das ist doch nicht möglich! Und überhaupt: Wer würde denn ein solches Verbrechen begehen!‹ Obwohl nur Karl gesprochen hatte, richtete der Thronfolger die Antwort, seltsam autoritär, an uns beide: ›Widerspricht mir nicht! Ich weiß es ganz sicher. In wenigen Monaten bereits werde ich ermordet werden!‹ In die Sekunden des Schweigens hinein, die nun folgten, sagte der Thronfolger mit klarer, sachlicher Stimme: ›Karl, für dich liegen in einem verschlossenen Kasten bestimmte Papiere. Sie gehören nur für dich, nimm sie nach meinem Tod an dich. Es sind Pläne, Gedanken, Vorstellungen. Vielleicht sind sie dir von Nutzen. Wie ihr wisst, ist in Artstetten alles vorbereitet, die Gruft wartet. Demnächst werde ich dorthin gebracht werden.‹«19

      Der 28. Juni 1914

      Die Reise nach Sarajevo war der erste gemeinsame offizielle Auftritt von Franz Ferdinand und Sophie innerhalb der Monarchie. Franz Ferdinand selbst hatte kein gutes Gefühl vor dieser Reise. Er scheint dies auch mit Kaiser Franz Joseph besprochen zu haben, der allerdings seinem Neffen selbst die Entscheidung überlassen hatte, ob er fahren wolle oder nicht.20 Die ersten Tage des Aufenthalts in Bosnien ab dem 25. Juni verliefen ohne Probleme. Der 28. Juni war der letzte Tag des Besuches. Sarajevo war voller Menschen. Über Bedenken bezüglich der Sicherheitslage setzte man sich hinweg, Landeschef Potiorek verzichtete auf den Einsatz von Militär für den geplanten Autokorso durch die Innenstadt.

      Bereits auf der Hinfahrt zum Rathaus wurde eine Bombe auf das Auto des Thronfolgers geworfen, verfehlte aber ihr Ziel und landete unter dem nächsten Fahrzeug. Es gab einige Verletzte, die ins Krankenhaus gebracht wurden. Nach kurzer Unterbrechung fuhr der Konvoi weiter zum Rathaus. Letztlich kann man die folgenden Entscheidungen als waghalsig bezeichnen. Anstatt das Programm abzuändern, entschied man sich für die Fortsetzung der Fahrt, Franz Ferdinand lehnte sogar die Räumung der Straßen ab. Lediglich die Route sollte etwas abgeändert werden, allerdings wurde diese Veränderung nicht an den Fahrer weitergegeben. Gerade als bemerkt wurde, dass die Route falsch war und der Konvoi an der Lateinerbrücke zum Stehen kam, sah der Attentäter Gavrilo Princip seine Chance und schoss. Zuerst traf er die Herzogin, mit dem zweiten Schuss den Thronfolger. Eiligst wurden die Verletzten in den Konak gefahren, doch man konnte nichts mehr für sie tun.21 Sie starben kurz hintereinander.

      Die Nachricht von der Ermordung des Thronfolgers und seiner Frau erreichte Karl und Zita eben, als sie im Garten der Villa Wartholz in Reichenau beim Mittagessen saßen. Per Telegramm teilte Baron Rumerskirch, der Adjutant von Erzherzog Franz Ferdinand, mit: »Bedaure zutiefst, melden zu müssen, Erzherzog Franz Ferdinand und Gemahlin sind hier ermordet worden.« Karl ließ sich sofort mit Kaiser Franz Joseph, der wie jedes Jahr die Sommerzeit in Bad Ischl verbrachte, telefonisch verbinden, um sich über die schrecklichen Nachrichten Sicherheit zu verschaffen. Der Kaiser bat, ihn am Bahnhof in Wien zu erwarten, und wenige Stunden später fuhren beide gemeinsam nach Schönbrunn. Im Auto sagte der Kaiser zu seinem Großneffen: »Auf dich kann ich mich auf jeden Fall verlassen.«

      Europa war erschüttert über die Nachricht vom Attentat. Aus London und Berlin kamen entsetzte und anteilnehmende Telegramme. Das Entsetzen war auch in Österreich groß, wenn sich auch die gesellschaftliche Trauer in Grenzen hielt; Franz Ferdinand war nicht sehr beliebt gewesen. Auch ungarische Regierungskreise waren nicht unglücklich, aber alle teilten den Eindruck, dass der Fürstenmord ein tief einschneidendes Ereignis war. Eine wichtige Perspektive der Monarchie schien verloren, der Träger von Ideen und Erwartungen war nun nicht mehr.

      Die darauffolgenden Tage waren für Karl von den Trauerfeierlichkeiten für seinen toten Onkel und dessen Gattin geprägt. Am 2. Juli erwarteten Karl und Obersthofmeister Fürst Montenuovo die beiden Särge am Südbahnhof und geleiteten sie zur Hofburg. Dem Kondukt schlossen sich spontan zahlreiche Offiziere und Adelsvertreter an. Kritiker monierten das angeblich minderwertige Zeremoniell für die Fürstin, doch Kaiser Franz Joseph hatte für sie das gleiche Zeremoniell angeordnet wie für seine 1898 ermordete Gattin Elisabeth. Am 4. Juli erfolgte die Beisetzung in der Gruft von Schloss Artstetten, auch hier nahmen Karl und Zita teil.

      Schwerer als ein angeblich zu niedriges Zeremoniell wog allerdings die Entscheidung, die Beerdigung sozusagen im »Familienkreis« zu organisieren. Kaiser Wilhelm hatte geplant, zur Beerdigung anzureisen, aber Wien hatte abschlägig entschieden. Kein einziges Staatsoberhaupt, kein einziger Regierungschef nahm teil. So wurde eine Chance vergeben. Am Rande der Feierlichkeiten wäre es zu politischen Gesprächen gekommen, die den Verlauf der kommenden Wochen sicherlich bestimmt hätten.

      Der Juli 1914 war geprägt von einer unheilvollen Dynamik, die sich zwischen dem Dreibund einerseits und der Entente Cordiale andererseits aufschaukelte. Deutschland gab Österreich einen »Freibrief« für eine Strafmaßnahme gegen Serbien. Am 19. Juli richtete Wien ein Ultimatum an Belgrad – und ging immer noch von einem lokalen Konflikt aus. Die Serben wiederum hielten sich an Russland und lehnten das Ultimatum ab. Die österreichische Kriegserklärung an Serbien vom 28. Juli löste eine Kettenreaktion aus. Binnen weniger Tage befand sich Europa im Krieg.

      Verwendung Karls im Krieg

      Erzherzog Karl fand sich nun in der Rolle des Thronfolgers wieder, womit er eigentlich erst in einigen Jahrzehnten gerechnet hatte. Er versuchte noch rasch, die für ihn vorgesehenen Akten von Franz Ferdinand zu bekommen. Allerdings wurden diese von der Umgebung Franz Ferdinands rasch verschlossen und die Militärkanzlei aufgelöst. Man dachte nicht einmal daran, die Kanzlei dem neuen Thronfolger zur Verfügung zu stellen. In die politischen und militärischen Beratungen vor Kriegsbeginn wurde er in keiner Weise eingebunden. Für Conrad von Hötzendorf und Erzherzog Friedrich war er einfach keine Größe. Es ist aber auch wahrscheinlich, dass Kaiser Franz Joseph ihn von allem unbelastet wissen wollte, wohl ahnend, dass er selbst das Ende des Krieges nicht erleben würde und es seinem Nachfolger bestimmt sei, den Krieg zu beenden.

      Es stellte sich nun die Frage der Verwendung Karls. Bei Hofe gab es verschiedenste Gruppen, die den alten Kaiser entsprechend zu beeinflussen versuchten, welches die besten Aufgaben für seine Nachfolger seien. Seinen ersten Fronteinsatz erlebte Karl im Armeeoberkommando in der Festung Przemysl in Galizien für nur wenige Wochen. Zu Conrad, der versuchte, ihn von allen Informationen fernzuhalten, hatte er kein positives Verhältnis. Die Geheimniskrämerei von Conrad war auch nicht nur auf den Thronfolger beschränkt, sondern es gehörte zu seinem persönlichen Stil, Informationen zurückzuhalten, auch gegenüber Wien. Nicht zuletzt konnte Karl in dieser Zeit beobachten, wie eng sich die österreichische Armeeführung an die deutsche anlehnte. Aus dieser Zeit behielt sich Karl sein negatives Bild vom Generalstab zurück, was seine Politik unmittelbar nach seiner Regierungsübernahme erklärt.

      Im Herbst 1914 verfügte Kaiser Franz Joseph, dass Karl Verbindungsoffizier zwischen dem Kaiser und den Truppen


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