Funkelsee – Versunken in der Pferdebucht (Band 2). Ina Krabbe
Alibaba?«, krächzte sie die Namen der Pferde ihres Bruders. Vor ihr rührte sich immer noch nichts. Sollte sie umkehren? Vielleicht war es gar kein Pferd, sondern ein tollwütiges Wildschwein? Als ob sie kein Pferd von einem Wildschwein unterscheiden konnte! Malu kicherte. Aber das klang so grauenhaft in diesem stillen, dunklen Herbstwald, dass sie sofort wieder verstummte.
Vielleicht waren ja auch Luxor und Palisander ausgebüxt? Die beiden Turnierpferde, die seit letztem Monat auf Schloss Funkelfeld untergestellt waren, gehörten einer Freundin von Lenka. Mariella – Mariella Breitenstein! Malu verzog das Gesicht, als sie an das Gespann dachte. Lenka war eine ganz schön eingebildete Ziege, aber sie gehörte eben zur Familie (eine Art Halbcousine – leider!) und wohnte mit ihrem Vater Arno von Funkelfeld im alten Pförtnerhäuschen. Und Mariella? Malu konnte gar nicht so recht sagen, warum sie das Mädchen nicht mochte, eigentlich war sie immer freundlich, wenn auch ein bisschen überheblich. Wahrscheinlich reichte es auch schon, dass sie die Freundin von Lenka war. Auf jeden Fall waren die Breitensteins wohlhabend und ihre Pferde nicht irgendwelche Reitpferde, sondern reinrassige Holsteiner mit einem Stammbaum, der länger war als Malus eigener. (Obwohl sie da gar nicht so sicher war, die von Funkelfelds ließen sich schließlich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen.) Die beiden Pferde hatten ein Vermögen gekostet, wie Mariella nicht müde wurde zu betonen. Der Umstand, dass diese edlen Tiere nun in den etwas heruntergekommenen Ställen von Schloss Funkelfeld standen, war nur der Tatsache zu verdanken, dass Mariella mit Lenka befreundet war. Und dafür mussten die Funkelfelds noch dankbar sein, denn die Breitensteins zahlten viel Geld für die Einstellplätze und das wurde auf dem Schloss dringend gebraucht. Zum Glück gab es seit diesem Sommer auch noch die Tauchschule von Mario Scherz, der ein Stück des Seeufers gepachtet hatte, um in dem klaren Wasser des Funkelsees Tauchkurse abzuhalten. Damit ließ sich wenigstens ein Teil der Kosten decken, die durch den Unterhalt des Schlosses entstanden.
Malu ging vorsichtig ein paar Schritte weiter und versuchte in dem Nebel die Umrisse eines Pferdes zu erkennen. Sollte es wirklich eines von Mariellas Pferden sein, das abgehauen war, würde das mit Sicherheit einen Riesenärger geben. Wenn Luxor oder Palisander auch nur einen Kratzer abbekamen, müssten sie wahrscheinlich eine horrende Summe Schmerzensgeld zahlen und Mariella würde in einen anderen Stall umziehen, Lenka hin oder her. Sollte sie vielleicht doch besser Edgar anrufen?
DUBI-DÜLÜT-DUBIDUU tönte es schon wieder aus ihrer Hosentasche und obwohl der Ton durch den Stoff gedämpft war, machte es einen Höllenlärm! Vor ihr im Wald krachte es laut, schnaubte und dann preschte etwas knackend und knirschend durch die Büsche davon. Malus Herz machte vor Schreck einen Satz bis zum Hals. Mit zitternden Fingern fummelte sie ihr Handy aus der Hosentasche. Drei neue Nachrichten von Lea.
Habs geschafft. Bin einfach in mein Zimmer geschlichen und Mum hat nichts gemerkt.
Mist!! War doch nichts!
Meld dich! Sonst rufe ich die Polizei oder schicke meine Mutter, rat mal, was schlimmer ist???
Malu stellte ihr Handy auf Lautlos, damit es nicht noch mal so in den Wald trompetete, und tippte schnell zurück.
Bin noch unterwegs. Hier läuft ein Pferd rum. Ich muss sehen, ob es von uns ist. Voll gruselig hier. Alles voller Nebel.
Wieso bist du noch nicht zuhause???, kam es in Sekundenschnelle zurück. Niemand konnte so schnell tippen wie Lea.
Reifen platt, schrieb Malu zurück.
SUMMEN – Lea:
Was für ein Pferd?
SUMMEN – Lea:
Nebel???? Gruselig???
SUMMEN – Lea:
Bist du bescheuert???? Fahr nach Hause!!!!
Malu:
Gleich! Ich guck erst nach dem Pferd.
Schnell steckte Malu das Handy in die Hosentasche zurück, sonst würde sie hier in einer Stunde noch im Nebel stehen. Lea konnte ewig so weiterschreiben.
Aber komischerweise fühlte sie sich jetzt etwas besser – es gab noch eine Welt hinter dem Nebel-Gruselwald! Sie holte tief Luft und folgte dann langsam dem Weg in den Wald hinein. Wenn sie in fünf Minuten das Pferd nicht gefunden hatte, wollte sie Edgar anrufen. Und diese fünf Minuten würde sie auch das beharrliche Summen und Vibrieren in ihrer Hosentasche ignorieren.
Der Nebel hing wie Watte zwischen den Baumstämmen und schien alle Geräusche zu schlucken. Ob das Pferd noch in der Nähe war? Malu blieb stehen und lauschte angestrengt. Ja, tatsächlich, sie hörte ein leises Schnauben aus der Nebelwand. Nach ein paar Schritten schälte sich langsam die Kontur eines riesigen Pferdekörpers aus dem Nebel. Luxor? Palisander war kleiner und zarter, das konnte nur Luxor sein! Malu streckte ihre Hand aus, als ob sie ein Leckerchen zu vergeben hätte. »Komm, Luxor, na komm, ich hab hier was für dich«, säuselte sie.
Das Pferd machte einen vorsichtigen Schritt auf sie zu, aber komischerweise wurden seine Konturen nicht klarer, es schien fast, als ob es mit dem Nebel verschmolzen war. Oder – als ob es selbst aus Nebel bestand! Malu zog ihre Hand zurück. Sie zitterte. Das war auf keinen Fall Luxor, der schwarze Wallach von Mariella. Das Pferd vor ihr wirkte durchsichtig, irgendwie schwebend. Ein Geisterpferd!
Als dieser Gedanke Malu durch den Kopf schoss, wollte sie schon über sich selber lachen. Ein Geisterpferd, so ein Quatsch! So etwas gab es nicht und schon gar nicht hier am Funkelsee. Aber das Lachen blieb ihr im Halse stecken und ihre Beine waren weich wie Quittengelee, als der weiße Riese jetzt gemächlich auf sie zukam. Zwei Schritte vor ihr blieb er stehen und reckte vorsichtig den Kopf nach vorne. Seine grauen Nüstern blähten sich weit, als versuchte er zu erschnuppern, ob Malu wirklich etwas in der Hand hatte.
Sie zeigte ihm ihre leeren Handflächen. »Gelogen«, flüsterte sie heiser. »Ich hab dich verwechselt. Tut mir leid. Ich wollte dich nicht stören.« Malu ging langsam rückwärts, doch der Schimmel folgte ihr. Und als er jetzt den Kopf hob und nach rechts drehte, lief es Malu eiskalt den Rücken herunter. Es war, als wäre sie mitten in einen Gruselfilm geraten: In dem weißen Pferdekopf war da, wo eigentlich das linke Auge sein sollte – nichts!
2. Kapitel
Malu blickte in eine leere Augenhöhle! Ein Geisterschimmel – ohne Augen! Der Schreck schoss ihr vom Kopf bis in die Zehenspitzen. Sie wich immer weiter zurück, ohne das große Tier (Konnte man so einen Pferdegeist überhaupt als Tier bezeichnen?) aus den Augen zu lassen. Dabei fummelte sie ihr Handy aus der Hosentasche und entsperrte es mit zittrigen Fingern. Sie las gerade noch 19 neue Nachrichten von Lea, da summte es auch schon los. Doch diesmal war es nicht Lea. Edgar ruft an. Erleichtert wischte Malu über das Display, manchmal war so ein großer Bruder echt nützlich!
»Malu, wo bist du?«, dröhnte es aus dem Handy.
»Im Wald«, flüsterte Malu mit heiserer Stimme. »Hier ist ein Geist ..., ein Pferd. Ohne Augen.«
»Was ist da? Sag mir sofort, wo du bist!« Ihr Bruder klang jetzt eindeutig besorgt – und wütend. Irgendwie beides.
Der Schimmel schüttelte unwillig den Kopf, als ob Edgars Stimme ihm unangenehm wäre.
»Ein Geister...pferd ...«, stammelte Malu und starrte dabei ungläubig auf den großen weißen Kopf, der sich gedreht hatte und aus dem sie jetzt ein dunkles Auge ängstlich anguckte. Ein höchst lebendiges dunkles Auge. Es war wohl eher ein einäugiges Geisterpferd. Oder nein, es war wohl doch gar kein Geisterpferd, sondern nur ein einäugiger Schimmel, der sich verlaufen hatte. Malu spürte, wie ein hysterisches Kichern in ihr hochstieg. »Es ist nur ein Schimmel, Edgar, nur ein Pferd«, gluckste sie ins Handy.
»Sag