Funkelsee – Versunken in der Pferdebucht (Band 2). Ina Krabbe

Funkelsee – Versunken in der Pferdebucht (Band 2) - Ina Krabbe


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fiel ihr plötzlich die ganze Geschichte von gestern Abend wieder ein. Das Geisterpferd! Das Geisterpferd, was dann doch keins gewesen war. Auf ein­mal war Malu hellwach. Sie würde sich Papilopulus schnappen und nach dem Schimmel suchen. Und wenn sie dann erst mit dem Pferd in den Schlosshof geritten kam, dann würde Edgar schon sehen, dass sie recht gehabt hatte.

      Sie suchte die Wiese nach dem alten Wallach ab. Das war eigentlich das Schönste an ihrem Zimmer, von hier guckte sie direkt auf die Wiese mit dem Offenstall. Aber jetzt konnte sie Papi nirgends entdecken. Doch, da, sein Hinterteil ragte aus dem Offenstall. Wahrscheinlich hatte Edgar schon eine Portion Heu an die Pferde verteilt. Ihr Bruder war echt ein Frühaufsteher. (Vollkommen unnatürlich!)

      Aber was war das?! Malu riss ihre Augen auf und für einen Moment hatte sie das Gefühl, ihr Herz würde stehen bleiben. Papilopulus schwankte und plötzlich knickten seine Beine unter ihm weg!

      3. Kapitel

      Im nächsten Moment hatte Papilopulus sich wieder gefangen und stand aufrecht. War er gestolpert? Malu starrte mit klopfendem Herzen aus dem Fenster. Nein, irgendetwas stimmte ganz und gar nicht da unten. Papis Beine begannen wieder zu zittern und dann brach er von einem Moment auf den anderen zusammen!

      Malu hörte sich selbst laut aufschreien. Sie raste die Treppe herunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. In der Küche prallte sie fast gegen Edgar, der vor dem Küchentisch stand und in dem Päckchen wühlte, das er vom Postboten bekommen hatte. Blitzschnell verschwanden seine Hände hinter dem Rücken und er blickte seine Schwester schuldbewusst an. »Was ist denn mit dir los?«, stammelte er.

      Malu registrierte das alles nur im Vorbeilaufen. »Papi, er braucht Hilfe!«, keuchte sie und war schon aus der Haus­tür. Sekunden später war Edgar neben ihr und sie erreichten den Offenstall gleichzeitig.

      Das große dunkelbraune Pferd lag hilflos auf der Seite, sein Atem ging schnell und stoßweise. Das Fell war schweißnass und seine Beine zuckten unkontrolliert. Panik stand in seinen Augen. Malu zerriss es fast das Herz, ihren Freund so leiden zu sehen! Sie schluchzte laut auf, als sie sich neben seinen riesigen Kopf fallen ließ und ihm über den weißen herzförmigen Fleck auf dem Nasenrücken strich. »Ganz ruhig, Papi, ruhig, mein Dicker«, murmelte sie. »Es wird alles gut. Was hat er nur, Edgar?« Sie warf ihrem Bruder einen verzweifelten Blick zu.

      Doch der schüttelte nur ratlos den Kopf. »Ich ruf den Tierarzt«, stieß er hervor und rannte zurück zum Haus.

      Wenig später kam Gesine über den Schlossplatz gelaufen, die imposante Frau mit den kurzen grauen Haaren war trotz ihres stolzen Alters noch recht agil. Gesine von Funkelfeld war die Großtante von Malu und Edgar und wohnte mit ihrem alten Kakadu Rosa im rechten Neben­trakt des Schlosses. Als sie den liegenden Papilopulus im Offenstall entdeckte, hielt sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Malu, was ist passiert?« Automatisch war ihre Stimme nur noch ein Flüstern, als könnte ein lauter Ton das Leiden des Pferdes verschlimmern.

      Malu zuckte hilflos mit den Schultern und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich weiß es nicht, er ist plötzlich zusammengebrochen. Edgar ruft gerade den Tierarzt.«

      Gesine von Funkelfeld war zwar eine alte Frau, aber sie hatte ihr ganzes Leben mit Pferden verbracht, schließlich war Schloss Funkelfeld früher ein bekanntes Gestüt gewesen, da hielt sie sich nicht lange mit Jammern auf. »Er muss aufstehen. Komm Malu, du musst mir helfen. Hol sein Halfter.«

      Malu strich ihrem Freund noch einmal über den nassen Hals, dann sprang sie auf und holte Halfter und Führstrick. Sie zwängten es dem geschwächten Pferd über den Kopf, während Malu entschuldigend auf ihn einmurmelte. Hoffentlich wusste Gesine, was sie tat!

      Die alte Dame gab ihr Anweisungen, wie sie Papilopulus in eine aufrechte Haltung bekommen konnte und Malu hatte alle Mühe ihnen zu folgen. Sie zerrte Papilopulus’ Kopf nach oben, damit er gezwungen war, aufzustehen. Mühsam drückte das alte Pferd seine Vorderbeine durch, aber so sehr es sich auch bemühte, es bekam sein Hinterteil einfach nicht hoch. Malu verschwamm die Welt vor Augen. Wieso musste sie Papi so quälen? War das richtig, was Gesine da verlangte?

      »Wartet, ich helfe euch!« Mit einem Satz sprang Edgar über den Zaun und stemmte sich mit Gesine gegen den Pferdehintern. Und endlich stand Papilopulus. Mit zittrigen Beinen zwar, aber er stand!

      Doch zum Verschnaufen blieb keine Zeit. »Wir brauchen Wasser, schnell!« Gesine scheuchte Edgar, während Malu den Pferdekopf am Halfter nach oben hielt, bis ihr Bruder mit einem Eimer Wasser zurück war. Dann versenkte Papilopulus sein Maul darin und sog die Flüssigkeit gierig ein.

      Edgar klopfte dem alten Pferd beruhigend den Hals. »Das wird schon wieder, mein Alter. Doktor Wellhorn hat versprochen sofort loszufahren«, berichtete er Malu, die immer noch krampfhaft den Strick umklammerte.

      Magnus Wellhorn war schon seit Ewigkeiten Tierarzt der von Funkelfelds und obwohl er seit ein paar Jahren in Rente war, gab es noch ein paar alte Lieblingskunden, die er weiterhin besuchte. Und dazu gehörte auch Gesine. (Malu hatte sogar das Gefühl, dass ihre Großtante seine allerliebste Lieblingskundin war!)

      Es kam Malu wie Stunden vor, bis endlich Doktor Well­horns hellblauer VW-Bus durch das Schlosstor fuhr und vor dem Holzzaun zum Stehen kam – dabei hatte der Tierarzt den Weg in sensationellen zehn Minuten geschafft. Ein hagerer Mann mit halblangen grauen Haaren sprang aus dem Wagen, schnappte sich seinen abgeschabten Arztkoffer vom Rücksitz und eilte auf die kleine Ansammlung im Offenstall zu. Ein kurzes Kopfnicken musste als Begrüßung reichen, dann stand er schon neben dem keuchenden Pferd.

      Malu beobachtete angespannt, wie er das Tier mit seinen sehnigen Händen abtastete, mal hier und mal da drückte, während Gesine ihm in knappen Worten erzählte, was passiert war. Dann holte er ein Stethoskop aus der Tasche und horchte Papilopulus’ Bauch ab. Nach einem Blick ins Maul schüttelte er leicht den Kopf.

      In Malu krampfte sich alles zusammen. »Was ist mit ihm?« Ihre Stimme klang ganz heiser vor Angst.

      Der Tierarzt strich sich die Haare aus dem Gesicht und sah das Mädchen ernst an. »Das sieht ganz nach einer Vergiftung aus. Hat dein Pferd irgendetwas anderes gefressen als sonst? Habt ihr das Futter gewechselt?« Mit der letzten Frage wandte er sich direkt an Gesine, doch die schüttelte den Kopf. »Nein, es ist alles wie immer.«

      »Ich werde ihm jetzt erst mal eine Injektion geben, die seinen Kreislauf stabilisiert.« Doktor Wellhorn wühlte in seiner Tasche und holte eine riesige Spritze und ein Fläschchen mit einer hellen Flüssigkeit heraus, die er aufzog und Papilopulus unter das Fell spritzte. »Und dann werde ich ihm noch eine Portion Kohle verabreichen, die saugt das Gift aus dem Magen. Aber das Wichtigste ist ...«, der Doktor verstaute Spritze und Flasche mit geübten Griffen wieder in der Tasche und ließ sie zuschnappen, »das Wichtigste ist, dass wir die Giftquelle finden. Er darf auf keinen Fall mehr davon zu sich nehmen.«

      »Wo soll denn hier Gift herkommen?« Malu sah sich verzweifelt um.

      »Was ist denn mit Konstantinopel los?«, rief eine Stimme hinter ihr. Lenka! Die hatte ihr gerade noch gefehlt. Malu hatte ihre Großcousine gar nicht kommen gehört. Ob sie schon länger dort gestanden hatte?

      Lenka warf ihre langen blonden Haare zurück und schaute Edgar auffordernd an. »Was ist passiert?«

      »Papilopulus hat scheinbar etwas Giftiges gefressen«, erklärte er dem Mädchen und zuckte dann mit den Schultern. »Wir wissen aber nicht, was das gewesen sein könnte.«

      Lenka zog die Augenbrauen hoch und betrachtete das alte Pferd abschätzend. »Vielleicht sind das ja auch nur Alterserscheinungen und er wird ein bisschen tatterig.«

      Bevor Malu sich auf sie stürzen konnte, ging Gesine dazwischen und wies das Mädchen zurecht. »Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zu streiten. Und Lenka, unterlass bitte deine unpassenden Bemerkungen!«

      »Wir sollten mal einen Blick in den Futtertrog werfen«, schlug der Tierarzt vor und stiefelte in den Offenstall.

      Gesine ließ sich stöhnend auf


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