Funkelsee – Versunken in der Pferdebucht (Band 2). Ina Krabbe

Funkelsee – Versunken in der Pferdebucht (Band 2) - Ina Krabbe


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hatte Malu heute Vormittag noch keine Sekunde gedacht, aber das war ja auch kein Wunder, bei der ganzen Aufregung um Papilopulus. Sie warf ihrem Bruder einen triumphierenden Blick zu. Edgar nickte knapp und machte ihr heimlich Zeichen, die sie nicht verstand. »Siehst du, es war ...« Doch dann verstummte sie, als ihr klar wurde, was Edgar meinte. Sie durfte unter gar keinen Umständen erwähnen, dass sie noch so spät alleine unterwegs gewesen war, also schluckte sie den Rest des Satzes herunter.

      »Was war?«, fragte Gesine nach.

      »Ach nichts«, wiegelte Malu schnell ab und lief zur Tür. »Ich muss jetzt wieder zu Papilopulus.« Im Türrahmen drehte sie sich noch mal um. »Doktor Wellhorn, meinen Sie, Papi ist stark genug, dass ich ihn jetzt auf die andere Wiese bringen kann?«

      Der nickte. »Auf jeden Fall. Bewegung wird ihm guttun.«

      Malu nickte und rannte dann über den Hof zurück zum Offenstall. Leider standen die beiden Mädchen immer noch am Holzzaun und unterhielten sich. Mariella machte weit ausholende Bewegungen mit den Armen und zeigte immer wieder auf die Wiese, als ob sie Lenka etwas erklären würde. Als Malu näherkam, verstummte sie, nur Lenka plapperte weiter. »... wir haben uns gestern auch ein Haus angeguckt, ach was, Haus, das war eher eine Villa, total schick, mit Pool. Zum Glück werden wir bald umziehen. Endlich raus aus diesem muffigen Pförtnerhaus.« Dabei warf sie Malu einen giftigen Blick zu, als wäre es ihre Schuld, dass sie dort mit ihrem Vater wohnen musste.

      Malu beschloss sich nicht weiter von den Mädchen stör­en zu lassen. Sie nötigte Papilopulus, noch mal aus dem Eimer zu trinken, dann führte sie ihn langsam zum Ausgang.

      »Na, hoffentlich schafft der Arme den Weg zum See überhaupt noch.« Natürlich Lenka!

      Malu kamen wieder die Pferdeäpfel in den Sinn und sie holte tief Luft. Sie spürte förmlich den abschätzenden Blick des Mädchens auf ihrer Haut und er brannte wie Feuer. Nein, keine Pferdeäpfel. Sie würde jetzt einfach mit Papi durch dieses Tor verschwinden. Sie schob den Balken zurück, der die Weide verschloss.

      »Wenn das Pferd weg ist, kann hier endlich der Spring­platz eingerichtet werden, Mariella. Dann kannst du mit Luxor richtig trainieren. Das wird super.« Malu konnte Lenkas Grinsen förmlich hören.

      Das war zu viel! Malu spürte, wie sie rot anlief. Sie ließ den Führstrick los und ging mit geballten Fäusten auf das Mädchen zu. »Das hier ist Papilopulus’ Weide, kapiert! Das ist sie seit Jahren und das wird sie auch bleiben!«

      »Bis er stirbt«, stellte Lenka trocken fest.

      »Er stirbt aber nicht.« Malus Stimme war nur noch ein Flüstern.

      »Jetzt hört auf«, mischte Mariella sich ein. Aber es war nur ein schwacher Versuch.

      »Wir werden ja sehen«, sagte Lenka. »Und soweit ich weiß, gehört das Schloss doch Edgar und er kann entscheiden, ob hier ein Springplatz entsteht oder nicht. Du hast dabei gar nichts zu sagen und er hat es Mariella schon versprochen, stimmt’s?« Sie drehte sich zu ihrer Freun­­din um, die wie bei einem Tennismatch von einem Mädchen zum anderen guckte. Mariella zuckte mit den Schultern. »Ich denke, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um das zu besprechen«, sagte sie mit leiser Stimme und sah Malu dabei mit ihren dunklen Knopfaugen an.

      »Mein Bruder würde das nie tun, ohne mit mir zu sprechen«, fauchte Malu.

      »Hey, Mädels. Was wird das denn? An so einem herrlichen Tag streitet man doch nicht.« Ein großer, breitschultriger Mann mit rotblonden Haaren, die schon gewaltige Lücken an der Stirn aufwiesen, kam mit langen Schritten auf sie zu: Mario Scherz, der Besitzer der Tauchschule. »Immer schön cool bleiben.« Er sah Malu tadelnd an, was die nur noch wütender machte.

      Lenka setzte ein schüchternes Lächeln auf und plinkerte ihrem vermeintlichen Retter dankbar zu.

      »Übrigens, heute Nachmittag findet unser Anfänger­tauchkurs statt. Wer also seinen Hitzkopf noch ein bisschen abkühlen möchte, kann gerne mitmachen.« Er grinste die Mädchen breit an. »Na, wer von euch hat Lust und traut sich ins kalte Wasser?«

      Malu schüttelte den Kopf und versuchte ein Lächeln, schließlich meinte er es ja nur nett. »Danke, ich bleibe lieber beim Reiten.«

      »Wenn man dein Geholper überhaupt so nennen kann«, zischte Lenka, aber so, dass der Tauchlehrer es nicht hören konnte.

      »Dann stelle ich euch auch gleich mal meinen Neffen vor«, redete Mario weiter und zeigte in Richtung seines dunkelgrünen Busses. »Henri wird mir die nächsten Tage bei dem Kurs helfen, er ist ein richtiges As im Tauchen. Ist aber kein Wunder«, er zwinkerte den Mädchen zu, »den hab ich ja auch unterrichtet.« Dann lachte er laut über seinen Witz und winkte dem großen Jungen, der jetzt aus der Beifahrertür stieg, sich zu beeilen. Als er näher he­­rankam, packte Mario ihn im Nacken und schüttelte ihn ein wenig, wie einen jungen Hund. »Das ist mein Neffe Henri.« Der ließ die Behandlung gutmütig über sich ergehen, strich sich nur mit einer schnellen Handbewegung die blonden Haare aus dem Gesicht, die sofort wieder zurück vor seine Augen fielen und griente in die Runde. »Hi.« Seine Haut war ge­­nauso braungebrannt wie die seines Onkels.

      »Dann herzlich willkommen«, begrüßte Malu den Jungen und streckte ihm die Hand hin. Er war bestimmt so alt wie Edgar. Sie schätzte ihn auf fünfzehn oder sechzehn. Auf seiner Oberlippe war im Sonnenlicht der erste Bartflaum zu erkennen. Malu musste grinsen, als sie an Lea dachte, die ihn bestimmt mit süß tituliert hätte. (Nein, falsch, mit megasüß.) Henri schien ihr Grinsen allerdings anders zu deuten und zwinkerte ihr zu. Malu spürte, wie eine leichte Röte in ihr Gesicht zog. Bevor das ihrer fiesen Großcousine auffallen konnte, drehte sie sich schnell um, schnappte sich Papilopulus’ Strick und stapfte über den Hof Richtung Schlosspark davon.

      »Ich würde mir das schon gerne mal angucken. Tauchen finde ich hochinteressant«, hörte sie noch die gezierte Stim­me von Lenka in ihrem Rücken. Falsche Schlange! Ob Edgar Mariella wirklich versprochen hatte, auf Papilopulus’ Weide einen Springplatz anzulegen? Nein, das war ausgeschlossen!

      Aber das bohrende Gefühl eines möglichen Verrats begleitete sie auf ihrem Weg zum See.

      5. Kapitel

      In der Mitte des langgestreckten Stalltraktes führte ein Durchgang direkt in den Schlosspark. Und wie immer, wenn Malu durch diesen Torbogen lief, spürte sie, wie sie ruhiger und entspannter wurde. Es war ein bisschen so, als würde sie eine andere Welt betreten, eine alte, längst vergangene Zeit. Früher war hier eine gepflegte Parkanlage gewesen mit gestutzten Hecken, Blumenrabatten und Kräutergärten. Jetzt wuchs alles wild durcheinander, nur ein schmaler Weg führte durch den verwunschenen Garten. Allerdings hatten sie, seit Mario Scherz seine Tauchschule am See eröffnet hatte, die Büsche rechts und links zurückgeschnitten, um den Durchgang für ihn und seine Tauchschüler zu verbreitern.

      Malus Mutter hatte die alte Gartenanlage auch direkt ins Herz geschlossen und, nachdem sie ins Schloss gezogen waren, angefangen die Beete vom Unkraut zu befreien und Büsche und Bäume zu bearbeiten. Obwohl sie das Projekt mit großer Hingabe verfolgte, hatte Malu Mühe irgendwelche Erfolge zu erkennen. Dazu war der Park einfach viel zu groß und zu dicht bewachsen und ihre Mutter hatte zu wenig Zeit. Schließlich hatte sie einen Vollzeitjob im Altenheim und dazu half sie noch dem alten Herrn Müller und Gesine im Haushalt. Und manchmal musste sie sich ja auch um ihre Tochter kümmern und um ihren frisch dazugekommenen Sohn – für Edgar hatte sie seit einem Monat offiziell die Vormundschaft übernommen.

      »Gleich haben wir es geschafft, Papi«, sprach sie dem Pferd Mut zu, das mühsam einen Huf vor den anderen setzte. Sie strich ihm sanft über den Nasenrücken und schluckte die Tränen herunter, die ihr in den Augen brannten. »Die doofe Lenka wird sich noch wundern, du wirst mindestens hundert Jahre alt!« Natürlich wusste sie, dass Papilopulus nicht ewig leben würde und dass er schon alt war, aber sie wollte einfach nicht daran denken.

      Die Zweige einer riesigen Trauerweide hingen wie ein Zeltdach über der kleinen Wegkreuzung, die die beiden nun passierten. Sie warf einen Blick auf das alte, viktorianisch anmutende


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