Funkelsee – Versunken in der Pferdebucht (Band 2). Ina Krabbe

Funkelsee – Versunken in der Pferdebucht (Band 2) - Ina Krabbe


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der ganz ruhig mit hängendem Kopf dastand. Ach, was sollte denn passieren? Sie würde schnell zu Gesine herüberlaufen und wäre in zwei Minuten wieder da. Edgar war schon mit den beiden anderen Pferden durch den Torbogen verschwunden, der in den Schlosspark führte und von dort zur Seewiese.

      Ohne Lenka und Mariella weiter zu beachten, sprang sie über den Zaun und flitzte zu dem Nebentrakt, in dem ihre Großtante wohnte. Gerade wollte sie an die blaue Haustür klopfen, da hörte sie Magnus Wellhorns Stimme durch das gekippte Fenster: »... soll ich ihn einschläfern. Begeistert bin ich davon nicht, das kannst du dir vorstellen.«

      Gesine stöhnte laut auf. »Das ist ja furchtbar. Und da kann man nichts machen?«

      Stille.

      »Das darf ich gar nicht Malu erzählen, ich weiß nicht, was sie dann tut ...«

      So heiß wie Malu eben noch gewesen war, so kalt wurde ihr jetzt. Lenka hatte tatsächlich recht gehabt!

      4. Kapitel

      Malu stand wie erstarrt vor der Tür, ihre Hand schwebte über der Klinke. Was sollte sie jetzt machen? Sie warf einen Blick über den Schlossplatz auf ihr krankes Pferd, das wie ein armer Tropf vor dem Offenstall stand. Mit ihm fliehen konnte sie nicht. Diesmal nicht, dafür war Papilopulus viel zu schwach.

      Aber niemand durfte ihr Pferd einfach so einschläfern! Papi hatte doch eine Chance verdient, auch wenn er schon so alt war! Mühsam drängte sie die Tränen zurück, riss dann, ohne zu klopfen, die Tür auf und stürmte in die Küche. Niemand durfte das!

      »Das lass ich nicht zu, dass Papi eingeschläfert wird«, schrie sie. Ihre Stimme überschlug sich fast. »Es geht ihm doch schon besser. Er schafft das, das weiß ich!«

      Drei erschrockene Augenpaare sahen Malu an.

      »Hilfe kommt nun nimmermehr«, krächzte Rosa, Gesines alte Kakadudame, und trippelte auf ihrer Stange hin und her. »Ach wie schwer, ach wie schwer.« Sie zitierte öfter so merkwürdige Reime, aber Malu hatte jetzt keinen Blick für den Papagei, sie starrte wütend auf ihre Großtante und den Tierarzt, die am Küchentisch vor ihren Kaffeetassen saßen, als ob nichts wäre.

      »Ihr dürft das nicht!« Jetzt stieg doch ein Schluchzen aus ihrer Brust und die Tränen ließen sich nicht mehr zurückhalten. Die ganze Aufregung an diesem Morgen war einfach zu viel!

      »Aber Schätzchen«, Gesine stand auf und strich ihr die dunklen Locken aus dem Gesicht, »wie kommst du denn auf so was? Doktor Wellhorn wird alles tun, damit es Papilopulus schnell wieder besser geht.«

      »Aber ..., aber ...« Malu sah die älteren Herrschaften verwirrt an. »Ich hab doch gerade gehört, wie er«, sie zeigte auf den Tierarzt, »gesagt hat, dass Papi eingeschläfert werden muss!« Sie bedachte den grauhaarigen Mann mit einem grimmigen Blick. Der konnte sie nicht für dumm verkaufen! »Und ich soll nichts davon wissen!« Jetzt funkelte sie ihre Großtante wütend an. »Deine Worte!«

      Gesine schüttelte den Kopf. »Das hast du völlig falsch verstanden. Komm, setz dich, Malu.«

      Zögernd ließ sich das Mädchen auf der vordersten Stuhlkante eines Küchenstuhls nieder.

      Der Tierarzt lächelte sie an und warf dann Gesine einen fragenden Blick zu. »Ich glaube, wir sollten das jetzt aber richtigstellen, was meinst du?«

      »Auf jeden Fall«, bekräftigte Gesine.

      In diesem Moment ging die Tür auf und Edgar kam in die Küche. Er runzelte die Stirn, als er Malus bleiches Gesicht bemerkte. »Was ist los? Warum bringst du Papi nicht auf die Wiese am See? Ich hab auf dich gewartet.«

      »Ich wollte nur fragen, ob er den Weg schon schafft, aber dann ...« Malu winkte ab und ließ Gesine weitererzählen.

      »Magnus hat mir eben von einem anderen Fall erzählt, wo er ein Tier einschläfern soll ...«

      »Nicht nur eines«, unterbrach sie der Arzt und fuhr sich durch die grauen Haare. »Gleich mehrere Katzen, zwei Esel und einen Hund!«

      »Warum das denn?!« Entsetzt sah Malu den Tierarzt an.

      »Es sind alles alte und kranke Tiere.« Magnus Wellhorn seufzte tief. »Ein schrecklicher Fall. Als ich gestern beim alten Stumpe war – er hat seinen Hof auf der anderen Seite des Funkelsees«, erklärte er auf Malus fragenden Blick hin. »Ein komischer Kauz, aber mit einem großen Herz für Tiere. Er nimmt jedes alte und verstoßene Tier auf, auch kranke und verletzte, hauptsächlich hat er sich um alte Pferde gekümmert. Hat aber auch ein paar Katzen, zwei alte Esel und Sherlock, seinen Hund, aber jetzt ...« Der Tierarzt machte eine Pause und zuckte hilflos mit den Schultern. »Vor vier Wochen war ich bei ihm, da war er noch völlig normal – für seine Verhältnisse jedenfalls. Aber jetzt benimmt er sich ganz verrückt, ist vergesslich, lebt nur noch in der Vergangenheit ...« Doktor Wellhorn warf Gesine einen traurigen Blick zu. »Leider geht das manchmal im Alter sehr schnell. Und jetzt kann er nicht mehr alleine auf dem Hof leben – das sagt zumindest seine Tochter. In fünf Tagen muss er ins Altersheim und mit seinen ganzen Tieren will das Fräulein Tochter natürlich nichts zu tun haben.«

      Alle schwiegen bedrückt. Edgar war ganz blass geworden. »Stumpe, haben Sie gesagt?«, murmelte er.

      »Kennst du ihn?« Malu sah ihren Bruder verwundert an.

      Aber Edgar schüttelte schnell den Kopf. »Nein, nie ge­hört.«

      »Er war viele Jahre Pferdepfleger hier im Gestüt«, er­klärte Gesine. »Manchmal ist er sogar Rennen geritten für meinen Vater. Er muss inzwischen auch schon über achtzig sein, oder?«

      Der Tierarzt nickte. »Jedenfalls war die Tochter gestern da und meinte, ich sollte die Katzen und die Esel gleich einschläfern und den Hund am besten auch, die wären ja nicht mehr zu vermitteln, und die Pferde hat sie an den Schlachthof verkauft ...«

      »Was?!« Malu sprang von ihrem Stuhl. »Wie kann sie so etwas tun? Wie viele sind es denn?«

      »Inzwischen sind es zehn. Da hat Stumpe sich nun um all die alten und kranken Pferde so liebevoll gekümmert, nur damit sie jetzt doch beim Schlachter enden. Der Hof wird verkauft, deshalb sollen die Tiere weg – und der alte Mann auch.« Magnus Wellhorn wischte sich übers Gesicht. »Es ist schon sehr traurig, ich habe mit der Tochter geredet, aber da ist nichts mehr zu machen.«

      »Die Pferde könnten doch zu uns ...« Malu sah ihre Großtante bittend an.

      Gesine winkte ab. »Und genau aus diesem Grund habe ich zu Magnus gesagt, du solltest besser nichts davon wissen. Es tut mir leid, Malu, aber wir können nicht einfach so zehn alte Pferde zusätzlich aufnehmen und dazu noch ein paar Katzen und Hunde. Du kennst unsere Situation, das Geld reicht hinten und vorne nicht. Das Hauptgebäude müsste dringend renoviert werden, sonst stürzt es bald ein, die Ställe auch, ganz zu schweigen von den ganzen Abgaben, die wir an die Stadt zahlen müssen.«

      Klar wusste Malu das alles, trotzdem – sie konnten doch die Pferde nicht einfach so sterben lassen! Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihre Großtante trotzig an. »Irgendwas müssen wir doch tun.«

      »Stumpe hat schon selber etwas getan, so ganz dement ist er wohl nicht, wenn ihr mich fragt. Er bekommt noch eine Menge mit, gerade auch von dem, was seine Tochter vorhat.« Ein Lächeln schlich sich ins Gesicht des Tierarztes. »Als ich gestern da war, hat er das Tor offen stehen lassen, nachdem wir bei den Pferden auf der Wiese waren, und kurze Zeit später hat Sherlock die ganze Herde über den Hof und in den Wald gejagt. Für seine Tochter ein neuer Beweis seiner Tüddeligkeit. Aber ich bin mir sicher, er hat das extra gemacht.«

      »Und was ist jetzt mit den Pferden?«, fragte Malu.

      »Die hat die Tochter nach kurzer Zeit wieder eingefangen, alle bis auf eins.« Herr Wellhorn nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Schneechen konnte sie nicht finden. Also haltet die Augen offen, die muss hier noch irgendwo um den Funkelsee irren.«

      »Woran erkennen wir Schneechen denn?«, fragte Edgar.


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