Echo eines Freundes. Ingvar Ambjørnsen

Echo eines Freundes - Ingvar Ambjørnsen


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ob ich wirklich alles wegwerfen soll, das nicht …«

      »Ja. Sigurds Werkzeug will ich behalten. Und die Hobelbank. Den Rest kannst du entsorgen. Aber ich hab das wirklich nicht so gemeint, dass du dich jetzt gleich darüber hermachen solltest. Wenn ich gewusst hätte, wie es da unten aussieht … Ja, das ist eine lange Geschichte. Das verstehst du sicher. Es hat mit deinem Vormieter zu tun. Aber ich will dich damit jetzt nicht belästigen. Wie gesagt. Es tut mir leid.«

      Wir machen ab, dass ich eine Grobsortierung vornehmen soll. Dann wird sie jemanden »auf den Schuppen ansetzen«, was wohl bedeutet, dass jemand aus Polen die größten Teile holen wird, wenn ich meinen Teil der Arbeit erledigt habe.

      Sie will mir einen Tausender geben.

      Ich lehne höflich ab.

      Sie besteht darauf.

      Ich lehne noch einmal ab, aber dann bedanke ich mich ganz schnell, damit ihr die Sache nicht noch peinlicher wird.

      Wir beenden das Gespräch.

      Ich renne auf der Stelle und klatsche in die Hände, aber nur ganz kurz, weil ich über die Nachbarschaft hier oben weniger als nichts weiß.

      Phantasien. Freier Flug von Spiel und internen Scherzen, ein unschätzbarer Trost im Alltag, das ist meine Stärke, meine geheime Waffe. Die glatte intellektuelle Fassade zu bewahren, das nachsichtige Lächeln, die gehobene Augenbraue – und zugleich die jungenhaften Einfälle im tiefsten Herzen zu pflegen, der Umwelt verborgen. Auf diese Weise wird ein schnelles Mittagessen in dem zubereitet, was jetzt als Bistro der Sockelwohnung erscheint; spielend leicht von einem Koch aus Kroatien, es gibt eine feingehackte rote Zwiebel und eine reife Avocado, es gibt winzige Würfel aus mittelaltem Gouda, vier Kapern und ein Eigelb, alles angerichtet auf einem gebratenen Stück Brot, in einem Bett aus zerlassener Margarine. Und in dem Moment, in dem der kroatische Koch den Teller auf die Platte des blauen Tisches schiebt – da lässt man sich selbst am Tisch nieder und bedankt sich für die Einladung. Hebt Messer und Gabel und nickt dem Abgesandten der Fernsehnachrichten wohlwollend zu. Doch, so ist es. In Grefsen in Oslo wurde ein historischer Fund gemacht, und der Unterzeichnete hat alles ausgegraben, das trug sich heute Vormittag zu, und natürlich ist das Kulturministerium bereits informiert worden. Nein. Bis auf Weiteres ist die Fundstätte markiert und abgesperrt. Jeglicher Verkehr in der Umgebung ist streng verboten. Was? Ja, auch das trifft zu. Es handelt sich um eine komprimierte Masse von Objekten unterschiedlicher Art, Konsistenz, Farbe und Funktion.

      Es hat mit deinem Vormieter zu tun.

      Ach ja? Ich habe ja schon angenommen, dass es sich um ein männliches Wesen handelt. Jetzt verstehe ich auch, dass hier offenbar eine Art Geisteskrankheit vorliegt. Eine andere Möglichkeit, die sich durchaus nicht ganz ausschließen lässt, ist, dass Annelore ihm die Schuld zuschiebt. Wozu sie ja andererseits auch sehr gute Gründe haben kann.

      Mir kann das ja egal sein, als ich mir nun ihren leuchtenden Tausender vor mein inneres Auge rufe. Tausend Kronen, um eine überfüllte Bude auszuräumen! Das ist phantastisch. Vor allem, da ich schon feststellen konnte, dass sich einige dieser Gegenstände problemlos verkaufen lassen. Die azurblaue Mingvase, zum Beispiel. Die wird nicht für einen oder zwei Zehner verschleudert. Ein Bonuspunkt an dieser ohnehin schon positiv geladenen Situation ist natürlich, dass mir der verheißene Tausender wichtige Informationen über meine neue Vorgesetzte hier im Hause vermittelt. Sie hat ein lockeres Verhältnis zum Geld. Ist absolut kein Geizkragen. Diese Gewissheit gibt mir ein großes und feines Gefühl von Freiheit. Ich runde die Mahlzeit mit einem Glas eiskalter Milch ab und kehre zum Tatort zurück. Fotografiere jetzt nicht nur die Türöffnung, sondern auch die gesamte Sigurdsbude. Sowie den unteren Teil des Gartens. Dann Selfies unterschiedlicher Art mit unterschiedlicher Miene. Es ist deutlich zu sehen, dass es ein schöner, klarer Tag ist. Dass das Leben lächelt – und ich lächele zurück.

      Strategie? Einen Gegenstand nach dem anderen. Bewerten. Sortieren. Fast kann ich hören, wie mein Gehirn sich von Poet und Alltagsphilosoph zu einer Mischung aus Ermittler, Archäologe und Handelsreisendem umprogrammiert. Auch dies Rollen, für die ich geboren bin. Die mir in den Genen liegen.

      »Polen« wird unten am Zaun zum Nachbargrundstück angelegt, über das ich bis auf Weiteres nichts weiß. Ein grau gestrichener Zaun, na gut. Hier rolle ich eine Viertelrolle Teerpappe aus, dann folgen der von Feuchtigkeit zerstörte Zementsack, die Eimer mit vertrocknetem Lack und Farbe sowie Badezimmerfliesen mit Sprüngen, zerbrochene Pinsel und Malerrollen und zum Schluss: eine harsch nach Katzenpisse stinkende Decke. Alles, was keinen Wert hat und was nicht verbrannt werden kann. Denn das sehe ich ja. Dass ein Teil dieser Wrackstücke zu Futter und Nahrung der Flammen werden kann. Es gibt keinen Grund, den Polen irgendetwas zu missgönnen, auch nicht litauischen oder rumänischen Tagelöhnern, aber es hat wirklich keinen Sinn, das, was hier vor Ort verbrannt werden kann, zu einem Feuer an irgendeinem anderen Ort zu schaffen. So sehen ich und Frederic Hauge das jedenfalls. Ein Feuer, genauer gesagt, das Material zu einem Feuer, wird jetzt auf der Nordseite der Sigurdsbude aufgeschichtet. Hier werden zerbrochene Möbel gelagert (ein Tisch, und ein Sessel, es ist leicht, die heftige Wut zu erahnen, der diese Möbel ausgesetzt waren, und ich bekomme eine leichte Gänsehaut bei der Vorstellung, dass ich jetzt in dem Bett schlafe, das einmal das Seine war.)

      Ganz bewusst gehe ich langsam vor. Es soll keine zweite Bewertungsrunde geben. Ich werde mich auch nicht fragen, ob etwas weggeworfen oder verbrannt worden ist, von dem ich oder andere noch irgendeinen Nutzen haben könnten.

      Es geht um das Hier und Jetzt. Es geht um mich und die Objekte.

      Papier ist eine Sache für sich. Es liegt in meiner Natur, einen schützenden Ring um jegliches Papier zu schlagen, das bedruckt oder beschrieben, gezeichnet oder bemalt ist. Bücher sind heilig. Ich finde Kartons und Tüten mit alten Zeitungen und Illustrierten, ich kann jetzt beobachtet werden (von Amsel und Star, vielleicht sogar vom Nachbarn), wie ich zwischen Bude und Sockelwohnung hin- und herlaufe, alles muss ins Haus, um danach sorgfältig durchgesehen zu werden, jubelnd verheiße ich mir einen herrlichen Abend und eine glorreiche Nacht, denn es ist doch klar, dass sich in Kies Gold verstecken kann. Und die Zeitungen? Von welchen Jahrgängen ist hier die Rede? Der Archivar in mir zittert vor Spannung und Freude.

      Ziemlich bald sehe ich auch Gegenstände, die mich stutzen und an den geistigen Fähigkeiten meiner Vermieterin zweifeln lassen. Wieder und wieder höre ich in Gedanken ihre Stimme. Alles muss weggeworfen werden, alles muss weggeschafft werden, absolut alles, was nicht zu Sigurds heiligen Gerätschaften gezählt werden kann. Die ich zwar ebenfalls finde, aber nicht in besonders großer Menge. Zwei alte (altmodische) Hobel, vermutlich Erbstücke. Eine abgenutzte Bogensäge. Eine verrostete Stichsäge. Einige Hämmer, ein Holzklotz und eine Axt. Kaum genug Werkzeug, um diesen Schuppen zu bauen. Dann hat er sich vielleicht den Rest geliehen, denke ich. Oder er hat Bohrer und Winkelsäge mit ins Grab genommen.

      Aber was ist mit dem alten Bambino-Plattenspieler und dem Karton mit den Platten? Polen? Müllhalde? Wie unsensibel ist eigentlich meine Vermieterin? Kann sie sich nicht einmal an die gemütlichen Stunden mit dem Bambino erinnern? Haben die ihr nichts bedeutet? Und hat sie vergessen, dass ganz hinten an der Wand mehrere Meter guter alter IKEA-Regale stehen? Litauen? Flammenfutter?

      Nie im Leben! Die nehme ich natürlich in meine Obhut, zusammen mit Vasen (schönen und hässlichen), zwei Gemälden von Fjord und Fels sowie einem einer busenschönen Sennerin (beide signiert von Onkel Ole, dem Hüter der Silbertanne).

      Und einer Menge anderer Dinge.

      (Ist ein Taschenmesser Werkzeug? Ich lege es beiseite und beschließe, es mir anzueignen, falls meine Vermieterin nicht danach fragt).

      Das defekte Fahrrad mit den leeren Felgen? Polen.

      Der ebenso ramponierte Kinderwagen? Litauen.

      Am Ende gibt es in der Sigurdsbude nur noch die alte abgenutzte Hobelbank unter dem Fenster und die kleine Sammlung von verrostetem und ungewarteten Werkzeug; ich verspreche, mir alle Mühe zu geben, um demnächst dann alles instandzusetzen.

      Und die ganze Zeit fotografiere und dokumentiere ich alles, was mir unterkommt, ich will natürlich einen eigenen Ordner namens »Sigurdsbude« einrichten, mir steht eine lange Nacht


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