Echo eines Freundes. Ingvar Ambjørnsen

Echo eines Freundes - Ingvar Ambjørnsen


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und verzehre sie mit Brokkolisträußchen sowie drei mehligen Kartoffeln.

      Gut!

      Draußen ist es noch hell. Noch immer dieser säuerliche Herbstgeruch, nach feuchtem Gras und Fallobst. Annelore Frimann-Clausen ist noch nicht nach Hause gekommen, oder sie liegt dort oben im Dunkeln auf der Lauer. Ich laufe zwischen den unterschiedlichen Pyramiden von ausgegrabenem Material hin und her. Wiege ein Stuhlbein in der Hand. Fahre mit einem Finger über die Bruchstelle in einer angestoßenen Keramikschüssel. Eine feine Unruhe spielt in meinem Inneren, ja, es kommt mir fast so vor, als ob irgendwo in meiner Seele eine kleine Flamme zittert. Eine Flamme … Ich bleibe stehen und lächele vor mich hin. Die Sache liegt doch eigentlich auf der Hand. Hier haben wir eine ganze Ladung, die ohne Probleme auf der Stelle verbrannt werden kann. Damit ist Geld gespart, zudem wird eine gewisse Ordnung wiederhergestellt. Man kann ja nicht wissen, wann die Polen Zeit haben, um vorbeizuschauen, und hier sollen wir inzwischen leben und uns wohlfühlen, die Vermieterin und ich. Soll ich sie zuerst anrufen? Nein, das soll ich nicht. Ein streng kontrolliertes Feuer im eigenen Garten ist trotz allem so ungefähr das Erznorwegischste, das man sich überhaupt denken kann. Mit einem Stock danebenzustehen und sich davon zu überzeugen, dass alles seine Richtigkeit hat, ist ein Recht, mit dem wir alle geboren worden sind, wir haben es uns im Laufe der Jahrhunderte erkämpft. Wir sind viele. Wir flämmen an den flachen Stränden unten auf Jæren, in den Gärten bei Bergen, Fana, Ulvik in Hardanger, wir stehen mit dem rußigen Stock vor kleinen und großen Höfen in Südnorwegen und Nord-Trøndelag, wir sind auf Posten in Nordland, auf den Lofoten und in Fischerdörfern auf den Inseln vor Finnmark. Überall im Land stehen junge und alte Männer, gekrümmte Frauen und dralle Deerns, wir stehen da mit unserem Stock und kontrollieren und füttern den kleinen Brand, den wir angelegt haben, wir passen auf, dass er sich nicht im Gras verbreitet, dass er keine Macht über das Grundstück gewinnt, das wir hüten sollen. Im Handumdrehen habe ich losgelegt. Auf einer Plattform aus drei mal drei Dachziegeln mit Rissen und Mängeln errichte ich eine Pyramide aus Möbelresten, Pappe und Müll. Hole Streichhölzer aus der Schublade, wo sie zusammen mit Kerzen von Spar liegen. Zaubere eine Flamme hervor, die der Wind sofort mit ins Nichts reißt, zünde eine neue an, noch eine und eine weitere, nun fängt alles Feuer, nun nimmt das Feuer die Holzsplitter in seinen gierigen Mund und verzehrt sie mit einem knisternden Geräusch. Dann stehe ich da an diesem Herbstnachmittag in meinem nagelneuen Leben und flämme. Sehe, wie das Feuer Fragmente aus dem langen Zusammenleben von Annelore und Sigurd verschlingt. Gerade das hier hatten sie sich wohl nicht vorgestellt, damit hatten sie nicht gerechnet, als sie errötend zu Beginn der Schwangerschaft den kleinen Wickeltisch ins Haus trugen. Dass ein Junggeselle und Spielmann ein Menschenalter später hier stehen und dessen Überreste verbrennen würde, während er »Die Brücke am Kwai« pfeift und singt.

      Es ist so friedlich. So hypnotisch und harmonisch. Wie lange leben wir schon zusammen, die Flamme und der Mensch? Wir wissen es nicht, aber unsere Gene sind aus denselben Träumen geschmiedet. Denke ich. Ein durch und durch idiotischer Gedanke, aber ich denke ihn trotzdem. Und schiebe einen Teil eines alten Lattenrostes in die wütenden gelben Flammen. Na gut. Der feuchte Pappkarton enthält Reste von Teerpappe. Das sieht man ja. Registriert es. Eine gewisse Rauchentwicklung. Nicht weiter gefährlich. Ein Schlag mit dem Stock, ein Funkenregen, man weicht lachend zurück. Ehe man abermals zwei Schritte vortritt und auf den feuchten Pappkarton schlägt, und das mit demselben Stock, der jetzt von brennendem Asphalt klebrig wird; nun hat man auch noch einen kochenden Tropfen auf den Handrücken bekommen, man brüllt automatisch auf, das ist reine Natur, kein Grund zur Aufregung. Finde ich jedenfalls. Außerdem brennt es ja jetzt besser. Der Asphalt, genauer gesagt der Teer, nährt das Feuer. Es kocht und siedet. Und der Rauch ist wie schwarze Kohle. Eine zerbrochene Weinkiste? Rein damit. Ebenso ein wurmstichiger Läufer. Ein trockener Zweig, der die Anmut des Apfelbaums ruiniert, ich breche ihn ab, ich opfere altes Holz den jungfräulichen Flammen, sie schlecken mit grünen Zungen daran, und ich spüre, wie es in meinem Blut braust. Das hier ist die Rede der Flammen an den Menschenmann. Die Urstimme an sich. Man bekommt Lust, sich die Kleider vom Leibe zu reißen und um diesen unseren eigentlichen, ursprünglichen Gott zu tanzen. Die Nachbarin an der Hand zu nehmen und sich der Natur zu ergeben.

      Aber das tut man ja nicht. Man knöpft das Hemd auf und belässt es dabei. Den Rest überlässt man wie üblich der Phantasie. Der Vorstellung, wie es sein könnte, wenn andere als man selbst es wagten, von Zeit zu Zeit ein wenig grenzenlos zu sein. Sich gehenzulassen. Frei zu sein. Wenigstens ein bisschen freier.

      Doch nun erreicht mich eine Stimme. Zuerst höre ich sie aus der Ferne, wie im Traum. Drehe mich um. Meine Augen füllen sich mit Rauch. Die Tränen fließen. Es brennt. Ich trete zur Seite, ich stolpere, dann höre ich es wieder. Es ist eine Frau. Kann es eine Obrigkeitsperson sein? So klingt sie. Wie eine Frau, die es gewöhnt ist, eine gewisse Macht auszuüben. Wer da? Ein Schatten am Rand des schwarzen Dämons, der jetzt vom Feuer aufsteigt.

      Sie will, nein, sie verlangt, dass ich an den Zaun komme. Ich soll zum Zaun kommen. Sie sollen zum Zaun kommen. Hören Sie. Ja, denke ich, es ist sogar vorstellbar, dass ich so einen Tonfall schon ein- oder zweimal im Leben gehört habe. Komm sofort in mein Büro! Verlasse die Station! Geh in dein Zimmer, und zwar sofort! Gehe nicht über Los! Aber nun also ein Zaun. Man soll sich an einen Zaun begeben, und das sofort. Wohlgemerkt, wenn diese Frau ihren Willen durchsetzen kann. Woran sie sich ja eigentlich schon vor geraumer Zeit gewöhnt hat. So klingt sie. Ich glaube, diese Sorte kenne ich.

      An den Zaun werde ich mich, mit anderen Worten, nicht begeben. Da ist es viel besser, mit einer Faust auf jeder Seite mitten auf der Rasenfläche stehenzubleiben. Das Gesicht erfüllt von einem zitternden »Wiebeliebt?«. (WIEBELIEBT?) Sie mit einer Art gelähmten Unbehagens anzustarren. Wer sind Sie? Was sind Sie für ein seltsames …

      Und sie wirkt gewissermaßen so obenauf. So unberührt. So frei von allem, was zwischenmenschliche Höflichkeit heißt. Hier soll das Feuer gelöscht werden, und zwar sofort, sie hat noch nie …

      Hat sie noch nie? Ich trete näher. Einen Schritt, dann noch einen. Hat sie noch nie …?

      Sie weicht zurück in den Johannisbeerstrauch, wo sie teilweise Schutz sucht. Ist sie zu weit gegangen? Hat sie den Feind unterschätzt? Ihre rotgemalte Unterlippe zittert.

      Und nun greife ich zu einem alten Trick, den nicht alle und jede so einfach durchschauen können. Ich lege ein demütiges Lächeln auf und rücke ebenso überraschend mit ausgestreckter Hand über den Rasen vor.

      Sie nimmt die Hand nicht. Dann nicht. Die Punkte poltern jetzt geradezu auf mein Konto, aber das weiß sie noch nicht. Dass der Mann, der sie gerade noch mit stillschweigender Abscheu und Verachtung überschüttet hat, jetzt offenbar bedingungslose Versöhnung anstrebt, kann sie einfach nicht begreifen. Sie hat eben ihren Hamsun nicht gelesen, denke ich triumphierend. Und stelle mich vor, höflich und wie es sich gehört. Ich handele auf direkten Befehl von Annelore Frimann-Clausen. Der Hausbesitzerin. Ich selbst habe das Glück, im Untergeschoss selbigen Hauses zu logieren, wo ich die Zeit mehr oder weniger damit verbringe, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Wenn sie versteht. Versteht sie, was das bedeutet? Sich um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern?

      Das schreie ich ihr ins Gesicht, ehe ich wieder begütigend lächele, fast ein wenig geheimnisvoll.

      Ob sie vielleicht einen Namen hat? Ein winzig kleines Nämchen? Mette Meijer vielleicht? Mit ij? Die Königin der Kiefernhecke? Doch, doch. Man ist im Bilde.

      Und als sie endlich glaubt, dass sie mich und meine eigentliche Persönlichkeit erfasst hat, beginne ich, mich lobend über gerade diese Hecke zu verbreiten. Wenn ich eine Kiefernhecke hätte, würde ich sie ebenfalls frei und ohne Zwang wachsen lassen. Als Frimann-Clausens Mieter muss ich mich natürlich mäßigen, aber hier hat sie meine eigentliche Sicht der Dinge. Wie sie sehen kann, bin ich auch nicht mehr der Jüngste, und ich bin mehr als motiviert für ein Dasein im Schatten. Die Kiefernhecke wurde schon am ersten Abend zu meiner Freundin. Ich war sofort glücklich über ihre Existenz.

      Ob ich mir vielleicht vorstellen könnte, das Feuer zu löschen?

      Ja, aber natürlich.

      Dann steht sie da und sieht mich abwartend an. Mitte vierzig, denke ich. Ein verärgerter Zug um einen weichen und etwas feuchten Kussmund.


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