Echo eines Freundes. Ingvar Ambjørnsen

Echo eines Freundes - Ingvar Ambjørnsen


Скачать книгу
so mal kurz hinter die Binde gießt, das nicht, nein. Gummihandschuhe. Führen wir auch. Und dann müssen Sie auf Ihre Augen aufpassen.«

      Er wird jetzt dominierend und belehrend. Ich bin schon mein ganzes Leben lang von dieser Sorte von Männern umgeben. Solche, die wissen, wie alles Mögliche in Ordnung gebracht werden kann. Die wissen, wie es auf der Rückseite deines Kühlschrankes aussieht. Willst du dich hier etwa bei mir einschmeicheln, denke ich. Daraus wird aber nichts. Ich interessiere mich nämlich nicht für Pilzbefall, und für Fliesenlegen im Bad auch nicht. Aber das tut dieser Bursche. Das steht fest. Wenn ich diesen Mann frage, ob er Segen der Erde gelesen hat, wird er mich für schwul halten.

      »Kaufen Sie immer hier ein?«

      Ich: »Warum?«

      »Ich kann mich mal für Sie erkundigen, wenn Sie wollen. Aber ich schlage auf jeden Fall vor, dass Sie es zuerst mit Chlor versuchen.«

      Auf irgendeine Weise zaubert er eine grüne Plastikflasche hervor und legt sie vorsichtig in meinen Wagen. Als ob es sich um Sprengstoff handelte. Unaufgefordert wirft er eine Packung stählerner Topfschwämme und ein Paar Gummihandschuhe hinterher.

      »Und wir passen auf die Augen auf, nicht wahr?«

      Pass du lieber selbst auf, denke ich, und lächele gerade so falsch, wie mein Gewissen es mir erlaubt.

      Ich darf nicht vergessen, dass ich ihn angesprochen habe. Nicht umgekehrt.

      Die Stimme des Psychologen, irgendwo hinter dem Hügelkamm.

      Das hier ist ein ziemlich kleiner Spar. So klein, dass zwei Kassen reichen. Bedient von zwei dazugehörenden Kassiererinnen. Mir kommt das wie gerufen. Und ich sehe es ja sofort. Dass hier die Rede ist von zwei erwachsenen, sympathischen Frauen. Nicht von unsicheren Teenagern, die Kaugummi kauen und bis über sämtliche Ohren tätowiert sind, sondern von Mädels von um die fünfzig, die wissen, was sie wollen, und das in jeder Beziehung. Wieder werde ich daran erinnert, wie wichtig es ist, sich an einen festen Supermarkt halten zu können, die vertrauten Waren in den Regalen, dasselbe Personal zwischen Regalen und Truhen, und die vertrauenerweckenden freundlichen Frauen an den Kassen. Wenn ich einkaufen gehe, wähle ich zugleich meine Frau, denke ich mit einem heimlichen Lächeln. Die an Kasse 1, oder die an Kasse 2. Nicht, weil die andere nicht ebenso reizend und nett sein kann wie die eine, sondern ganz einfach, weil die Situation das verlangt. Weil man seine Waren nicht an zwei Kassen zugleich bezahlen kann. Die üppige Rothaarige muss nun der ein wenig Geheimnisvollen mit den rabenschwarzen Haaren weichen, der mit der leicht übertriebenen Schminke. Ein bisschen nach Schlampe sieht sie aus, aber nur ein bisschen. Absolut innerhalb der Grenzen. Und – so tröste ich in Gedanken die Rothaarige – an einem anderen Tag wird die Wahl auf dich fallen. Solche Dinge hängen oft mit der Tagesform zusammen. Gerade jetzt reitet mich eine gewisse Tollkühnheit, nach dem Gespräch hinten bei den Reinigungsmitteln. Eine Prise Adrenalin, die mich zu der mit den schwarzen Haaren und dem grünen Lidschatten treibt. Beim nächsten Mal können Trost und Vertrauen angesagt sein, und dann wird es natürlich der Rotschopf. Die Rote mit der Sahnehaut und den niedlichen Sommersprossen am Hals. Ob die beiden wohl gute Freundinnen sind? Sicher. Wilde Zankereien in Pausenraum oder Umkleidezimmer kommen hier wohl kaum vor. Dennoch habe ich das Gefühl, dass sie in der Freizeit nicht viel miteinander zu tun haben. Vielleicht ab und zu mal ein Kinobesuch, aber mehr bestimmt nicht. Dazu sind sie zu verschieden. Die Schwarzhaarige strahlt etwas aus von »ein bisschen Spaß auf der Dänemarkfähre«, während die Rothaarige eher die Sorte ist, die zu Hause in Trainingshose und Garfield-T-Shirt herumpusselt. Ja, solche Gedanken macht man sich doch, wenn man in der Warteschlange steht. Würde die Rote irgendeine Form von Eifersucht entwickeln, wenn ich mich immer für die Schwarze entschiede (die ich im selben Moment Pikdame taufe)? Kaum. Dazu sind sie zu professionell. Es piept und blinkt rot, während sie mit großer Autorität die Strichcodes über den Scanner ziehen. Ohne dabei den Kontakt zum Kunden zu verlieren. Routiniert. Die ganze Zeit werden Lächeln und freundliche Worte gewechselt, und als Neuankömmling merke ich rasch, dass hier vor allem von Stammkundschaft die Rede ist. Bald werde ich auch dazugehören.

      Ja, was wissen die Kassiererinnen wohl alles über den Kunden und das Leben, das er führt? Jahraus jahrein sitzen sie da und geben die gleichen Waren ein. Sie wissen, was jeder Einzelne sich einverleibt, um das Blut durch die Adern kreisen zu lassen. Mit welcher Seife sich die Kundschaft bevorzugt wäscht. Ach ja, da kommt die mit dem extraweichen Toilettenpapier. Ja, ja. Hoffentlich gibt sich das demnächst mal. Schon wieder eine neue Zahnbürste? Will er das nicht mal bald reparieren lassen? Bier an einem normalen Montag? Die Frage ist ja doch, ob du nicht mal mit den Kartoffelchips aufhören solltest, du Tonne.

      Aber kein böses Wort. Nur freundliches Lächeln und Smalltalk im Vorübergehen.

      Für Zurechtweisungen und solche Dinge sind andere zuständig.

      Pikdames eigentlicher Name ist T. Karlsen.

      Schlicht und einfach, ohne Übertreibungen.

      5

       Schimmelpilz

      Ich kann nicht schlafen. Ich wälze mich im Halbdunkel von einer Seite auf die andere, mit einem fremden Geschmack nach Pilzsporen auf der Zunge. Es fängt schon auf dem Rückweg vom Spar an. Ein Gefühl, von winzigen lebenden Organismen besetzt zu sein. Und noch dazu in die Falle gelockt. Ich höre immer wieder die Stimme des Ladenangestellten in meinem Hinterkopf widerhallen: Schimmelpilz im Zimmer. Atemwegsirritation. Gereizte Augen. Unnormale Müdigkeit.

      Ich fühle mich unnormal müde. Und furchtbar irritiert in Atemwegen und allem möglichen anderen. Ich würde am liebsten die Einkaufstüten loslassen und umsinken. Aufgeben. Kann plötzlich den Gedanken an die unschuldige Adresse dort hinten nicht ertragen. Fiolvei 5. Die dunkle, feuchtkalte Wohnung, in der mich dieses Unaussprechliche erwartet. Der schwarze Pilz mit der geleehaften Konsistenz. Pilze haben etwas Geheimnisvolles an sich. Etwas Außerirdisches und Böses. Ich versuche, mich mit einem Choral aufzumuntern, aber das hilft nichts. Ab und zu helfen einige Runden »Ein’ feste Burg ist unser Gott«, aber heute nicht. Ich lächele die an, die mir entgegenkommen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie das Lächeln erwidern. Ich weiß, dass ich mir und anderen gegenüber ungerecht bin, aber es hilft nichts. Der Schimmelpilz hat mich gefangen und in einen tiefen finsteren Keller eingesperrt. In einen Abgrund.

      Zu Hause angekommen, räume ich meine Lebensmittel in Schränke und Schubladen ein, die Chlorflasche aber bleibt auf dem Küchentisch stehen. Ich kann den Gedanken, das unterirdische Fritzl-Schlafzimmer zu betreten, nicht ertragen. Vom Badezimmer ganz zu schweigen. Am Ende rettet mich dann aber doch nichts mehr; so lange es hell ist, wage ich es nicht, in den Garten zu pissen. Ich bleibe auf dem kühlen Kunststoffring sitzen und kneife meine irritierten Augen zu. Wieder werde ich von der unnormalen Müdigkeit überwältigt, und irgendwann schlafe ich auf dem Sofa im Wohnzimmer ein.

      Als ich aufwache, ist es ein bisschen besser. Ein bisschen. Nach einer Weile gehe ich hinaus in den Garten und drehe dort eine Runde. Und spüre es sofort. Dass dieser Gartenfleck mein Freund werden wird. Die kühle Herbstluft tut mir gut. Ich streiche mit den Händen über die Rinde der alten Apfelbäume und glaube, freundliche Energie zu spüren. Ich gehe zur Tür der Sigurdsbude. Abgeschlossen. So ist es gut. So ist es besser. Die verschlossene Tür schenkt mir Ruhe und Frieden. Durch die Kiefernhecke hindurch kann ich sehen, dass hinter dem Küchenfenster der Meijern Licht brennt. Ich denke jetzt so an sie. Die Meijern. Die Gegenseite. Wenn ich mich umdrehe, sehe ich oben im Wohnzimmerfenster bei Frau Frimann-Clausen Fernsehflimmern. Ich bringe es irgendwie noch nicht ganz über mich, sie Annelore zu nennen. Ich gehe um die Hausecke, bleibe in dem engen Durchgang zwischen der Hauswand und dem hohen Zaun stehen und hyperventiliere. Das hilft. Darüber, was sich hinter diesem Zaun verbirgt, ist mir bisher noch keinerlei Information geliefert worden. Gut so. Man soll auch nicht alles auf einmal bekommen oder ertragen müssen.

      Zum Essen mache ich mir zwei Spiegeleier und brate einige Würstchen. Nach dem Essen springe ich auf und ziehe die rosa Gummihandschuhe über. Reiße die Plastikflasche mit dem Chlor an mich und gehe wütend und entschlossen ins Schlafzimmer. Hier muss ich den Anfang machen. Weil der Befall im Schlafzimmer im


Скачать книгу